Essen. Chefs der Stadtwerke Bochum und Dortmund äußern sich im Doppel-Interview zum Essener Energiekonzern Steag: Der Verkauf rückt näher.
Es schien, als würde die Steag nie zur Ruhe kommen. Immer wieder gab es Streit unter den Stadtwerken, die den Essener Energiekonzern vor mehr als zehn Jahren übernommen haben. Mittlerweile wollen sämtliche Steag-Städte – Bochum, Essen, Dortmund, Duisburg, Oberhausen und Dinslaken – wieder aussteigen. Der Verkaufsprozess läuft, und vor der entscheidenden Phase wollen Dortmunds Stadtwerke-Chef Guntram Pehlke und sein Bochumer Amtskollege Dietmar Spohn ein Zeichen setzen – in Form eines gemeinsamen Interviews. Die Botschaft: „Alle Kriegsbeile sind begraben“, wie es Bochums Stadtwerke-Chef Spohn formuliert.
Herr Pehlke, Herr Spohn, jahrelang gab es immer wieder Streit der Stadtwerke um den Energiekonzern Steag. Jetzt treten Sie zum gemeinsamen Interview an. Ist Ihre Botschaft: Seht her, wir haben unseren westfälischen Frieden geschlossen?
Pehlke: Wenn Sie es so deuten, dann würde ich nicht widersprechen.
Spohn: Bei uns haben die Auseinandersetzungen allerdings nicht 30 Jahre gedauert…
Sie spielen auf den historischen Dreißigjährigen Krieg und den Friedensschluss 1648 an. Aber zurück zur Gegenwart: Ein paar Jahre waren es schon, in denen die Steag von Querelen der kommunalen Eigentümer belastet worden ist. Oft ging es um die Auswahl des Spitzenpersonals: die Chefsanierer, den Aufsichtsratsvorsitz. Konflikte gab es viele.
Pehlke: Es war eine harte Wegstrecke. Die Sanierung der Steag hat uns gefordert – bis zum Anschlag. Ja, es gab viele Konflikte – was bei der Größe des Unternehmens und der Größe der Aufgabe auch nicht so verwunderlich ist. Aber jetzt stimmt das Ergebnis. Die Sanierung ist erfolgreich.
Spohn: Alle Kriegsbeile sind begraben. Wir blicken nach vorne und ziehen nun alle an einem Strang…
Pehlke: … und auch in die gleiche Richtung übrigens.
Im Sommer vergangenen Jahres – auf dem Höhepunkt der Streitigkeiten – hat es eine Sonderuntersuchung der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young bei der Steag gegeben. Es sollte geklärt werden, ob es zu Verfehlungen des Managements bei der Vergabe von millionenschweren Berater-Honoraren kam. Was ist dabei herausgekommen?
Pehlke: Die Untersuchung ist abgeschlossen. Verfehlungen sind nicht festgestellt worden. Es ist gut, dass dies geklärt ist.
Die Steag galt als Sanierungsfall. In den vergangenen Monaten hat der Konzern einen Gewinnsprung verbucht. Plötzlich werden die Steag-Kohlekraftwerke wieder gebraucht. Ausgerechnet jetzt wollen Sie aussteigen – ein schlechter Moment für den Verkauf?
Spohn: Im Gegenteil: ein besonders guter Moment, vor allem weil niemand sagen kann, wie lang dieser gute Moment anhält.
Bei der Übernahme haben die Stadtwerke rund 1,2 Milliarden Euro in die Hand genommen. Soll mehr als das in die Kasse kommen?
Pehlke: Ich gehe davon aus, dass wir mit dem Verkauf zumindest kein schlechtes Geschäft mit der Steag machen werden. Alles weitere wird sich im Verkaufsprozess herausstellen. Wir halten uns an die Fakten und nicht an Wunschvorstellungen und bekanntlich sollte man das Fell des Bären nicht verteilen, bevor er erlegt ist.
Spätestens im Juni sollten die Unterschriften unter die Verkaufsverträge kommen. Bleibt es dabei?
Spohn: Es wird voraussichtlich der Juli. Der Abschluss der Transaktion soll – wie geplant – im Laufe des Jahres erfolgen.
Gibt es bereits Verhandlungen mit Interessenten?
Spohn: Zunächst einmal sind wir mit der Zahl der Kaufinteressenten sehr zufrieden. Jetzt wird gerade ein Datenraum, in dem potenzielle Käufer mehr als 30.000 Dokumente einsehen können, vorbereitet. Später
möchten wir mit maximal vier bis sechs Interessenten in konkrete Verhandlungen gehen.
Die Investmentbank Morgan Stanley übernimmt es für die Stadtwerke, den Verkauf zu organisieren. Können die Stadtwerke das nicht selbst?
Pehlke: Es ist besser, wenn das eine Investmentbank macht, die auf solche Transaktionen spezialisiert ist. Als Stadtwerke sind wir ohnehin in der aktuellen Energiekrise und auch mit Themen rund um den öffentlichen Nahverkehr stark gefordert.
Es mutet widersprüchlich an: Die Steag soll als Ganzes verkauft werden. Trotzdem teilen Sie den Konzern in zwei Unternehmen auf. Bereiten Sie die Zerschlagung vor, die ein Käufer dann umsetzen kann?
