Erfurt. . Bei seiner ersten Messfeier in den neuen Bundesländern auf dem Erfurter Domplatz hat Papst Benedikt XVI. den Beitrag der ostdeutschen Christen zum Mauerfall gewürdigt. Am Rande der Papstmesse sind laut Polizei Schüsse gefallen. Es wurde niemand verletzt.

Am Rande der Papstmesse in Erfurt sind am Samstag Schüsse gefallen. Es war eine Schrecksekunde unmittelbar vor Beginn einer friedlichen Riesenfeier: Während sich Zehntausende Katholiken am Samstagmorgen zum Erfurter Domplatz aufmachten, um dort gemeinsam mit Papst Benedikt XVI. einen Gottesdienstes zelebrieren, schoss ein Mann knapp 400 Meter Luftlinie entfernt auf Mitarbeiter eines privaten Sicherheitsdienstes. Die Schüsse gab der Mann aus einem Dachgeschoss-Fenster heraus ab, verletzt wurde niemand. Bei der Waffe soll es sich um ein Luftgewehr handeln.

Insgesamt vier Mal soll der 30-Jährige nach Polizeiangaben am frühen Morgen aus einem Fenster im Dachgeschoss auf die Mitarbeiter gefeuert haben, die an einer Personenschleuse im äußeren Bereich der Erfurter Altstadt eingesetzt waren. Die Schüsse fielen bereits gegen sieben Uhr am Morgen, erst zwei Stunden später meldete die Firma den Vorfall den Behörden.

Spezialkommando stürmte nach dem Gottesdienst die Wohnung

"Die Polizei hat den Vorfall sehr sorgfältig geprüft und die betreffende Wohnung ausfindig gemacht. Dann wurde telefonisch Kontakt zu dem Mann aufgenommen", sagte ein Polizeisprecher. Der Versuch, mit dem Schützen zu reden, sei allerdings gescheitert. Da es sich bei den am Tatort aufgefundenen Projektilen lediglich um einfache Bleigeschosse handelte, sei das Sondereinsatzkommando zunächst nicht zum Einsatz gekommen. "Hätten wir richtige Geschosse gefunden, wäre das Vorgehen sicherlich ein ganz anderes gewesen", betonte der Sprecher.

Erst nach dem Ende des Gottesdienstes auf dem Domplatz gegen elf Uhr entschlossen sich die Beamten schließlich zum Zugriff. Sondereinsatzkräfte brachen die Tür auf stürmten die Wohnung. Der mutmaßliche Schütze wurde vorläufig festgenommen. Von den Gläubigen in der Erfurter Altstadt blieb der Vorfall völlig unbemerkt.

Thüringens Innenminister Jörg Geibert (CDU) sah die Sicherheit während des Papstbesuches durch den Vorfall nicht gefährdet. "Das Geschehen ereignete sich am äußersten Rand des Sicherheitsbereiches, es hat zu keiner Zeit ein Sicherheitsrisiko bestanden", sagte Geibert.

Gegen den Mann wird nun wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung ermittelt. In einer ersten Vernehmung bestritt er die Tat. Der gebürtige Erfurter, der in Berlin lebt, ist nach Polizeiangaben nicht vorbestraft. Er soll am Wochenende zu Besuch bei einem Freund gewesen sein. Unbestätigten Angaben zufolge soll der Mann nicht allein in der Wohnung gewesen sein. Zeugen hatten beobachtet, wie die Einsatzkräfte eine zweite Person aus der Wohnung geholt hatten und mit einem Krankenwagen abtransportierten.

