Essen. Die Frau im Terror-Trio der „Zwickauer Zelle“ muss sich bald vor Gericht verantworten. Die Bundesanwaltschaft hat Anklage gegen die 37-Jährige erhoben, das bestätigte am Donnerstag das Oberlandesgericht München. Es geht um Schuld und Sühne. Aber niemand weiß, welche Taten man der Angeklagten nachweisen kann.

In der Dortmunder Nordstadt, in der Mallinckrodtstraße, hat Mehmet Kubasik seinen kleinen Kiosk betrieben. In der Nähe ist ein Gedenkstein für den türkischen Ladenbesitzer ins Pflaster eingelassen: „Ermordet am 4. April 2006 durch rechtsextreme Gewalttäter“. Mehr als sechs Jahre später geht es um Aufklärung, um Schuld und Mitschuld und Sühne nicht nur dieser Bluttat.

Das Oberlandesgericht München bestätigte am Donnerstag, dass Anklage gegen Beate Zschäpe und weitere Beschuldigte erhoben worden sei. Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe wird wegen der Mittäterschaft an zehn Morden angeklagt. Neben Zschäpe müssen sich vier mutmaßliche Unterstützer des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) verantworten.

Im Mittelpunkt der Anklage: Beate Zschäpe, 37. Zschäpe ist die Frau im Terror-Trio der „Zwickauer Zelle“. Die Gruppe, die sich „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) nannte, hat nach den Ergebnissen einer akribischen einjährigen Ermittlungsarbeit, die auf 300 000 Seiten, in 680 Aktenordnern und durch eine zehnfache Zahl an Beweisstücken dokumentiert ist, zehn Morde, zwei Bombenattentate und 15 Banküberfälle auf dem Gewissen. Der Mord in Dortmund ist darunter.

Zschäpe war offenbar nie am Tatort dabei

Ziel der tödlichen Schüsse in den Jahren zwischen 2000 und 2007 waren mit Ausnahme der Polizistin Michele Kiesewetter in Heilbronn immer Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund. Die, die mutmaßlich geschossen haben, Zschäpes Komplizen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos, sind tot. Als sich die Polizei am 4. November 2011 nach einem Bankraub in Eisenach ihrem Wohnwagen näherte, haben sie sich darin umgebracht.

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Ob die Ermittler der überlebenden Zschäpe einen „gemeinsamen Tatplan“ oder auch nur das Mitwissen der Taten nachweisen kann, ist offen in diesem Verfahren. Sie war, Sachstand heute, an keinem Tatort dabei. Es ist, auch aus Sicht der Ermittler, eine riskante Anklage, aber eine, die mit dem Vorwurf der Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung so weit wie möglich geht. Das ist nicht nur ein juristisches, sondern auch ein politisches Signal: Deutschland steht wegen der langen Liste von Fahndungspannen unter Druck. Die Weltöffentlichkeit sitzt mit im Zuschauerraum, wenn der Prozess nächstes Jahr vor dem Oberlandesgericht München beginnt.

Vor der Wende war Zschäpe in einer linken Gruppe

Neben der 37-jährigen werden von den zunächst 13 Beschuldigten wohl nur vier mutmaßliche Helfer auf der Anklagebank sitzen: Ralf Wohlleben, der frühere NPD-Funktionär, soll die Tatwaffe Typ Ceska besorgt haben. Carsten S. soll ihm geholfen, Holger G. und Andre E. der Gruppe so zugearbeitet haben, dass das Mord-Trio 14 Jahre im Untergrund leben konnte.

Der Prozess wird sich aber auf Zschäpe konzentrieren, auf ihren Tatanteil, ihren Charakter, ihr Leben. Sie hat durch familiäre Umstände in den ersten drei Lebensjahren dreimal den Nachnamen gewechselt, ist schon als Kind sechsmal umgezogen, bei der Oma aufgewachsen und schließlich in die Nachwende-Turbulenzen der Ereignisse von 1989 geraten. Sie, die noch vor der Wende einer linken Gruppe namens „Die Zecken“ angehörte, lernte im Ort Winzerla Uwe Mundlos kennen und lieben, den Typen mit der Bomberjacke. Der Skin zog sie wohl in die rechte Szene.

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1998, als in ihrer Garage eine Rohrbombe gefunden wird, tauchen die beiden mit dem Freund Uwe Böhnhardt in die Illegalität ab. Man geht gemeinsam nur nachts vor die Tür. Man wechselt die Waffen und ständig die Namen, lebt mal hier, mal dort. Nach außen, bei den Nachbarn, tritt nur Zschäpe auf. Sie gilt denen als die „gute Liese“, die den Jungs den Haushalt schmeißt. Eine Nette war sie aus der Distanz. Eine Katzenfreundin, keine Terrorbraut.

Viele Indizien deuten auf Zschäpe hin

Was erledigt Zschäpe wirklich, als im Jahr 2000 die Mordserie beginnt? Anklagen sind nie so detailliert. Aber Fahnder haben Einzelheiten ermittelt wie ihre Fingerabdrücke auf Zeitungsberichten über die Morde, Handy-Telefonate zu den Tatzeiten in die Nähe der Tatorte und die Herkunft der Nagelbombe in der Kölner Keupstraße im Juni 2004, die 22 Menschen verletzte. Es gibt Indizien, dass Zschäpe den Sprengsatz am Tatfahrrad präpariert haben könnte. Zu Hause muss sie das Geld verwaltet haben und das ungewöhnliche Arsenal dutzender Waffen.

Zwei der Mitangeklagten haben ausgesagt. Wohlleben, der dem Trio vielleicht am nächsten stand, schweigt beharrlich. In der Justizvollzugsanstalt Köln-Ossendorf tut das bisher auch Zschäpe. Die junge Frau wird von drei renommierten Anwälten verteidigt. Für die Anklage ist sie eine harte Nuss.

Wird die Nuss zu knacken sein? Zschäpe ist die einzige, die das Innenleben der braunen Zelle kennt. Die Kontakte der Mörder, die logistischen Vorbereitungen der Taten, die alle aus rassistischen Motiven unternommen wurden. Kannte sie auch Leute, die die über das ganze Bundesgebiet verteilten Tatorte vorab ausspioniert haben? In Städten wie Dortmund mit ihrer aggressiven Neonazi-Szene ist das eine spannende Frage. (mit rtr)