Essen. Mit seinem Heizungsgesetz hat Habeck die Republik in Aufruhr versetzt. Es kann den Grünen ähnlich schaden wie Hartz VI der SPD. Die Gründe.

Eine warme Wohnung soll sich jeder in Deutschland leisten können. Sie ist das Minimum an Wohnkomfort, das der Staat jeder Bürgerin und jedem Bürger auch in der Grundsicherung zugesteht. Solange der Klimawandel das Heizen in unseren Breitengraden nicht überflüssig macht, dürfte sich daran auch nichts ändern. Den Wert einer warmen Wohnung hat im letzten Winter auch die Mittelschicht zu schätzen gelernt. Sich in der Gaskrise infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine das Heizen nicht mehr leisten zu können, war eine bisher ungekannte Angst existenzieller Natur. Der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck konnte also ahnen, dass die Deutschen auf seinen Griff in die Heizungskeller der Nation empfindlich reagieren würden.

Er tat es trotzdem, brachte Millionen Eigenheimbesitzer gegen sich auf, darunter nicht wenige grüne Stammwähler. Der Proteststurm ließ ihn zurückrudern. Doch indem er seine Pläne, Öl und Gas aus den Heizungskellern zu verbannen, deutlich abschwächt, enttäuscht er nun seine Parteibasis, die beim Klimaschutz das Grün in der Ampel kaum mehr erkennen kann. Die Gunst von Fridays for Future und der Letzten Generation hatte die Ökopartei schon vorher verloren, spätestens als sie Lützerath bei ihrem Braunkohle-Deal mit RWE opferte. Seitdem gilt Habeck den Klimaaktivisten als Verräter der eigenen Ideale.

Grüne rutschen in allen Umfragen ab

Damit bekommt sein Heizungsgesetz das Potenzial, den Grünen so nachhaltig zu schaden wie noch keines ihrer Vorhaben als Teil einer Bundesregierung. Das bisher bedeutendste, Jürgen Trittins Ökostromgesetz (EEG) aus dem Jahr 2000, der Start der deutschen Energiewende, wurde zwar ebenfalls leidenschaftlich bekämpft und verspottet, aber nicht von der grünen Wählerschaft, die schon damals weit ins bürgerliche Lager reichte. Aktuell rutschen die Grünen in den Umfragen auf Landes- und Bundesebene ab. Alles nur Momentaufnahmen, doch mit dem Tausch ihrer Heizungen werden die Deutschen noch 20 Jahre beschäftigt sein, viel Zeit mit vielen Gelegenheiten, sich über Habeck zu ärgern. Sein Heizungsgesetz könnte für die Grünen das werden, was Hartz IV für die SPD war: der Beginn einer langen Leidenszeit.

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Der große Unterschied besteht darin, dass SPD-Kanzler Schröder mit seiner einschneidenden Sozialreform, die er auch noch auf den Namen eines VW-Managers taufte, seine Parteibasis frontal überrollte. Der Genosse der Bosse widmete seine zweite Amtszeit dem Abbau jenes Sozialstaats, den die Arbeiterpartei als ihre größte Errungenschaft begreift. Hartz IV erschütterte die SPD in ihren Grundfesten.

Habecks Plan, das mit FDP und SPD bereits verabredete Heizungsgesetz ein Jahr vorzuziehen, sollte dagegen die grüne Basis besänftigen. Denn als Klimaminister machte Habeck in seinem ersten Jahr riesige Rückschritte, weil er alte Kohlekraftwerke länger laufen ließ, einige sogar reaktivierte, um die Stromversorgung zu sichern. Nach dieser Schmach, als grüner Minister für das Kohlecomeback verantwortlich zu sein, wollte er bei der Heizungswende umso mehr Tempo machen. Das gelingt ihm nun nicht mehr, das faktische Verbot für Gas- und Ölheizungen soll zunächst nur für Neubauten gelten – in die ohnehin fast niemand mehr fossile Brenner einbaut. Beim grünen Herzensthema kommt der Klimaminister nicht voran.

