Berlin/Freiburg. Papst Benedikt feierte bei seinem Besuch in der Heimat mit 360.000 Menschen ein Fest des Glaubens. Viele Kirchenmitglieder hatten allerdings mehr erwartet und wurden enttäuscht.
Jubelnde Menschenmengen im Südwesten wie auch im vermeintlich gottlosen Osten Deutschlands, lange Gesichter bei so manchem Kirchenfunktionär und Reformkatholiken: Papst Benedikt XVI. feierte im September in Berlin, Erfurt, dem Eichsfeld und in Freiburg vier Tage lang ein großes Fest des Glaubens. Doch er nutzte seinen ersten offiziellen Staatsbesuch in Deutschland auch dazu, den Verantwortlichen in Gesellschaft, insbesondere aber der Kirche in seinem Heimatland, entschieden ins Gewissen zu reden.
Anders als seine Reise zum Weltjugendtag in Köln 2005 und in seine bayerische Heimat 2006 stand Benedikts dritter Deutschlandbesuch unter sehr schwierigen Vorzeichen. Schließlich hatten die Missbrauchskandale die katholische Kirche in Deutschland 2010 in eine tiefe Krise gestürzt. Die ersten Monate des Jahres 2011 wiederum waren von großen innerkirchlichen Spannungen geprägt: Katholische Politiker und Dutzende Theologieprofessoren verlangten eine Abkehr vom Zwangszölibat, Bischöfe und Kardinäle gerieten über diese Forderungen öffentlich in Streit miteinander.
So sah sich Benedikt XVI. sehr gegensätzlichen Erwartungen ausgesetzt: Die einen erhofften sich von ihm Signale einer Öffnung der Kirche, andere wiederum Standhaftigkeit wider den Zeitgeist. Dass der Papst Erwartungen enttäuschen würde, stand damit von vornherein fest.
Kein "ökumenisches Gastgeschenk"
Und es überraschte auch nicht, dass vor allem jene enttäuscht wurden, die sich Reformsignale erhofft hatten. Ja, Benedikt geißelte sogar selbst entworfene "Kirchenträume", warf den Reformbewegungen ein falsches Kirchenverständnis vor und forderte zur Treue mit den Bischöfen und dem Papst auf.
Enttäuscht wurden auch alle Christen, die vom Oberhaupt der Katholiken eine wegweisende Ankündigung für die Ökumene erhofft hatten: Er habe kein "ökumenisches Gastgeschenk" mitgebracht, verkündete der Papst in Erfurter Augustinerkloster. Dass Benedikt damit den Ort besuchte, an dem Reformator Martin Luther als Mönch gelebt hatte, war dennoch ein Bekenntnis zur Ökumene.
Überhaupt klammerte Benedikt in seinen Ansprachen konkrete Probleme weitgehend aus und konzentrierte sich auf Grundsätzliches. Er forderte auf zur Besinnung auf Gott, auf das Fundament und den Kern des Glaubens. Er wollte die aus seiner Sicht überstrukturierte Kirche in seiner Heimat aufrütteln und rief zugleich Protestanten, Juden und Muslime zu einer Allianz der Gläubigen in einer Gesellschaft auf, in der Religion immer mehr zur Randerscheinung wird. In seiner viel gelobten, philosophischen Rede im Bundestag wiederum warnte er die Politiker vor ungezügeltem Machtstreben.
Offene Fragen bei den Gläubigen
Der Papst absolvierte dabei ein Mammutprogramm: Vier Besuchsorte an vier Tagen, jede Nacht ein anderes Bett, jeden Tag ein großer Gottesdienst, eineinhalb Dutzend Ansprachen. Wirkte er zu Beginn des Besuchs noch angespannt, so meisterte der 84-Jährige die Reisestrapazen mit zunehmender Lockerheit. Zu den Gottesdiensten strömten nach Angaben der Bischofskonferenz rund 360.000 Menschen, womit selbst kühne Prognosen klar übertroffen wurden.
Benedikt XVI. wusste in Deutschland Zehnttausende Gläubige zu begeistern, er ließ aber insbesondere mit seiner Abschlussrede im Freiburger Konzerthaus viele auch etwas ratlos zurück. Selbst manch Kirchenfunktionär fragte sich: Was genau meinte der Papst mit seinem Aufruf an die deutsche Kirche, "materielle und politische Lasten und Privilegien" abzulegen, auf Machtansprüche zu verzichten?
Schnell machten unterschiedlichste Interpretationen der abstrakten Papst-Worte die Runde, denen die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) wiederholt entgegentrat. "Wortwahl und Gedankenführung weisen nicht darauf hin, dass er von der Kirche in Deutschland eine grundstürzend neue Verfassung erwartet", versicherte der DBK-Vorsitzende, Erzbischof Robert Zollitsch. Dem Papst sei es vielmehr um die Mahnung gegangen, "uns nicht in der Sorge um uns selbst zu verlieren, sondern uns auf das Zeugnis des Glaubens in der Welt von heute zu konzentrieren".
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