München. Der bedeutendste Terrorprozess seit den Zeiten der RAF will nicht in die Gänge kommen. Am ersten Tag hagelte es Befangenheitsanträge der Verteidiger von Beate Zschäpe und ihren vier Mitangeklagten. Bis die geprüft sind, wird der Prozess um die Morde der NSU-Terrorzelle ausgesetzt. Nächster Termin: 14. Mai.

Wie sieht eine mutmaßliche Rechtsterroristin aus? Es ist kurz vor 10 im Saal A101 des Justizzentrums zu München, als Beate Zschäpe ihre ganz persönliche Antwort gibt.

Gut eineinhalb Jahre sind vergangen, seit sie in Zwickau eine Haushälfte explodieren ließ. 18 Monate ist es her, dass sie Umschläge mit einer Film-DVD in Postkästen warf, auf der sich ein selbsternannter „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU) zu einer monströsen Verbrechensserie bekannte. Damals, im November 2011, fotografierten Polizeibeamten in Jena eine müde Frau mit Brille und strähnigem Haar, die gerade eine mehrtägige Irrfahrt durch Deutschland hinter sich hatte.

Verzögerungen vom Start weg

Doch nun steht eine andere Beate Zschäpe im Gerichtssaal. Sie, die Anfang dieses Jahres 38 wurde, trägt eine weiße Bluse zum dunklen Hosenanzug und sehr große Ohrringe. Eine Brille ist nicht zu sehen. Ihre langen, dunklen Haare sind säuberlich frisiert, die Arme hält sie verschränkt. Das ist also die Frau, die im Zentrum eines der spektakulärsten Prozesse in der deutschen Geschichte steht. Das ist die Frau, die der Boulevard „Terrorbraut“ taufte und die draußen auf der Straße, „Hitlerkind“, genannt wird. Das ist die Frau, von der Bundesanwaltschaft für zehn Morde, zwei Sprengstoffanschlägen und mehr als einem Dutzend Raubüberfälle verantwortlich gemacht wird.

Aber all dies muss bewiesen werden – genauso wie die anderen Vorwürfe: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, schwere Brandstiftung, versuchter Mord durch Brandstiftung. Bis zum nächsten Januar hat der 6. Strafsenat des Münchner Oberlandesgerichts 80 Verhandlungstage mit 600 Zeugen eingeplant. Vorerst.

Berichtet für uns vor Ort aus dem Gerichtssaal: Kai Mudra (50) arbeitet seit 1999 als Redakteur für die Thüringer Allgemeine. Er beschäftigt sich vor allem mit den Themenbereichen Justiz, Polizei und Rechtsextremismus. Seine Stationen davor: Nach einem Philosophiestudium in Berlin arbeitete er zwischen  1991 und 1996 in Erfurt für die Deutsche Presseagentur. Zwischen 1996 und 1999 wirkte er für  „Landeswelle Thüringen“ als Korrespondent.
Berichtet für uns vor Ort aus dem Gerichtssaal: Kai Mudra (50) arbeitet seit 1999 als Redakteur für die Thüringer Allgemeine. Er beschäftigt sich vor allem mit den Themenbereichen Justiz, Polizei und Rechtsextremismus. Seine Stationen davor: Nach einem Philosophiestudium in Berlin arbeitete er zwischen  1991 und 1996 in Erfurt für die Deutsche Presseagentur. Zwischen 1996 und 1999 wirkte er für  „Landeswelle Thüringen“ als Korrespondent.
Berichtet für uns vor Ort aus dem Gerichtssaal: Martin Debes (41) arbeitet seit dem Jahr 2000 als Politik-Redakteur bei der Thüringer Allgemeinen; seit 2007 leitete er das Ressort Landesredaktion. Er besitzt nach einem Studium in Jena und den USA einen Magister in Politik und Geschichte und hat sein Handwerk an der Deutschen Journalistenschule in München erlernt.
Berichtet für uns vor Ort aus dem Gerichtssaal: Martin Debes (41) arbeitet seit dem Jahr 2000 als Politik-Redakteur bei der Thüringer Allgemeinen; seit 2007 leitete er das Ressort Landesredaktion. Er besitzt nach einem Studium in Jena und den USA einen Magister in Politik und Geschichte und hat sein Handwerk an der Deutschen Journalistenschule in München erlernt.

