Düsseldorf. . Der NRW-Ministerpräsidentin fällt bei den Sondierungsgesprächen zwischen Sozialdemokraten und Konservativen in Berlin eine Hauptrolle zu. Doch Hannelore Kraft zögert mit einer Festlegung und spielt auf Zeit. So wie schon einmal. Eine Analyse.
Es ist ein Termin wie gemacht für Hannelore Kraft. Das Landtagsgebäude feiert an diesem verregneten Freitag 25. Geburtstag. Lokalgrößen von Hünxe bis Höxter sind da, NRW-Stars wie die „Tatort“-Kommissare Ballauf und Schenk senden Videobotschaften, Karnevalsbarde Bernd Stelter sorgt für Stimmung.
Doch ausgerechnet „die Hannelore“, die viel auf ihre Bodenständigkeit hält, fehlt beim heimeligen Landesfest. Die Ministerpräsidentin müsse „kurzfristig Termine in Berlin“ wahrnehmen, entschuldigt Landtagspräsidentin Carina Gödecke.
Hauptrolle für Kraft bei Sondierungsgesprächen
Zu diesem Zeitpunkt sitzt Kraft in Berlin mit den sechs anderen SPD-Unterhändlern für die Koalitionssondierungen zusammen und berät die Linie für die vorentscheidenden Gespräche mit der Union am Montag. Kraft wird am Ende eine Hauptrolle zufallen: Wenn sie als NRW-Ministerpräsidentin und Chefin des größten SPD-Landesverbandes den Daumen senkt, wird sich kein Parteikonvent, erst recht kein Mitgliederentscheid für eine Große Koalition aussprechen. Also lautet eine der meist gestellten Fragen zurzeit: Was will Kraft?
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Formal ausgeschlossen hat sie ein schwarz-rotes Bündnis seit dem Wahlabend nie. Kraft hat von „großer Skepsis“ an der Parteibasis berichtet, dass es „keinen Automatismus“ gebe, man „kein Mehrheitsbeschaffer für Frau Merkel“ sein wolle und eine Große Koalition „eigentlich für die Demokratie kein guter Weg wäre“. Aus der kaum kaschierten Abneigung entstand in Berlin schnell eine gewaltige Spekulationsblase.
Kraft wolle eine Große Koalition verhindern, weil sie bei einer solchen politischen Großwetterlage um ihre Wiederwahlchancen in NRW fürchten müsse oder sich eine Kanzlerkandidatur 2017 offen halten wolle. Ihre Popularität basiere auch auf Abgrenzung zum Bund, was bei einer SPD-Regierungsbeteiligung schwieriger werde. Oder: Sie verliere als Koordinatorin der SPD-geführten Länder im Bundesrat an Einfluss, sobald Ga-briel zum Vizekanzler der Regierung Merkel aufsteige.
„Selten so viel Unsinn gehört“
„Selten so viel Unsinn gehört“, knurrte Kraft genervt, als sie bei „Günther Jauch“ darauf angesprochen wurde. Ihr Platz bleibe auch 2017 in NRW, betont sie stets. Die Koordination des rot-grün dominierten Bundesrats würde nicht leichter durch Schwarz-Rot im Bund. Und dass man trotz Großer Koalition zu Hause Wahlen gewinnen kann, hat zuletzt SPD-Regent Kurt Beck 2006 in Rheinland-Pfalz vorgemacht.
Vermutlich ist die Lage simpler. Kraft verdankt ihren Aufstieg zur mächtigsten Frau der Sozialdemokratie einer ungewöhnlichen Basisnähe. Sie hat die SPD in NRW als „Kümmerer-Partei“ wiederbelebt, glaubt an das sozialdemokratische Aufstiegsversprechen.
Doppelkopf und Kumpel-Atmosphäre
Für sie sind Jubilar-Ehrungen keine Zeitverschwendung und sie wirkt ganz bei sich, wenn sie im Kreise der Parteifreunde spaßeshalber auf Ruhrdeutsch kumpeln kann: „Komm ma bei mich bei.“ Sollen sie doch in Berlin über ihre Doppelkopf-Abende und den Urlaub im Sauerland spötteln. Kraft gewinnt Wahlen. Das Schlimmste, was ihr passieren könnte: Beim Gerangel um die Große Koalition nicht „die Partei mitzunehmen“, wie sie das nennt. Bloß nicht nach dem Absturz auf 25 Prozent auch noch jene verprellen, die die SPD ausmachen.
Den Widerstand der Basis können die Unterhändler wohl nur brechen, wenn sie sichtbare Erfolge präsentieren. Gesetzlicher Mindestlohn, Kommunalfinanzen, Infrastruktur, Bildung sind die Überschriften. Es müsse augenfällig werden, warum sich die SPD noch einmal auf Merkel einlasse, heißt es. Die Angst vor dem Zukunftsmodell Schwarz-Grün oder das strategische Dilemma einer Neuwahl könnten keine inhaltliche Begründung ersetzen.
Experiment Minderheitsregierung
Kraft tastet sich durch den Prozess. Das Vorsichtige und Lernende entspricht dem Politikstil und Erfahrungsschatz der Quereinsteigerin, die erst mit 39 Berufspolitikerin wurde. Sie gibt der Skepsis lieber eine Stimme als sie zu übertönen.
Nach der Landtagswahl 2010 steckte NRW in einer Art Patt-Situation. Berlin drängte Kraft in Richtung Große Koalition. In ihrem Büro aber wuchsen täglich zwei ungefähr gleich hohe Stapel mit Drohschreiben: Die einen wollten aus der Partei austreten, wenn sie mit der Rüttgers-CDU regiert, die anderen, wenn sie die Linkspartei ins Boot holt.
Am Ende ständiger Rückkopplungen mit der Basis ließ sich die zaudernde Kraft von den Grünen in eine Minderheitsregierung schubsen. Ein dritter Weg, der diesmal noch nicht erkennbar ist.