München. Im NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht München macht Richter Götzl am Donnerstag Tempo und verhandelt einen Antrag nach dem anderen. Er entscheidet: Der Kölner Nagelbomben-Anschlag wird nicht abgekoppelt. Derweil hat der NSU-Untersuchungsausschuss zum letzten Mal getagt und Bilanz gezogen.

Im NSU-Prozess haben die Angeklagten Holger G. und Carsten S. angekündigt, vor Gericht auszusagen. Die Anwälte von Beate Zschäpe erklärten hingegen in der mündlichen Verhandlung am Donnerstag erneut, dass ihre Mandantin keine Aussage machen werde. Auch André E. will sich nicht vor Gericht äußern. Die Anwältin von Ralf Wohlleben kündigte eine Erklärung der Verteidiger an.

Zschäpe-Verteidiger forderten erneute Aussetzung des Verfahrens

Richter Manfred Götzl hatte zuvor aufs Tempo gedrückt: Am Donnerstag verhandelte das Oberlandesgericht München über zahlreiche Anträge von Verteidigung und Nebenklägern - darunter verschiedene auf Einsicht der Akten aus den parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschüssen. Die Verteidigung der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatte gefordert, den Prozess auszusetzen oder zumindest für drei Wochen zu unterbrechen, um Einsicht in die Akten zu nehmen.

Der rechte Terror der NSU"Das Verfahren muss nicht ausgesetzt werden, um diese Akten beizuziehen und einzusehen", sagte dagegen Bundesanwalt Herbert Diemer. "Es kann darin nichts enthalten sein, was für die Schuld- und Straffrage von Bedeutung ist." Zahlreiche Nebenkläger aber sehen das anders und beantragten ebenfalls eine weitergehende Einsicht in Akten - allerdings ohne deshalb den Prozess zu unterbrechen, der bislang ohnehin nur schleppend in Gang gekommen ist.

NSU-Prozess soll am 4. Juni fortgesetzt werden

Eine Entscheidung fiel am Donnerstag: Der Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße wird nicht aus dem NSU-Prozess ausgekoppelt. "Der Senat beabsichtigt derzeit nicht, eine Abtrennung des Komplexes Keupstraße vorzunehmen", sagte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl. Bei dem Bombenanschlag in Köln am 9. Juni 2004 waren 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt worden.

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Das Gericht hatte über eine Abtrennung dieser Tat vom übrigen Prozess nachgedacht, weil sich deshalb möglicherweise noch zahlreiche weitere Nebenkläger anschließen könnten. Sowohl die Bundesanwaltschaft als auch Nebenkläger und Verteidigung hatten sich gegen eine Abtrennung ausgesprochen.

Der Prozess um die Terroranschläge des "Nationalsozialistischen Untergrunds" wurde am Donnerstag unterbrochen und soll nach den Pfingstferien am 4. Juni fortgesetzt werden.

NSU-Untersuchungsausschuss wirft Behörden Totalversagen vor 

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages hat derweil in seiner Abschlusssitzung nach mehr als einem Jahr Arbeit den deutschen Sicherheitsbehörden Totalversagen bescheinigt. Im Fall der rechtsextremen Terrorzelle NSU hätten Polizei und Nachrichtendienste vorurteilsbeladen und mit Scheuklappen ermittelt, sagte der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am Donnerstag in Berlin. "Das war eines Rechtsstaates unwürdig. Und das darf sich nicht wiederholen." Die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern hätten sich nicht ausreichend ausgetauscht und die Gefahr durch den Rechtsextremismus massiv unterschätzt.

In der letzten Beweisaufnahme-Sitzung des Gremiums befragten die Mitglieder zunächst eine Zeugin des Verfassungsschutzes. Anschließend wollten sie mehrere Sachverständige anhören - darunter die Ombudsfrau der Bundesregierung für die NSU-Opfer, Barbara John. In den kommenden Monaten wird der Ausschuss dann an seinem Abschlussbericht arbeiten, über den der Bundestag am 3. September beraten soll.

"Historisch beispielloses Versagen" der Sicherheitsbehörden

Das Parlament hatte den Ausschuss am 26. Januar 2012 eingesetzt, um die Verbrechen der rechtsextremen Terrorzelle NSU zu untersuchen. Dem "Nationalsozialistischen Untergrund" werden zwischen den Jahren 2000 und 2007 zehn Morde zur Last gelegt - an neun türkisch- und griechischstämmigen Kleinunternehmern und an einer Polizistin. Die mutmaßliche NSU-Terroristin und einzige Überlebende der Gruppe, Beate Zschäpe, steht derzeit in München vor Gericht. Nachrichtendienste und Polizei waren der Bande jahrelang nicht auf die Spur gekommen.

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Von Kai Mudra und Lavinia Meier-Ewert

Edathy sprach von einem "multiplen" und "historisch beispiellosen" Versagen der Sicherheitsbehörden. Die SPD-Obfrau Eva Högl sagte, die schweren Versäumnisse seien eine bittere Erkenntnis. Der Rechtsextremismus in Deutschland sei über Jahre flächendeckend verharmlost worden. "Daraus müssen wir lernen."

Abschlussbericht zum NSU-Terror wird wohl über 1000 Seiten lang

Die Linke-Obfrau Petra Pau sagte, bei der Aufarbeitung hätten sich viele Abgründe aufgetan. Der Grünen-Obmann Wolfgang Wieland sprach von einem "Totalversagen unserer Sicherheitsbehörden auf allen Etagen". Die Sicherheitsarchitektur habe sich im Fall NSU als "so tragfähig erwiesen wie eine Schuhfabrik in Kambodscha". Er betonte aber, der Ausschuss habe keinerlei Anzeichen dafür gefunden, dass staatliche Stellen die Terrorzelle bewusst gedeckt haben.

Die Obleute mahnten, die Sicherheitsbehörden müssten grundlegend reformiert werden. Auch in der Polizeiausbildung müsse sich viel ändern. Die detaillierten Schlussfolgerungen der Untersuchungen folgen im Abschlussbericht, der wohl mehr als 1000 Seiten lang wird.

Der FDP-Obmann Hartfrid Wolff warb dafür, die Arbeit des Untersuchungsausschusses in der nächsten Legislaturperiode fortzusetzen. Unter den Obleuten steht er damit aber alleine da.

Ursprünglich sollte auch die Bund-Länder-Kommission zum Rechtsterrorismus zu der Abschlusssitzung des Gremiums kommen. Die Innenministerkonferenz hatte jedoch verlangt, die Beratungen mit der Kommission nicht-öffentlich abzuhalten. Der Ausschuss hatte dies abgelehnt und schließlich auf das Treffen verzichtet. (dpa)