Habecks wollte die grüne Basis besänftigen, auch das ging schief

Hartz IV und Habecks Heizungsgesetz haben eine große Gemeinsamkeit, die ihren Protagonisten und deren Parteien zumindest eine Zeit lang zum Verhängnis werden: Beides sind Reformen, die aufgrund jahrzehntelanger Versäumnisse viel härter ausfallen und schneller kommen müssen, als es bei frühzeitigem Handeln nötig gewesen wäre. Deshalb erschüttern sie die Republik, deshalb fragen sich die Betroffenen, ob die Regierenden in Berlin nun endgültig den Bezug zur Lebenswirklichkeit der Menschen in diesem Land verloren haben.

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Die rot-grüne Regierung Schröder übernahm 1998 einen Sozialstaat, der seit den 60er-Jahren kaum weiterentwickelt und deshalb nahezu unbezahlbar geworden war. Nach 16 Jahren CDU-geführter Kohl-Regierung kosteten Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung zusammen 42,1 Prozent der Bruttolöhne, noch immer der Allzeitrekord. Als Deutschland nach Schröders ersten vier Jahren wirtschaftlich den Anschluss vollends verloren hatte und zum Schlusslicht Europas geworden war, erfand sich der Kanzler der ruhigen Hand neu und gab über Nacht den Turboreformer und Wirtschaftsliberalen.

Hartz IV wurde für SPD zum Fiasko, das droht nun den Grünen mit dem Heizungsgesetz

Selbstbehalte in der Krankenversicherung, Riesters Rentenkürzung, Fördern und Fordern der Arbeitslosen waren die Schlagworte. Was als Befreiungsschlag gedacht war, wurde für die Sozialdemokraten zum Fiasko, stürzte sie in ein Jahrzehnt der Niederlagen. Dass fast alle Ökonomen und Manager sie noch immer dafür feiern, ist ihrem sozialen Profil und dem Identitätsgefühl der Parteibasis besonders abträglich. Was objektiv trotz aller Webfehler der Agenda-Gesetze gut für das Land war, hat die SPD Wähler, Mitglieder und Identität gekostet.

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Von Jochen Gaugele und Tobias Kisling

Nachdem eine Sozialreform die Sozialdemokraten gequält hat, drohen 20 Jahre später die Grünen an ihrem aktuell wichtigsten Klimaschutzgesetz zu zerbrechen. Während zuletzt die Industrie ihre Klimaziele sogar übererfüllte, stocken die Verkehrs- und die Heizungswende. Als größtes Problem stellt sich heraus, dass viele Häuser für den Einbau von elektrischen Wärmepumpen nicht gut genug isoliert sind. Den eigentlich längst parteiübergreifenden Konsens, wie andere europäische Länder auch das Ende der Gas- und Ölheizungen einzuleiten, hat die FDP aufgekündigt. Gebäudedämmung und neue Heizung – beides könne man weder den Leuten noch den Staatsfinanzen zumuten.

Das jahrzehntelange Zögern sorgt nun für Hektik bei Gebäudesanierung

Dabei ist es auch seit mehr als einem Jahrzehnt Konsens, dass es zum Energiesparen gut wäre, möglichst alle Häuser in Deutschland gut zu isolieren. Das sind eine schwarz-gelbe und zwei große Koalitionen allerdings so halbherzig angegangen, dass dem Land dieses Thema nun auf die Füße fällt. Bei einer vom Staat geduldeten Sanierungsquote auch der großen Wohnungskonzerne von nur einem Prozent im Jahr war freilich klar, dass es bei diesem Tempo ein Jahrhundertprojekt im schlechtesten Sinne wird.

