Essen. . Nach den Ermittlungspannen bei der Fahndung nach der Zwickauer Terrorzelle rücken Neonazis in den Fokus, die sich in die Gesellschaft einnisten. In Günther Jauchs Talkrunde am Sonntagabend entzündete sich insbesondere Kritik an der Polizei und den Behörden.
Zehn Jahre zogen die drei Neonazis der Zwickauer Terrorzelle mordend durch Deutschland. Die Schuld daran, dass sie nicht eher gestoppt worden sind, sehen viele bei den ermittelnden Behörden. Auch in Günther Jauchs Talkrunde zum Thema „Deutscher Hass – wie tief ist der Neonazi-Sumpf?“ zielte die Kritik der meisten Gäste auf die Polizei. Die Versuche von BundesInnenminister Hans-Peter Friedrich, seine Beamten zu verteidigen, wirkten da eher kläglich.
Sozialarbeiter Thomas Grund kennt Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt noch aus ihrer Jugend in Jena. Drei junge Menschen, die irgendwann in den rechten Sumpf abgerutscht sind. Die Gefahr, die von ihnen ausging, haben Streetworker Grund und seine Kollegen damals aber offenbar nicht erkannt. „Akzeptierende Jugendarbeit“ nennt sich das Konzept, das sie Anfang der 1990er Jahre bei ihnen anwendeten. Darunter fiel auch ein Konzert in einem Jugendzentrum: Eine rechte Band unterhielt dort auf Kosten der Steuerzahler die eh schon vom rechten Gedankengut angefixten Jugendlichen. Ganz offensichtlich weiß Thomas Grund, dass sein Vorgehen nichts gebracht hat. Auf Günther Jauchs Fragen antwortet er entschuldigend, verteidigend, schuldbewusst?
Einseitige Ermittlungen der Polizei
Diese „Pannenserie“, ein angesichts der Tatsachen eher verniedlichender Begriff, setzte sich in den Jahren darauf fort, mit offenbar anderen Behörden. Was Jauchs Gäste besonders kritisierten, ist die einseitige Ermittlung der Polizei und des Bundesnachrichtendienstes. Rechte Gewalt werde oft verharmlost, meinte etwa Grünen-Chef Cem Özdemir. Obwohl die Polizisten wissen, dass die Täter bei einer Straftat einen rechtsradikalen Hintergrund haben, werde nicht in diese Richtung ermittelt. Stattdessen suche man besonders bei Opfern mit Migrationshintergrund dieTäter zunächst in deren Familien-und Bekanntenkreis.
So sei es auch bei den Mordopfern der Zwickauer Terrorzelle gewesen, pflichtete Özdemir auch die Journalistin Mely Kiyak bei: „Alle wollten unbedingt, dass diese Opfer keine Opfer sind.“ Bestätigen wollte diese naive Grundhaltung der Behörden auch der Journalist Thomas Kuban, der verdeckt in der rechten Szene recherchiert. Bei Neonazi-Konzerten etwa habe er nur selten Polizisten gesehen, die dann im Falle einer Straftat noch nicht einmal eingreifen würden.
Sonderkommissionen benehmen sich wie Dorfpolizisten
Mely Kiyak berichtete intensiv über die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages und zeigte sich bei Jauch entsetzt über deren Qualifikationen und Arbeitsweisen: „Da sind Leiter von Sonderkommissionen, die sich wie Dorfpolizisten benehmen“, so die Journalistin. Außerdem sei „nie und zu keinem Zeitpunkt in alle Richtungen ermittelt“ worden, wie es beispielsweise Innenminister Hans-Peter Friedrich in Jauchs Sendung immer wieder betonte. Nach besagter Pannenserie sei die Struktur der ermittelnden Behörden komplett umgestellt worden. Man hätte aus Fehlern gelernt, das Vorgehen sei jetzt wie bei problematischen Islamisten auch bei den Neonazis eher auf Personen als auf Strukturen bezogen. Insgesamt leisteten die Ermittler „fantastische Arbeit“, so Friedrich.
Nun sieht ganz Deutschland dem NSU-Untersuchungsausschuss momentan genau auf die Finger. Unbemerkt bleibt dabei der tägliche Kampf gegen rechtes Gedankengut, den beispielsweise die von Kiyak so belächelten „Dorfpolizisten“ auszufechten versuchen – oder es versuchen sollten. Die Drohbriefe, die sie regelmäßig bekommt, verschwänden bei der Polizei nach ihren Angaben in irgendwelchen Akten, offenbar unbeachtet. Und wenn man den Erfahrungen von Thomas Kuban glauben kann, dann haben die rechten Geister bereits die Gesellschaft infiltriert: „Sie sind keine Randgruppe, sondern kommen aus der Mitte der Gesellschaft, bilden inzwischen sogar einen Querschnitt der Gesellschaft.“