Witten. Jörg Hartmann live - das hat Charme. Bei der Lesung des Tatort-Stars in Haus Witten war „die Hütte voll“. Ein spannender Abend, auch ohne Krimi.
Schauspieler kann er. Jetzt hat Jörg Hartmann ein Buch geschrieben. Kann er ebenfalls. Doch beim Auftritt in Haus Witten am Freitagabend (12.4.) bewies der kauzig-sensible Dortmunder Tatort-Kommissar, dass er auch live ein Publikum zu unterhalten und zu rühren weiß. Die Lesung aus „Der Lärm des Lebens“ bot einen Abend voller Witz. Aber es kullerten auch ein paar Tränen.
Lässig schlendert Jörg Hartmann in den Saal, schaut sich um, begrüßt ein paar bekannte Gesichter aus seiner Heimatstadt Herdecke, freut sich: „Die Hütte ist voll. Ist das herrlich.“ 140 sitzen da, um ihn zu sehen und ihm zuzuhören. „Wir hätten locker die doppelte Anzahl an Karten verkaufen können“, sagt Bibliotheksleiterin Christine Wolf, die die Lesung mit dem Literaturbüro Ruhr organisiert hat. Doch während sie in Gladbeck aufgrund des großen Interesses kurzerhand in die Stadthalle ausgewichen sind, in die 700 Menschen passen, war das in Witten nicht möglich. Wolf: „Der Saalbau war leider besetzt.“
Jörg Hartmann wollte mal Maler werden - oder Biologe
Doch in kleiner Runde ist es ja auch schön - und viel intimer. Gemeinsam mit Hartmann am Tisch sitzt Antje Deistler, die das Literaturbüro Ruhr leitet, und den Autor bei der Tour durch den Pott begleitet. Zwischen den kurzen Lesepassagen stellt sie all die Fragen, die das Publikum interessieren könnten. Doch zuvor gibt‘s noch ein kleines Saxofon-Solo, gespielt von Siegfried Hiltmann. Hartmann begüßt seinen ehemaligen „Lieblings-Kunstlehrer“ vom Herdecker Gymnasium herzlich. „Siggi, wegen dir wäre ich fast Maler geworden.“
Zuallerst jedoch wollte Hartmann Biologe werden und die Welt retten. „Dann bräuchten wir heute keinen mehr, der Kartoffelbrei auf Gemälde wirft.“ Er merkte schnell: Die Schauspielerei ist seine eigentliche Leidenschaft. Er brillierte vor allem als Stasi-Offizier in der ARD-Serie „Weissensee“ und polarisiert als Tatort-Kommissar Peter Faber, den er seit 2012 verkörpert. „Ich weiß diese Figur sehr zu schätzen.“
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Dem Schreiben hat der mit seiner Familie in Potsdam lebende Hartmann sich im ersten Lockdown zugewandt. Anlass war die Demenz seines Vater und dessen Tod vor sechs Jahren. „Die Vorstellung, dass seine ganze Geschichte irgendwann verlorengeht, hat mich sehr beschäftigt.“ Anfangs machte er sich Notizen. „Ich wusste nicht, dass daraus mal ein Buch entsteht.“
„Der Lärm des Lebens“ - was oftmals als Autobiografie betitelt wird, nennt der 54-Jährige lieber „Erinnerungsprosa“. Das andere klingt zu eitel, findet er. Das Schreiben habe er als beglückend und befreiend empfunden - weshalb es auch ein nächstes Buch geben könnte. „Dann eher einen Roman.“ Der Erstling ist eine Liebeserklärung an seine Familie, an seine Heimat. Was das ist? „Das kann man nicht in die Tasche packen und irgendwo auspacken.“ Heimatgefühle seien verbunden mit den prägenden Erinnerungen an den Ort der Kindheit.
Batman statt Rudolf Steiner
Ein Zug rast draußen am Haus Witten vorbei. Hartmann blickt kurz auf, grinst: „Da merkt man, dass man im Ruhrgebiet ist.“ Hömma, sach ma, woll - das hat Hartmann auch noch drauf. Gerade liest er eine Szene vor aus seiner Zivi-Zeit, die er an der Pforte des Gemeinschaftskrankenhauses Herdecke verbrachte.
Anthroposophen im Publikum werden die Geschichte vielleicht nicht mögen, aber das interessiert Hartmann nicht. Denn alle anderen - er selbst am meisten - haben großen Spaß daran, wie der junge Zivi das Bild Rudolf Steiners im Eingangsbereich der Klinik abhängte, das Porträt des Begründers der spirituellen Weltanschauung durch ein Plakat von Batman ersetzte und damit für Furore sorgte. Es liegt wohl in der Familie: Bei den Hartmanns geriet selbst eine Beerdigungsfeier zur wilden Party.
Mit der Clique einst im Wittener Casablanca gefrühstückt
„Eigentlich bist du ja ein Lustiger“, sagt Antje Deistler. „Wie kannst du dann den Faber spielen?“ Der Tatort-Kommissar sei eine Fremdfigur, „den musste ich mir hart erarbeiten“. Inzwischen mag er ihn, hat ihm sogar seinen alten Parka geliehen, der schon lange ungetragen im heimischen Kleiderschrank hing. „Ich habe ein passendes Kostüm gesucht.“ Duisburgs Schimmi lässt grüßen.
Witten übrigens kennt Jörg Hartmann natürlich auch, war öfter mit der Clique im unlängst geschlossenen Casablanca frühstücken. Doch sonst sei er im „Kosmos Herdecke“ gefangen gewesen, hat es höchstens noch nach Dortmund in die Disco geschafft.
Lange Schlange bei der Signierstunde
„Das war wie Kino. Es war so schön, dass er uns in seine Gedankenwelt mitgenommen hat“, sagt Agi Schäfer (44) zum Schluss des Abends. Sie hat sich gerade mit Freundin Beate Stabenau (49) ein Buch signieren lassen - das macht Hartmann übrigens mit links. Die Schlange unten neben dem Büchertisch von Lehmkul ist lang.
Auch Daniela (41) und Sebastian (39) Redwitz nehmen ein unterschriebenes Exemplar und ein Erinnerungsfoto auf dem Handy mit nach Hause. „Ich habe ein paar Taschentücher gebraucht, als er die Geschichte aus dem Krieg vorgelesen hat“, gesteht die Wittenerin. „Aber wir haben auch viel gelacht“, sagt sie. „Und wir mögen den Faber sehr - von Anfang an.“
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