Doch der für 10 Uhr geplante Verhandlungsbeginn verzögert sich. Der Vorsitzende Richter Manfred Götzl und seine vier Beisitzer sind noch nicht da – was manchem wie ein Symbol erscheinen mag. Schließlich war es derselbe Richter, der, nachdem er die Presseplätze offenkundig falsch vergeben hatte, den Prozess um fast drei Wochen verschoben hatte.

Beate Zschäpe gibt sich unbeeindruckt

Alle anderen sitzen schon an ihrem Platz. Die Bundesanwaltschaft hat vier Ankläger nach München geschickt. Die fünf Angeklagten werden von einem knappen Dutzend Verteidigern vertreten. Auf der Tribüne ist jeder der 100 Plätze für Gäste und Journalisten besetzt.

Der Saal, der eher klein, wirkt, ist brechend gefüllt, die Luft rasch verbraucht. Von den rund zugelassenen 80 Nebenklägern sind 26 erschienen, zusammen mit etwa 60 Anwälten. Auch die Tochter des ersten Mordopfers, von Enver Simsek, sitzt im Saal.

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Doch Beate Zschäpe lässt sich offenkundig von den Menschen nicht irritieren, deren Väter, Onkel, Brüder oder Söhne sie mitgetötet haben soll. Sie redet mit ihrer Anwältin Anja Sturm und achtet nebenher darauf, dass die Fotografen sie kaum von vorne aufnehmen können. Und: Immer wieder lächelt die Frau. Auch Ralf Wohlleben (38), in kariertem Hemd und dunkler Jacke, scherzt mit seiner Anwältin Nicole Schneiders. Man kennt sich aus gemeinsamen Zeiten in der Jenaer NPD. Er ist der Beihilfe zu den Morden und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung angeklagt und sitzt wie Beate Zschäpe seit November 2011 in Untersuchungshaft. Am Morgen hatte sie beide ein Sondereinsatzkommando aus dem Gefängnis München-Stadelheim in das schwer bewachte Justizzentrum gebracht.

Die anderen drei Mitangeklagten sind zwar längst wieder entlassen – wirken aber zum Teil deutlich bedrückter. Carsten S. (32), der zusammen mit Wohlleben die Mordwaffe besorgt haben soll, hat sich eine Kapuze über den Kopf gezogen. Holger G. (38), der die Waffe zu Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe nach Zwickau brachte, schützt sich mit einem Aktenordner vor den Kameras.

Nur Andre E. (33), der bis zuletzt das Trio unterstützt haben soll, gibt sich entspannt. Er trägt eine Baseballkappe über der Sonnenbrille und sitzt mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl.

Eskalation vor dem Justizgebäude

Dann, es ist 10.24 Uhr, geht es los. Manfred Götzl und die Beisitzer sind eine Minute zuvor aus der Tür hinter der Richterbank getreten. Die Fotografen und Fernsehteams müssen den Saal verlassen. Die Journalisten dürfen von jetzt an nichts mehr von ihren Laptops und Handy aus dem Saal senden.

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Draußen, vor dem Justizgebäude, scheint zu diesem Zeitpunkt die Situation zu eskalieren. Schon vor sieben Uhr hatten die ersten Demonstranten ihre Transparente ausgerollt. Nun sind es ungefähr 200 Menschen, die an der Nymphenburger Straße stehen und Parolen für die Internationalität und gegen den Faschismus skandieren. Das „Bündnis gegen Naziterror und Rassismus“ hat sich genauso angemeldet wie der Türkische Volksverein. Die Mottos lauten „Zeig Haltung – Gemeinsam gegen Rassismus“ oder „München bleibt bunt und wird nicht braun“.

Die Polizei, die mit mindestens 500 Beamten im Einsatz, sperrt nun auch die Nymphenburger Straße und die Nebenstraßen für den Verkehr. Die Stimmung schlägt um, als zwei Frauen, auf den Platz vor dem Gericht durchdringen wollen, der aber innerhalb der Bannmeile liegt, in der sich nur die Prozessbeteiligten und Journalisten aufhalten dürfen. Die Frauen werden abgeführt.