Papst ruft ostdeutsche Christen zur Mission auf

Bei seiner ersten Messfeier in den neuen Bundesländern hat Papst Benedikt XVI. Christen zur Verkündung ihres Glaubens im Alltag aufgerufen. Zu den Folgen von Nationalsozialismus und Kommunismus in Ostdeutschland gehöre, dass die Mehrzahl der Menschen fern vom Glauben und von der Kirche lebe, sagte Benedikt XVI. am Samstag in seiner Predigt auf dem Erfurter Domplatz vor Tausenden Gläubigen. „Wir wollen uns nicht in einem bloß privaten Glauben verstecken, sondern die gewonnene Freiheit verantwortlich gestalten.“

Der Papst erinnerte an die wechselvolle Geschichte des 20. Jahrhunderts. „Hier in Thüringen und in der früheren DDR, habt ihr eine braune und eine rote Diktatur ertragen müssen, die für den christlichen Glauben wie saurer Regen wirkte.“ Die neue Freiheit habe geholfen, dem Leben der Menschen größere Würde und neue Möglichkeiten zu eröffnen. Allerdings seien viele Spätfolgen der Diktaturen noch aufzuarbeiten, „vor allem im geistigen und religiösen Bereich“.

„Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit“

Viele Katholiken seien gerade „in der schwierigen Situation einer äußeren Bedrängnis“ der Kirche treu geblieben. „Sie haben persönliche Nachteile in Kauf genommen, um ihren Glauben zu leben“, betonte Benedikt XVI. Die politischen Veränderungen des Jahres 1989 seien nicht nur durch das Verlangen nach Wohlstand und Reisefreiheit motiviert gewesen, sondern auch entscheidend durch die Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit. „Diese Sehnsucht wurde unter anderem durch Menschen wach gehalten, die ganz im Dienst für Gott und den Nächsten standen und bereit waren, ihr Leben zu opfern.“

Auch das Glaubenszeugnis von Heiligen wie Elisabeth von Thüringen könne Mut machen „zu einem neuen Aufbruch“. Heilige zeigten, dass es möglich sei, „die Beziehung zu Gott radikal zu leben, sie an die erste Stelle zu setzen“. Der Papst rief die Gläubigen dazu auf, als Christen auf die Mitbürger zuzugehen und sie einzuladen, „die Fülle der frohen Botschaft“ und ihre Schönheit zu entdecken.

Wanke dankt Papst

Zu Beginn der Messfeier hatte der Erfurter Bischof Joachim Wanke zur Dankbarkeit für die Einheit Deutschlands aufgerufen. „Vor zwei Jahrzehnten hat dieser Teil Deutschlands eine neue Freiheit geschenkt bekommen.“ Wanke dankte Benedikt XVI., dass er bei seiner Deutschlandreise auch eines der neuen Bundesländer besuche. Die Treue zu Gott und der Kirche sei in den Jahren des Kommunismus für viele ein fester Halt gewesen. Die Worte des Papstes ermutigten dazu, auch „in einer gewendeten Zeit“ auf Gott zu schauen.

Benedikt war zuvor zum Auftakt des dritten Tags seines Deutschlandbesuchs in seinem Papamobil zum Erfurter Domplatz gefahren. Nach dem Ende der Messe will der Papst nach Freiburg weiterreisen und dort unter anderem mit Altkanzler Helmut Kohl (CDU) sowie mit Vertretern von Orthodoxen und katholischen Laien sprechen. Für Sonntag sind ein Gottesdienst am Freiburger Flughafen und eine Rede im Konzerthaus der Stadt geplant, bevor der Papstbesuch am Abend endet.

Der Papst hatte seine viertägige Deutschlandreise am Donnerstag in Berlin begonnen. Dort sprach er unter anderem vor dem Bundestag und feierte eine Großmesse im Olympiastadion. Am Samstag kam er in Erfurt mit Vertretern der deutschen Protestanten zusammen und nahm an einem ökumenischen Gottesdienst teil. Nach einem Mariengottesdienst im thüringischen Etzelsbach traf er am Abend zudem fünf Männer und Frauen, die Opfer sexuellen Missbrauchs durch katholische Geistliche geworden waren. (afp/dapd)