Bochum. Rolf Buch fordert Standards vom Bund für die Kommunen und einen Ruhrgebiets-Plan. LEG-Chef van Lackum: Fernwärme und Stromausbau kommen zu spät.

Zu hektisch, unkoordiniert und realitätsfern sei Klimaminister Robert Habeck (Grüne) die Wärmewende angegangen, beklagten nach Bekanntwerden des Heizungsgesetzes im Frühjahr so ziemlich alle, die es betrifft. Die Ampel-Koalition hat mit ihrem Kompromiss vor der Sommerpause Dampf aus dem Kessel gelassen: Indem zuerst die Kommunen mit ihren Stadtwerken lokale Wärmepläne aufstellen, anhand derer dann jeder Hausbesitzer sehen kann, was für ihn die beste Lösung ist, gewinnen die Betroffenen Zeit. Doch aus Sicht der größten Wohnungskonzerne läuft schon in den Anfängen der kommunalen Wärmeplanung wieder vieles schief.

„Eine gute kommunale Wärmeplanung ist enorm wichtig auch für uns als Wohnungsunternehmen, um Fehlinvestitionen zu vermeiden. Entscheidend ist es zu wissen, welche Stadtteile an das Fernwärmenetz angeschlossen werden und welche nicht“, betont Vonovia-Chef Rolf Buch im Gespräch mit unserer Zeitung. Und schickt vorweg, dass es in Bochum, dem Sitz des Dax-Konzerns, „hervorragend“ laufe, „weil Oberbürgermeister Thomas Eiskirch die Wärmeplanung sehr früh und mit allen Beteiligten gemeinsam auf den Weg gebracht hat.“

„Manche Städte haben noch gar nicht angefangen“

Nur ist das längst nicht die Regel. Städtenamen nennt Buch nicht, bestätigt gleichwohl Beobachtungen auch unserer Redaktion, dass die Städte im Ruhrgebiet ihre Wärmeplanungen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten angehen. „Die einen sind schon sehr weit, die anderen haben noch gar nicht angefangen“, sagt der Chef des größten Wohnungskonzerns in Deutschland. Buch kritisiert zudem, dass jede Stadt es so machen kann, wie sie will, und damit anders als die Nachbarkommune.

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„Wir brauchen einen bundesweiten Standard für die Wärmepläne. Das muss die Bundesregierung vorgeben, sonst gibt es ein großes Durcheinander“, warnt Buch. Besonders wichtig sei das im Ruhrgebiet, wo eine Stadt in die andere übergeht. „Das ganze Ruhrgebiet müsste einen gemeinsamen Wärmeplan aufstellen. Hier wäre es doch wirklich nicht sinnvoll, wenn der eine Plan an der Stadtgrenze endet und dort ein anderer beginnt.“

Das Land NRW weiß Buch an seiner Seite: „Wir unterstützen eine Standardisierung der Wärmepläne. Dies gewährleistet eine Vergleichbarkeit und ermöglicht einen genauen Überblick über die gesamte Energie- und Wärmemenge“, heißt es auf Anfrage aus Mona Neubaurs (Grüne) Wirtschaftsministerium. Im besten Fall erfolge die Standardisierung „auf Bundesebene über den angekündigten Leitfaden Wärmeplanung einschließlich eines Technikkatalogs“.

Bund will Länder und Kommunen die Standards setzen lassen

Tatsächlich sieht der Bund die Notwendigkeit möglichst einheitlicher Verfahren, will den Standard aber nicht selbst setzen. „Diese methodischen und inhaltlichen Vorgaben“ sollen von den Ländern, Kommunen und Unternehmen erarbeitet werden, heißt es im Diskussionspapier des Wirtschaftsministerium zum Heizungsgesetz (externer Link). Ob das dann „verbindliche Vorgaben oder unverbindliche Empfehlungen“ würden, sei noch nicht entschieden. Länder, Kommunen und Verbände können dazu noch bis kommenden Dienstag (22. August) Stellung nehmen.

Buchs Befürchtung eines großen Durcheinanders ist angesichts der bisherigen Erfahrungen mit dem Heizungsgesetz nachvollziehbar. Viele Hausbesitzer, auch Immobilienkonzerne, trafen über Nacht Entscheidungen, für die sie nach dem Kompromiss noch viel Zeit gehabt hätten. Wohl selten hat ein noch gar nicht verabschiedetes Gesetz so viel Handlungsdruck erzeugt. Viele ließen noch schnell eine neue Gas- oder Ölheizung in ihre Keller bauen, bevor das nicht mehr geht. Viele bestellten aus Angst, nicht schnell genug zum Zuge zu kommen, Wärmepumpen – und nicht wenige werden demnächst merken, dass dies gar nicht nötig gewesen wäre, weil demnächst Fernwärme in ihre Straße gelegt wird.

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Solche Erfahrungen hat auch Vonovia gemacht, als der Konzern in einem Pilotprojekt in Dortmund gut 100 Wärmepumpen installieren ließ, von denen die meisten immer noch nicht laufen, weil sie das örtliche Stromnetz überfordern würden. Die Dortmunder Stadtwerke betonen, alle anschließen zu können. Es sei aber klar gewesen, dass das einige Zeit dauern werde. Alle Beteiligten könnten voneinander lernen, sagt Vonovia-Chef Buch heute dazu.