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Die das mitzuverantworten haben, Union und FDP, arbeiten sich nun an Habecks unmöglich so schnell umzusetzenden Gesetz ab, beklagen grüne Verbotsideologie und reden von Technologieoffenheit. „Diese Regierung maßt sich ein Wissen an, das wir alle heute noch gar nicht haben können“, schreibt CDU-Chef Friedrich Merz auf Linkedin. Was er meint: Es werden schon noch bessere und billigere Lösungen erfunden werden als die von Habeck favorisierten Wärmepumpen. Es ist das in der Klimadebatte jahrzehntealte Wegschieben der Verantwortung von der Politik auf die Forschung. Ein selbst ausgestellter Freispruch fürs Nichtstun. Das Problem ist nur, dass die Erwärmung der Erde die 1,5 Grad, die verhindern zu wollen globaler Konsens war, nach allen Prognosen bereits in wenigen Jahren überschreiten wird.

Habeck kann sein Gesetz wie seinerzeit Schröder Hartz IV nicht gut erklären

Dass „wir zu viel Zeit verplempert haben“, sagt auch Habeck bei vielen Gelegenheiten, ohne daraus eine kommunikative Offensive entwickeln zu können. Auch Schröder hat Hartz IV eher halbherzig erklärt, überließ das lieber anderen. Die, etwa der damalige NRW-Ministerpräsident Peer Steinbrück, wurden vor Veranstaltungen dann gerne mit Särgen begrüßt, in denen die Genossen den Sozialstaat zu Grabe trugen.

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Klar ist: Will diese Regierung die Heizungswende einleiten, muss sie vielen Menschen im Land weh tun. So wie Rot-Grün seinerzeit Millionen Menschen Geld weggenommen hat, die statt Arbeitslosenhilfe nur noch Hartz IV bekommen haben. Diesmal trifft es vor allem die Mittelschicht in ihrer ganzen Breite. Wie vor 20 Jahren die sozialdemokratischen wollen jetzt die grünen Abgeordneten nicht für soziale Verwerfungen verantwortlich sein. Sie fordern eine nach Einkommen gestaffelte Förderung von bis zu 80 Prozent für Geringverdiener. Denn auch solche wohnen, etwa nach einem Erbe, nicht selten im eigenen Haus.

Erst Heizungen verbieten, dann die Folgen bedenken – falsche Reihenfolge

Ähnliches riet die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer jüngst im Interview mit unserer Zeitung. Neben einkommensabhängiger Förderung forderte sie Übergangsfristen und mehr Ausnahmeregelungen für jene, die es trotzdem nicht schaffen sowie eine Finanzierung aus dem nicht ausgeschöpften Topf für die Energiepreisbremsen. Habecks größter Fehler war, zuerst sein Gesetz zum Verbot von Öl- und Gasheizungen zu präsentieren und nachher all das anzugehen, was es erst bezahlbar und umsetzbar macht. Dazu gehören auch die Wärmepläne der Kommunen, die Habeck jetzt einfordert. Das war die falsche Reihenfolge.

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Eine sozial abgefederte, klug finanzierte, grüne Wärmewende – das klingt nach einer Herausforderung, die wie gemacht ist für eine rot-gelb-grüne Regierung. Die Frage ist nur, wie groß das Interesse von FDP und SPD ist, dem angeschlagenen Star der Grünen zu helfen. Kanzler Scholz macht bisher keine Anstalten, eine Agenda 2030 mit grünem Schwerpunkt aufzusetzen. Und die FDP wird nicht darauf dringen, schon aus Rücksicht auf die Klimaskeptiker in ihren Reihen wie Frank Schäffler und auf ihren Verkehrsminister Volker Wissing, dessen Ressort seine Klimaziele am weitesten verfehlt. Aus den 77 Fragen der FDP an Habeck zum Heizungsgesetz lässt sich vielmehr herauslesen, dass die Liberalen am liebsten gar nichts machen würden. So wollen sie in Frage sechs wissen, welchen Effekt es hätte, nur die Gebäude zu sanieren, ohne Heizungen auszutauschen.

Die Grünen müssen sich auf jahrelangen Gegenwind einstellen

Nur die SPD konnte eine Sozialreform wie Hartz IV durchsetzen, sagen politische Beobachter gern. Vielleicht können jetzt nur die Grünen die so unpopuläre Heizungswende vollziehen. Läuft es wie vor 20 Jahren, dürfen sie dafür keinen Beifall erwarten, sondern jahrelangen Gegenwind.

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