Berlin. . Peer Steinbrück hat der Kanzlerin das Fingerspitzengefühl für Europa abgesprochen - mit Verweis auf deren Herkunft aus der DDR. Dafür erntet der SPD-Kanzlerkandidat einen Sturm der Entrüstung. Steinbrück beleidige „Millionen Menschen in der ehemaligen DDR und in ganz Mittel- und Osteuropa“, empörte sich CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe.

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück hätte es wissen können. Wer an der ostdeutschen Psyche kratzt, bezieht im Wahlkampf Prügel. Bereits 2005 entfachte CSU-Frontmann Edmund Stoiber einen Sturm der Entrüstung, als er nach den Wahlerfolgen der Linken lästerte, dass die „Frustrierten“ nicht über die Zukunft Deutschlands entscheiden dürften.

Ähnlich verheerend fällt nun das Echo auf Steinbrück aus, der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) die Leidenschaft für Europa absprach – mit giftigem Verweis auf deren Sozialisation in der DDR. „Ich halte daran fest: Die Tatsache, dass sie jedenfalls bis 1989/1990 eine ganz andere persönliche und politische Sozialisation miterlebt hat als die, die diese europäische Integration seit Anfang der 50er-Jahre miterlebt haben, beginnend mit den Montanverträgen, das spielt in meinen Augen schon eine Rolle“, sagte Steinbrück auf einer Tagung in Berlin.

Auch die Linken sind sauer

Damit beleidige Steinbrück „Millionen Menschen in der ehemaligen DDR und in ganz Mittel- und Osteuropa“, empörte sich CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe. Auch bei der Linken war man sauer. „Wenn die Menschen im Osten vor 24 Jahren nicht auf die Straße gegangen wären, gäbe es heute östlich der Elbe kein EU-Land“, konterte Parteichefin Katja Kipping. SPD-Größen gaben sich lieber wortkarg, um ihrem Spitzenmann nicht in den Rücken fallen zu müssen.

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Bereits in seinem Buch „Zug um Zug“ hatte Steinbrück Merkels Europa-Leidenschaft infrage gestellt. Nun mag die Kanzlerin nicht das ganz große Feuer für Europa in sich tragen, wie einst Kanzler Helmut Kohl. Doch das war schon beim SPD-Kanzler Gerhard Schröder nicht mehr der Fall. Merkel aber eine mangelnde Europa-Neigung aufgrund ihrer Herkunft zu unterstellen, ist abwegig.

Merkel erhielt 2008 den Karlspreis

Die Euro-Rettung dominiert Merkels Kanzlerschaft wie kein zweites Thema. Dass Europa eine zentrale Rolle für sie spielt, hat die Kanzlerin auf vielen EU-Gipfeltreffen klargestellt. Verglichen mit anderen Themen steckt sie deutlich mehr Zeit und Energie in die Europapolitik. Bereits 2008 erhielt Merkel für ihre Verdienste um die europäische Einigung den Karlspreis.

Allerdings geht die promovierte Physikerin Merkel nüchtern und rational an die Dinge heran. Bei der Euro-Rettung fuhr sie „auf Sicht“, mit dem Ziel, Fehler zu vermeiden. Die Rettungspakete, die nie zuvor erprobt werden konnten, hat sie – ganz Merkel eben – Stück für Stück auf den Weg gebracht.

Steinbrücks Attacke ist zwar dem Wahlkampf geschuldet. Sie zeugt aber auch von der unterschiedlichen Sichtweise im Umgang mit Europa. Denn der SPD-Herausforderer hält die Sparpolitik der Kanzlerin für manche Euro-Länder für „tödlich“. Merkel setzt auf Verschärfung des Stabilitätspaktes, Schuldenabbau und drastische Strukturreformen.

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Bei Steinbrücks SPD heißt es dagegen, Merkels Politik zwinge die Krisenländer in eine Kürzungspolitik ohne jeden Wachstumsimpuls. Die SPD fordert mehr Wachstumsinitiativen in der EU. Steinbrück hat ein „zweites Marshallprogramm“ ins Gespräch gebracht.

Bürger stützen die Sparpolitik

Um die Handlungsfähigkeit der Länder sicherzustellen, setzt die SPD auf einen europäischen Schuldentilgungsfonds. Der Begriff „Eurobonds“ kommt im Wahlprogramm zwar nicht vor. Doch erst kürzlich sagte Steinbrück vor Journalisten: „Andere Länder können gern an den Zinsvorteilen der deutschen Schuldenaufnahme teilhaben, aber im Gegenzug schaue ich mir genau an, was sie mit dem Geld machen.“

Steinbrücks Problem: Bei den Bürgern kommt Merkel mit ihrer Sparpolitik an. 45 Prozent der Bürger glaubten im Juni laut Infratest dimap, dass die Union am ehesten die Euro- und Schuldenkrise in den Griff bekommt. Auf die SPD setzten nur 14 Prozent. Im Gegenzug sahen es im Mai 70 Prozent der Befragten als Problem an, dass die SPD nicht richtig deutlich mache, wie sie die Eurokrise lösen wolle. Auch vor diesem Hintergrund dürfte sich der SPD-Kanzlerkandidat mit seiner Attacke auf Merkel keinen Gefallen getan haben.