Berlin. Acht Stunden haben Union und SPD am Montagabend sondiert - und dann ein mögliches drittes Treffen vereinbart. In der Diskussion sei es auch laut geworden, heißt es: NRW-Ministerpräsidentin Kraft soll beim Thema Steuern und Finanzen der Kragen geplatzt sein. Auslöser war wohl eine Provokation von CSU-Generalsekretär Dobrinth.
Es ist kurz nach Mitternacht, als CSU-Chef Horst Seehofer in die Nacht entschwindet. Auf die Frage, ob die Atmosphäre mit den sieben Verhandlern der SPD gut gewesen sei, sagt er nur: "Acht Stunden sind anstrengend." Zwischendrin soll es auch mal gerappelt haben, Seehofer spricht von einem "Auf und Ab".
Das gehört wohl dazu, wenn es um die Frage geht, mit wem man vier Jahre lang Deutschland regieren will. Anscheinend war es so anstrengend, dass am Ende beinahe ein Lapsus passiert wäre. Zunächst hieß es beiderseits, Union und SPD hätten eine dritte Sondierungsrunde vereinbart. Dann schoben die Generalsekretäre von CDU, CSU und SPD, Hermann Gröhe, Alexander Dobrindt und Andrea Nahles vor den Mikrofonen aber nach, erst müsse man die zweite Sondierung von Union und Grünen am Dienstagabend abwarten.
Union hält sich Bündnis mit den Grünen offen - zumindest theoretisch
Offenbar hatte man des Nachts nicht mehr so ganz auf dem Schirm, dass Schwarz-Grün ja theoretisch möglich ist. Auch wenn auf allen Seiten gemutmaßt wird, dass das zweite Sondierungsgespräch von Union und Grünen am Dienstagabend scheitert. Vor allem die Äußerungen der Grünen selbst, aber auch von Unions- und SPD-Politikern deuteten darauf hin, dass sie nicht an ein solches Bündnis glauben.
Gröhe kündigte an, die Union werde am Mittwoch über die dritte Sondierungsrunde am Donnerstag entscheiden, "ob es dazu kommt, mit wem es dazu kommt". Dobrindt meinte: "Das ist die Woche der Klarheit." Aber auch: "Man muss feststellen, es ist noch einiges an Nebel vorhanden." Es gebe noch keine Vereinbarungen mit der SPD. Aber die Union signalisiere Gesprächsbereitschaft.
Mindestlohn als "rote Linie" für ein Bündnis
Die Union weiß, dass die SPD-Spitze konkrete Ergebnisse und Erfolge braucht, wenn sie ihren Parteikonvent am Sonntag von Verhandlungen über eine große Koalition überzeugen will. Nahles sagte: "Wir würden uns Gesprächen nicht verweigern." Aber auch: "Wir können noch keine Empfehlung an den Konvent geben."
Auch interessant
Zum Leuchtturmprojekt für die SPD hat sich der flächendeckende gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro herauskristallisiert - das SPD-Schlüsselthema im Wahlkampf. Aus 40.000 Ideen von Bürgern für das SPD-Wahlprogramm war bei einem Bürgerkonvent der Mindestlohn zum wichtigsten Ziel gewählt worden. Nahles nannte kurz vor dem zweiten Treffen mit der Union die Einführung als rote Linie für ein Bündnis.
Lautstarker Disput zwischen Kraft und Dobrindt
Besonders umstritten in der Runde war aber nicht der Mindestlohn, sondern das Thema Steuern und Finanzen. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) soll Merkel entgegengeschleudert haben, dass man so keine Verhandlungen führen könne. Auslöser war wohl eine Provokation Dobrindts: Kraft solle erst mal ihren Landeshaushalt in Ordnung bringen.
"Man muss auch die Belastbarkeit einer möglichen neuen Koalition austesten", sagte Dobrindt nach den Verhandlungen dazu. Sie habe "auch ganz andere Leute lautstark gehört", erklärte Andrea Nahles. Sie bewertete dies allerdings als "ganz normal". Auch machte Nahles deutlich, die SPD würde sich weiteren Gesprächen mit der Union nicht verweigern.
Auch interessant
Bei einer internen Telefonkonferenz am Dienstagmorgen habe Kraft laut Parteikreisen geschildert, Dobrindt habe der SPD im Streit über das Betreuungsgeld eine "Ökonomisierung der Familienpolitik" vorgeworfen, wonach die SPD allein die Verwertbarkeit für den Arbeitsmarkt im Blick habe. Dies habe die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin "freundlich, aber durchsetzungsstark" in der Runde mit der Union zurückgewiesen.
Signale auf Schwarz-Rot
Die Signale stehen trotz aller Differenzen auf Schwarz-Rot. Die Gespräche seien so intensiv gewesen, dass sie schon fast wie Verhandlungen anmuteten. Sollte es am Donnerstag zu einer dritten Runde von Union und SPD kommen, ist aber auch klar: Wenn die SPD-Kommission dem Parteikonvent am Sonntag mit 200 Delegierten nicht etwas Greifbares anbieten kann, droht ein Nein. So ist es ein schmaler Grat für alle.
Das nächtliche Ringen verlangte allen viel ab. Nahles erinnerte sich noch an die Koalitionsverhandlungen 2005 mit der Union. Da habe es wenigstens Alkohol gegeben. "Heute war da echt nix." (dpa/afp)