Witten. Die NRW-Regierung will mehr Frauen in der Kommunalpolitik. Wittener Ratsfrauen erzählen, woran es oft scheitert: von Abendsitzungen bis Sexismus.
Noch immer gibt es nicht genug Frauen, die sich in der Politik engagieren und Ämter übernehmen. Das gilt sowohl für den Bundestag mit seinem Frauenanteil von 36 Prozent als auch für die Kommunalpolitik. Die schwarz-grüne Landesregierung will das ändern. Vor der Kommunalwahl 2025 sollen sich Wählergruppen und Parteien stärker bemühen, gleich viele Kandidatinnen und Kandidaten aufzustellen. Doch wo liegen die wahren Hürden? Wittener Politikerinnen erzählen von familienunfreundlichen Sitzungszeiten, an ihren Posten klebenden Männern und Beleidigungen in den sozialen Medien.
Aktuell sitzen im Rat der Stadt Witten 46 Männer und nur 18 Frauen. Das macht einen Anteil von rund 28 Prozent. Besonders viele Frauen - nämlich sechs von 13 Mandaten - haben dabei die Grünen (46 %), gefolgt von der SPD mit sechs Frauen bei insgesamt 15 Sitzen (40%). Das Bürgerforum (6 Sitze), WBG (3) und die FDP (2) haben nicht ein einziges weibliches Ratsmitglied. Bei der CDU sind es drei von 15 (20%).
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Sitzungen am Nachmittag und Abend für Frauen schwer zu schaffen
Spricht man mit Wittener Lokalpolitikerinnen, fällt ein Thema besonders oft. „Die Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Ehrenamt ist für Frauen eine viel größere Herausforderung“, sagt etwa Christine Rose (SPD). Besonders die Sitzungszeiten am Nachmittag und frühen Abend machten es vor allem jüngeren Frauen mit kleinen Kindern schwer, sich zu engagieren. „Wir versuchen immer wieder, junge Frauen zu motivieren“, berichtet Regina Fiedler (CDU). Doch meist scheitere es an deren Alltag.
Wechselnde Termine für Sitzungen, die auch die Bedürfnisse von Familien im Blick haben, schlägt deshalb Ulla Weiß (Linke) vor. „Warum nicht mal an einem Samstag?“ Noch einen Schritt weiter denkt Alina Blum (Grüne). Hybridsitzungen, also sowohl in Präsenz als auch online, könnte sich die 36-Jährige gut vorstellen. „Man sollte einfach bedenken, dass es Leute gibt, für die es nicht so leicht ist, abends im Rat oder Ausschuss zu sitzen.“
Verkrustete Strukturen machen den Einstieg schwer
Innerhalb der Parteien gebe es zudem noch „alte, verkrustete Strukturen“, die aber langsam aufweichen würden, so Rose. So führe der Weg in die Partei immer noch über Treffen in Kneipen. „Manche lassen sich davon verunsichern“, so die Sozialdemokratin. Für Lilo Dannert von den Grünen kommt ein weiteres Problem hinzu: „Man muss auch erstmal Platz schaffen für junge Frauen. Aber viele ältere Kollegen sitzen auf ihren Pfründen und wollen sie nicht abgeben.“
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Auch deshalb ist Ulla Weiß (Linke) für eine Quotenregelung. Denn bei der Besetzung der Listenplätze gehe es immer auch um Macht. Und wer neu dabei oder kein großer Selbstdarsteller ist, habe da schnell das Nachsehen.
Stimmung im Rat: Oft hört man frauenfeindliche Kommentare
Auch die derzeitige Stimmung im Rat wirkt auf weibliche Politik-Neulinge nicht gerade einladend. Männer nähmen „sehr selbstverständlich sehr viel Redezeit in Anspruch“, fasst Blum, die 2020 erstmals in den Rat einzog, ihren Eindruck zusammen. Auch ernst genommen zu werden, müsse man sich hart erkämpfen. Ein Beispiel: Da hätten ihr männliche Kollegen auch Dinge aus ihrem eigenen Fachbereich sehr detailliert erklären wollen.
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Seit dem Einzug von AfD und Stadtklima 2020 habe sich der Ton zudem extrem verändert, berichten die Lokalpolitikerinnen durch die Bank. Störende Zwischenrufe, auch mit frauenfeindlichem Inhalt, gibt es seitdem immer wieder. Etwa den: „Wir bräuchten kein Kinderschutzkonzept, wenn Frauen sich wieder auf ihre eigentliche Rolle konzentrieren würden.“ Erst Anfang der Woche wurde wegen Ausrufen wie diesem heftig über neue Spielregeln für den Rat diskutiert.
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„Man braucht ein dickes Fell“
„Wenn eine Frau nach vorne geht, heißt es immer einmal mehr durchatmen“, sagt Christine Rose. Denn Rednerinnen würden häufiger angegriffen. Besonders beliebtes Ziel: Ulla Weiß, die als Fraktionsvorsitzende regelmäßig das Mikro ergreift. „Man braucht ein dickes Fell“, sagt die Linken-Politikerin. Und sollte immer eine gute Antwort parat haben. Einmal sei sie aber auch am Rande einer Ausschusssitzung anlasslos aus nächster Nähe beschimpft worden. Sie fürchtet, dass mit dem Erstarken der Rechten „Anzüglichkeiten und Grenzüberschreitungen“ zunehmen werden.
Hinzu kommt: Wer als Frau in den Sozialen Medien sein Gesicht zeigt und Stellung bezieht, wird fast schon standardmäßig angefeindet und sexistisch angegangen. Auch Patricia Podolski (SPD) hat das schon erlebt, im Zuge ihres Engagements in der Flüchtlingshilfe. „Es kamen Hassnachrichten, Bedrohungen, man wird aufs Äußerliche reduziert, mir wurde eine Vergewaltigung gewünscht.“ Aber sie habe das ignoriert. „Ich kann das einordnen, weiß, aus welcher Ecke es kommt.“ Sollte so etwas noch einmal passieren, würde sie dieses Mal aber Anzeige erstatten.
Auch Alina Blum hat ähnliches in den Sozialen Netzwerken erlebt. „Da habe ich sachlich diskutiert und als Reaktion kam ‚Halt die Klappe und zeig lieber deine Titten‘“, erinnert sie sich an einen von vielen Kommentaren. Die Diskussion drehte sich um Straßenbau. „Mich hält so etwas nicht ab, aber andere schon.“
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