Auch die Kommunen warten nicht auf das Gesetz, um ihre Wärmeplanungen zu beginnen oder voranzutreiben. Denn die beabsichtigten Fristen sind aus Sicht vieler Stadtwerke sehr ehrgeizig: Großstädte sollen bis Ende 2025 ihre Pläne fertig haben, Städte mit weniger als 100.000 Einwohnern bis Ende 2027. Dass die Kommunen bisher weitgehend unkoordiniert loslegen, ist diesem Zeitdruck geschuldet.

Neubaur-Ministerium rät Kommunen, sich zusammenzutun

Sich gerade in Ballungsräumen abzustimmen, hält deshalb auch das Landeswirtschaftsministerium für klug. „Wir unterstützen die Idee, die Wärmepläne zwischen benachbarten Gemeinden abzustimmen und zu koordinieren“, erklärte es auf Anfrage. Und: „Gegenwärtig planen wir von der so genannten Konvoi-Option des Zusammenschlusses mehrerer Gemeinden Gebrauch zu machen und darüber hinaus einen weiteren Anreiz zur Zusammenarbeit im Landesgesetz zu setzen.“

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Es gibt aber noch viel mehr zu koordinieren: Gleichzeitig mit den Wärmeplänen müsse es jeweils auch eine Stromplanung und eine Gasplanung geben, betont Buch und spricht damit eine Selbstverständlichkeit aus. Denn überall dort, wo Fernwärme absehbar nicht hinkommen wird, braucht es Alternativen, die wiederum nach mehr Strom oder Gas verlangen, das später durch Wasserstoff ersetzt werden kann. „In Wattenscheid zum Beispiel werden wir keine Fernwärme bekommen. Deshalb ist es sehr wichtig, dass hier das Stromnetz so ausgebaut wird, dass es viele Wärmepumpen versorgen kann“, nennt Buch ein Beispiel.

Wasserstoff wird von vielen Experten nicht als massentaugliche Lösung für das Beheizen von Wohnungen angesehen, weil zuerst die Industrie ihren immensen Bedarf decken will. Doch gerade dort, wo Wasserstoff zuerst genutzt wird und die Leitungen liegen, könnten Privathaushalte vom Anschluss benachbarter Industrie mitprofitieren. „In der Nähe der Stahlwerke von Thyssenkrupp zum Beispiel“, sagt Buch.

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Was bisher nicht zusammenpasst, sind die Dringlichkeit der Wärmewende und die Geschwindigkeit etwa des Fernwärme-Ausbaus. Unternehmen wie die Steag-Tochter Iqony freuen sich über ihre sprunghaft gestiegene Bedeutung für die Energiewende und können sich vor Anfragen kaum retten. Den Ausbau der Leitungen können sie gleichwohl nicht beliebig beschleunigen, viel mehr als die derzeit 15 Kilometer pro Jahr schaffen sie mangels Fachkräften absehbar nicht. Auf einen Fernwärme-Anschluss warten Neukunden bei Iqony inzwischen 18 statt vorher sechs Monate.

LEG-Chef: Fernwärme kommt für Bundesfristen viel zu langsam

Das mangelnde Tempo macht auch Lars von Lackum, Chef des zweitgrößten Wohnungskonzerns LEG, mehr als skeptisch: „Der Ausbau der Netze schreitet zu langsam voran. Die Stromleitungen bringen nicht die Energiemengen in die Gebäude, die wir brauchen, um Wärmepumpen zu betreiben“, sagte er unlängst. Und zur Fernwärme: „Bei dem Dreiklang, dass ein Kilometer Fernwärmeleitung ein Jahr Planung bedeutet und eine Million Euro kostet, sind die von der Bundesregierung gesetzten Fristen nicht einzuhalten.“

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Was Vonovia-Chef Buch noch wichtig ist: „Fernwärme muss grün werden, sonst ist sie keine Lösung. Die Politik sollte in großen Städten grüne Fernwärme aktiv einfordern.“ Noch wird Fernwärme vielerorts aus fossiler Energie gewonnen. Erst wenn die entsprechenden Industrien oder Kraftwerke, die ihre Wärme einspeisen, selbst mit erneuerbaren Energien laufen, kann Fernwärme wirklich zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung beitragen.

Aktionismus mit Ansage

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Kenner der Energiebranche wundern sich nicht über all die Hektik und den Aktionismus. Eon-Chef Leonhard Birnbaum zum Beispiel sagte bereits vor gut zwei Jahren im Interview mit unserer Zeitung voraus, dass unserem Land die bisherige Untätigkeit in Sachen klimaschonende Wärme bald auf die Füße fallen würde. „Da haben wir wenig Fortschritte gemacht in den letzten 20 Jahren. Wie wir hier Gas, Öl und Kohle klimaneutral ersetzen wollen, ist völlig unklar“, sagte Birnbaum. Bei der Gebäudesanierung etwa sei Deutschland „bisher gemessen an seinen Zielen gescheitert“. Dass es deshalb ungemütlich werden würde, wenn die Politik die Wärmewende endlich angehe, prophezeite Birnbaum mit diesen Worten: „Alles, was wir bisher geleistet haben, war einfach im Vergleich zu dem, was jetzt kommt.“ Zwei Jahre später fordert Birnbaum immer noch mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Netze, so wie zuletzt bei seiner Halbjahresbilanz.