Essen. Kritik an Ampelplänen aus NRW: Stadtwerke und energieintensive Industrie vermissen Hilfen für sich. Stromkonzerne hinterfragen Zufallsgewinne.

Skepsis bis Unverständnis in der Energiewirtschaft, Enttäuschung in der übrigen Industrie: Das dritte Entlastungspaket der Bundesregierung kommt in der NRW-Wirtschaft nicht gut an. Denn von Entlastung für unter den Rekordenergiepreisen leidende Unternehmen findet sie darin nichts. Das Paket werde „der dramatischen Lage an den Strom- und Gasmärkten für die Betriebe nicht gerecht“, sagte Johannes Pöttering, Hauptgeschäftsführer der Landesvereinigung der Unternehmensverbände Nordrhein-Westfalens. „Immer mehr Unternehmen brauchen unmittelbare Hilfe, vielen drohen angesichts der massiven Kostenbelastung kurzfristig deutliche Produktionskürzungen und bald die Schließung“, warnte Pöttering.

Das Paket gehe an den tatsächlichen Problemen vorbei. „Bei Produzenten von Flachglas etwa führt allein die Einführung der Gasumlage zu Mehrkosten von rund 29.000 Euro pro Mitarbeiter im Jahr. Dass sich das nicht rechnen kann, liegt wohl auf der Hand“, betonte Pöttering.

RWE profitiert mit seinem Grünstrom besonders

Die fast alle in NRW sitzenden Energieriesen und die Stadtwerke sind gespalten in Gewinner und Verlierer der aktuellen Gaskrise mit ihren Verwerfungen bis in den Strommarkt, entsprechend unterschiedlich fielen ihre Reaktionen aus. Erster Kandidat für die Abführung von Zufallsgewinnen ist RWE, Deutschlands größter Stromerzeuger. Der Essener Dax-Konzern hatte stark gestiegene Gewinne im ersten Halbjahr gemeldet, vor allem mit seinem Grünstrom verdiente RWE doppelt so viel Geld wie im Vorjahreszeitraum. Strom aus Erneuerbaren Energien profitiert derzeit besonders vom hohen Börsenstrompreis, weil die Produktionskosten nicht steigen, die Rohstoffe Wind und Sonne gibt es umsonst.

Auch interessant

RWE-Chef Markus Krebber äußerte Verständnis dafür, dass die Regierung die Menschen entlasten will und betonte: „Für uns steht auch außer Frage, dass die Unternehmen der Energiewirtschaft hierzu ebenfalls einen Beitrag leisten sollten.“ Mit Kritik hielt sich Krebber zurück, betonte aber, „die Abschöpfung von sogenannten Zufallsgewinnen“ müsse „so gestaltet werden, dass die Funktionsweise des Marktes und die Investitionsfähigkeit der Unternehmen unter allen Umständen erhalten bleibt“. Heißt im Subtext: Was RWE an Gewinnen nicht behalten darf, kann es auch nicht in den Ausbau der Erneuerbaren stecken, was aber „das wirksamste Mittel“ gegen die hohen Energiepreise sei.

Uniper-Chef: Markteingriffe auf europäischer Ebene

Bei Uniper zeigte man sich grundsätzlich offen für Markteingriffe, etwa für eine Gaspreis-Obergrenze, wie sie die EU derzeit erwägt. Dafür brauche es aber eine europäische Lösung, weil sich Markteingriffe in nur einem Land immer auch auf die Nachbarländer auswirkten, sagte Uniper-Chef Klaus-Dieter Maubach am Montag auf einer Energiemesse in Mailand. Zur geplanten Zufallsgewinn-Abgabe und den Strompreisdeckel in Deutschland wollte sich Uniper auf Anfrage unserer Zeitung nicht äußern.

Auch interessant

Uniper profitiert in seinem Erzeugungsgeschäft ebenfalls von den aktuell sehr hohen Strom-Tagespreisen, etwa mit seinem Kohlegroßkraftwerk Datteln 4. Andererseits wird Uniper mit vielen Milliarden vom Staat gestützt, weil es am meisten unter der Lieferdrosselung Russlands leidet und im ersten Halbjahr zwölf Milliarden Euro Verlust eingefahren hat. Im Rettungspaket von bisher 15 Milliarden Euro, das auch einen Staatseinstieg vorsieht, ist eine Verrechnung operativer Gewinne aus anderen Geschäftsfeldern übrigens bereits vorgesehen.

Stadtwerke vermissen ihren Rettungsschirm

Guntram Pehlke, Chef der Dortmunder Stadtwerke und Präsidiumsmitglied des Verbands kommunaler Unternehmen (VkU), lobt grundsätzlich die Milliarden-Hilfen für die Verbraucherinnen und Verbraucher. Sie bewegten sich aber „am unteren Rand dessen, was nötig ist“, sagte er unserer Zeitung. Das Problem der Stadtwerke, dass viele Privathaushalte ihre Strom- und Gasrechnungen nicht mehr bezahlen könnten, werde damit noch nicht gelöst. Die Forderungsausfälle könnten einige Stadtwerke nach wie vor in Existenznot bringen. Die VkU-Forderung nach einem Rettungsschirm für Stadtwerke vermisst Pehlke daher im Entlastungspaket.

podcast-image

Die noch nicht im Detail ausgeführten Ideen für einen Strompreisdeckel und eine Zufallsgewinn-Abschöpfung nennt Pehlke „unausgegoren“, es sei „rechtlich schwierig, das sauber zu definieren“. Die Essener Steag etwa, fünftgrößter Stromerzeuger Deutschlands, hat sehr wechselhafte Jahre hinter sich, befindet sich aktuell in einem Sanierungsprozess. Pehlke, der im Steag-Aufsichtsrat sitzt, erinnerte jüngst im WAZ-Podcast „Die Wirtschaftsreporter“ daran, dass sich der Staat auch nicht an den Verlusten beteiligt habe und nun von den Gewinnen schon über steigende Steuerabgaben profitiere.

Steag widerspricht Ampel: Auch Kohle ist teurer geworden

Die Steag selbst wollte die Regierungspläne nicht bewerten, allerdings eine Grundannahme im Ampel-Papier so nicht stehen lassen. Darin wird die Abschöpfung der Zufallsgewinne so begründet: „Die Produktionskosten ändern sich jedoch für die meisten Stromproduzenten – etwa die Erneuerbaren, Kohle- oder Atomstrom – nicht.“ Weil sich ihre Preise an den Tagesmärkten aber am Gasstrom orientieren, der wegen der explodierten Beschaffungspreise derzeit am teuersten ist, erzielten sie unerwartete Gewinne. Ein Steag-Sprecher nannte diese Annahme für Steinkohlekraftwerke „grundfalsch“. Der Preis für Steinkohle habe sich seit Anfang 2021 verfünffacht.

Den Unternehmerverband treibt vor allem um, wie Unternehmen, die Energie nicht produzieren, sondern verbrauchen, durch diese Krise kommen sollen. „Die Ankündigung, Kreditangebote für notleidende Betriebe auszuweiten, liefert noch keine Antwort auf die Kernfrage, wie Produktion am Standort Deutschland angesichts einer unkalkulierbaren Energiepreisexplosion überhaupt aufrechterhalten werden kann“, meint Hauptgeschäftsführer Pöttering. Die Bundesregierung müsse hier dringend nachlegen und wirksame Hilfen für die Betriebe auf den Weg bringen. „Der Politik muss klar sein, dass ohne wettbewerbsfähige Energiepreise die gesamte industrielle Basis und damit Millionen von Arbeitsplätzen in Gefahr sind“, warnte er.