Derweil geht im Saal 101 alles seinen formaljuristischen Gang. Die drei türkischen Dolmetscher werden vereidigt, dann verliest Richter Götzl die Namen aller Prozessbeteiligten. Dann beginnt das juristische Hakeln.

Nebenklage verärgert über "eitle" Befangenheitsanträge 

Die Verteidiger Zschäpes verweisen auf ihren bereits am Wochenende eingegangenen Befangenheitsantrag gegen den Richter. Die Begründung fußt darauf, dass Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl durch die normale, wie in Flughäfen übliche Sicherheitsschleuse am Gerichtseingang gehen mussten – und die Vertreter der Anklage nicht. Dies, sagen die Anwälte, sei Diskriminierung. Das Gericht müsse deshalb jetzt über den Antrag entscheiden.

Und schon ist die Sitzung das erste Mal unterbrochen. Als sie nach 20 wieder Minuten beginnt, wird der Antrag, der nicht allen Beteiligten vorliegt, in Gänze verlesen. Eine Dreiviertelstunde benötigt Anwalt Wolfgang Stahl für den Text.

Jetzt ist es an den Anwälten der Nebenkläger, empört zu sein. Es gehe der Verteidigung nur darum den Prozess nur zu verzögern und so den Opfern noch mehr Qualen zu bereiten, sagt Reinhard Schön, der die Opfer des Kölner Bombenanschlags vertritt. In einem Verfahren, in dem über die schlimmsten Verbrechen von Neonazis seit dem Zweiten Weltkrieg verhandelt werde, sollte es nicht so sehr um „Eitelkeiten“ gehen.

Es folgt wieder Empörung auf der Gegenseite. Es sei ihr, ihre Mandantin so gut wie möglich zu verteidigen, sagten die Verteidigen.

Es ist gegen 12 Uhr, als es die nächste Unterbrechung gibt: Mittagspause.

Um 13.30 geht es weiter. Zschäpe sitzt ohne Jacke da, André E. hat immer noch seine Sonnenbrille auf. Ralf Wohlleben wirkt angegriffen. Vielleicht liegt dies daran, dass seine Frau, die auf einem Schild als Beistand angekündigt war, nicht erschienen ist.

Richter Götzl sagt, dass er die Entscheidung über den Befangenheitsantrag zurückstelle. Die Verhandlung müsse zügig fortgeführt werden. Wieder gibt es eine Unterbrechung. Diesmal hat sie Verteidigung von Ralf Wohlleben beantragt, weil man sich mit den Anwälten der anderen Verteidiger beraten will.

Juristisches Hickhack - und Vertagung

Dann, es ist 14 Uhr, wird der Prozess fortgesetzt – um sogleich neuerlich unterbrochen zu werden. Wohllebens Verteidiger Olaf Klemke verlangt eine förmliche Entscheidung über den Befangenheitsantrag

Während der Pause dürfen die Angeklagten im Gerichtssaal bleiben. Auffällig ist, dass sie nicht miteinander reden, obwohl sie sich auf Jenaer oder Zwickauer Zeiten gut kennen.

Schließlich, nach 20 Minuten, geht es weiter, die Luft im Saal wird immer schlechter. Immerhin werden immer mal wieder die Türen geöffnet.

Um kurz vor 16 Uhr gibt es die nächste Unterbrechung. Wohllebens Anwälte haben jetzt einen eigenen Befangenheitsantrag gestellt. Als die Sitzung gegen 16.30 Uhr neu gestartet wird, bekommen die Ankläger, Nebenklagevertreter und die anderen Verteidiger die Gelegenheit, Stellung zu nehmen.

Um 17 Uhr treten die Richter in ihren Roben wieder in den Saal und – verkünden die nächste Pause. Diesmal allerdings wird sie eine Woche dauern. Erst am nächsten Dienstag, dem 14. Mai, geht die Verhandlung weiter. Bis dahin, sagt Richter Götzl, müsse man über die Befangenheitsanträge beraten.

Die Nebenkläger, die Angehörigen der Opfer, verlassen den Saal. Ihre Gesichter sehen erschöpft aus.