Spohn: Darum geht es nicht. Wir erleichtern dem Käufer mit der Separierung des grünen Teils der Steag die Finanzierung der Transaktion. Wie bei einem Hauskauf werden Transaktionen refinanziert. Viele Investoren dürfen ihr Geld gar nicht mehr in CO2-belastete Assets wie Kohlekraftwerke geben. Da hilft die Hebelwirkung einer grünen Säule der Steag – denn diese Investoren, müssen nach bestimmten Nachhaltigkeitskriterien, so genannten ESG-Kriterien, handeln, da sie nur so auch Finanzierungen seitens der Banken erhalten.
In den Stadträten der beteiligten Kommunen Bochum, Essen, Duisburg, Dortmund, Oberhausen und Dinslaken war die Steag immer wieder ein Thema. Reagieren sie mit dem Verkauf auch auf politischen Druck?
Pehlke: Die Steag ist perspektivisch bei anderen Eigentümern besser aufgehoben als bei uns. Das hat auch damit zu tun, dass für den Ausbau des Erneuerbaren-Geschäfts der Steag erhebliche Investitionen notwendig sind…
Spohn: … und diese können wir als Stadtwerke nicht schultern.
Knüpfen Sie den Verkauf auch an die Bedingung, dass ein neuer Eigentümer nicht nach kurzer Zeit die Steag auseinandernimmt?
Pehlke: Wir können dem Käufer keine Vorschriften machen. Als öffentliche Unternehmen unterliegen wird beihilferechtlichen Regeln. Daher sind uns an dieser Stelle die Hände gebunden. Aber ich vermute einmal, dass ein Käufer, der auf Zerschlagung setzt, seine Chancen nicht gerade erhöht.
In der Industrie gibt es doch oft solche Vereinbarungen, in denen ein Schutzschirm für die Beschäftigten festgelegt wird.
Pehlke: Da geht es um Transaktionen privater Unternehmen. Bei uns ist das etwas anderes. Wir werden aber darauf achten, dass ein guter Käufer zum Zuge kommt, der die Interessen der Beschäftigten und die Sicherheit der Arbeitsplätze im Blick hat.
Ganz unterschiedliche Akteure gelten als potenzielle Käufer der Steag: neben Finanzinvestoren beispielsweise der tschechische Geschäftsmann Daniel Křetínský mit seinem Konzern EPH, aber auch die Essener RAG-Stiftung, in deren Kuratorium die Bundesregierung und auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst vertreten ist. Wird auch der künftige Eigentümer der Steag aus dem Ruhrgebiet kommen?
Pehlke: Zu den Interessenten werden wir uns öffentlich nicht äußern. Klar ist aber: Es ist alles dabei, was in der Branche Rang und Namen hat.
Die RAG-Stiftung, die Mehrheitsaktionärin des früheren Steag-Eigners Evonik, war vor nicht allzu langer Zeit als Treuhänderin bei der Steag im Gespräch, um den Verkaufsprozess mitzugestalten. Angesichts der Querelen unter den Stadtwerken zog sich die Stiftung aber im Sommer 2021 zurück. Steht einem Einstieg der RAG-Stiftung nach Ihrem „westfälischen Frieden“ aus ihrer Sicht nun nichts mehr im Wege?
Spohn: Wir sind sehr froh darüber, dass es viele Interessenten gibt. Die Gespräche werden mit allen Bietern unvoreingenommen geführt.
Die Steag setzt zwar zunehmend auf erneuerbare Energien, aber die Kohlekraftwerke in Ruhrgebietsstädten wie Duisburg, Herne und Bergkamen sowie im Saarland prägen den Konzern. Lassen sich die Risiken, die sich für einen Käufer durch die Kohlekraftwerke ergeben, überhaupt kalkulieren?
Pehlke: Ich gehe davon aus, dass die Kohlekraftwerke in Herne und Bergkamen, die jetzt eine Perspektive bis März 2024 haben, auch darüber hinaus im Einsatz sein werden. Das Kohlekraftwerk in Duisburg-Walsum soll ohnehin bis zum Anfang des nächsten Jahrzehnts laufen. Wir brauchen die Kohle als Brücken-Energie.
Spohn: Zumindest so lange bis wir uns voll und ganz auf regenerative Energien verlassen können und auch genügend Gas-Kraftwerke für eine stabile Grundlastversorgung haben.
Aber danach ist Schluss.
Pehlke: Selbst nach dem Kohleausstieg ist die Steag, was die Kraftwerkstandorte angeht, nicht aus dem Geschäft. Deutschland benötigt Gaskraftwerke. Dafür braucht es geeignete Standorte, wie sie die Steag hat. In Herne hat die Steag bereits ein Gaskraftwerk in Betrieb genommen. Weitere werden folgen. Die Standorte sind Gold wert.
Spohn: Aber wir brauchen für diese Standorte auch genügend Gas. Wir sind zwar gut durch diesen Winter gekommen, aber für den kommenden Winter sind die weltweiten Fördermengen schon zum größten Teil vertraglich von anderen Ländern aufgekauft worden. Deshalb wird der kommende Winter zur eigentlichen energiepolitischen Herausforderung.