Witten. Was muss man sich beim Cappuccino am Wochenende eigentlich alles anhören? Diese Frage stellt sich nach einer religiösen Versammlung in Witten.

Die Frau, die am Dienstag (28.5.) schon morgens um halb neun mit dem „Wachturm“ auf dem City-Bogen stand, dürfte niemanden gestört haben. Unbeachtet von den wenigen Passanten, hielt sie ihre Broschüren in der Hand. Anders verhielt es sich bei einer als „Versammlung“ angemeldeten Veranstaltung der Evangelisch-Freikirchlichen Baptistengemeinde aus Annen am vergangenen Samstag (25.5.).

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Ob man nun wollte oder nicht, man musste einfach hinhören. Denn die freundlichen Jesus-Anhänger, die ab mittags Flyer und kleine Bibeln verteilten, hatten Mikro und Lautsprecher mitgebracht - und ziemlich laut aufgedreht. „Wir wollen ja, dass unsere Botschaft ankommt“, gab Alexander (24), einer aus der etwa zehnköpfigen Gruppe, bereitwillig Auskunft. Auf seiner blauen Jacke stand in Neongelb: „Allein Jesus rettet.“ Zur Gemeinde gehören viele Ukrainer und Russlanddeutsche.

Die knapp dreistündige Versammlung war ordnungsgemäß bei der Polizei angemeldet worden - inklusive „Tonanlage“, „Instrumente“ und „Büchertisch“. Und ist aus Sicht der Beamten „störungsfrei“, also ohne „Vorkommnisse“ über die Bühne gegangen. Für die Polizei liegt keine Störung vor, solange sich niemand beschwert, etwa die Gastronomie oder „Unbeteiligte“. Von der Redaktion spontan befragte Cafégäste waren von Gottes Wort allerdings nicht sehr angetan.

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Elke, die mit ihrem Mann draußen im Extrablatt saß, empfand die unfreiwillige Beschallung als „etwas sehr störend“. Der schwarze Pavillon der Baptisten stand einige Meter entfernt, etwa in Höhe von Mr. Baker. Auch was da inhaltlich verkündet wurde, fand sie sehr fragwürdig. „Durchwachsen“, so kommentierte Reiner (67), ein anderer Gast, die Bibelstunde auf dem Berliner Platz.

Er selbst, evangelisch und „christlich geprägt“, habe im Prinzip ja gar nichts dagegen, sagt Reiner. Aber ab einer „gewissen Lautstärke“ werde die Aufmerksamkeit gebunden, ob man nun wolle oder nicht. „Eigentlich möchte man ja in Ruhe seinen Kaffee trinken und die Leute beobachten.“ Eindeutig fiel das Urteil seines Tischnachbarn Christian aus: „Grauenhaft!“

Zwischendurch, nach Pausen, griffen die jungen Baptisten immer wieder mal zur Gitarre. „Es ist der Heiland, der draußen steht“, sangen sie dazu, „Jesus klopft an, klopft an.“ „Die Leute sollen es auch hören, die ganzen Parteien sind ja auch in der Stadt“, sagte Gemeindemitglied Alexander im Gespräch mit der WAZ. Wobei die Infostände zur Europawahl meist ohne Mikro daherkommen.

„Montagsdemonstranten“ mit offenem Mikro auf dem Berliner Platz in Witten

Die Baptisten sind aber nicht die Einzigen, die durch eine gewisse Lautstärke auffielen. So treffen sich beispielsweise seit Jahren schon die „Montagsdemonstranten“ in gleicher Höhe zur Versammlung mit „offenem Mikrofon“- allerdings erst nachmittags um fünf an einem Werktag und nicht zur besten Einkaufszeit am Samstag. Die Stadt mischt sich hier übrigens nicht ein.

„Versammlungen laufen komplett über die Polizei“, teilt die städtische Pressestelle auf Anfrage mit. „Die Stadt erhält nur Kenntnis, ist aber nicht für deren Kontrolle etc. zuständig.“ Lediglich die Infostände der Parteien im Rahmen des Straßenwahlkampfs würden bei ihr angemeldet. Eine Genehmigung ist weder bei Versammlungen noch Infoständen erforderlich - „zum Glück nicht, wir leben ja in einer Demokratie“, sagt ein Polizeisprecher.

Wie laut eine solche „Versammlung“ mitten in der Fußgängerzone nun aber sein darf, bleibt am Ende offen. Bestimmte Dezibelwerte gebe es nicht, sagt die Polizei. Eine Streifenwagenbesatzung bat die Veranstalter am Samstag übrigens gegen 15.45 Uhr freundlich darum, jetzt, nach knapp drei Stunden, abzubauen - was diese bereits taten. Nebenan spielte gerade ein Straßenmusiker auf dem Akkordeon. Er war ziemlich leise...