Witten. Der Ukraine-Krieg hat vieles auch im Leben der Menschen von Witten sehr stark verändert. Die Ereignisse seither in Schlaglichtern.

Die meisten Wittener hielten einen Krieg mitten in Europa wohl für ausgeschlossen. Wenn, dann waren es wohl eher die hier schon seit langem lebenden Ukrainer, die einen Waffengang Putins befürchteten und sich um ihre Angehörigen sorgten. Vor genau einem Jahr, am 24. Februar 2022, erhält die Wittener Integrationsratsvorsitzende Nataliya Koshel um 7.30 Uhr einen Anruf ihrer Mutter, der mit dem Satz beginnt: „Es geht los.“ Was seither geschah, wie der Krieg das Leben beeinflusst und verändert hat, dazu einige Schlaglichter.

Noch am Tag des Kriegsbeginns Proteste in der Wittener Innenstadt

Protest auf dem Rathausplatz: Hunderte Menschen nach dem Einmarsch russischer Truppen ein sofortiges Ende des Ukrainekrieges.
Protest auf dem Rathausplatz: Hunderte Menschen nach dem Einmarsch russischer Truppen ein sofortiges Ende des Ukrainekrieges. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Februar: Noch im Laufe des 24. Februars kommt es zu Protesten gegen den Überfall der Russen auf dem Berliner Platz und dem Karl-Marx-Platz. Abends versammeln sich Menschen in Rüdinghausen und Herbede zu Friedensgebeten. In St. Pius wird aus einem Karnevalsabend ein Friedenskonzert. Bürgermeister Lars König ruft für Samstag zur Mahnwache auf. Hunderte Bürger versammeln sich auf dem Rathausplatz, bekennen ihre Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und fordern ein sofortiges Ende der Kämpfe.

März: Am Abend des 2. März treffen die ersten 23 Flüchtlinge aus der Ukraine ein. Sie kommen aus Charkiw, der zweitgrößten Stadt des Landes. Beim Empfang ist Bürgermeister König dabei. Laskavo prosymo: Willkommen in Witten. Jetzt, Ende Februar 2023, leben mittlerweile 1135 Ukrainer in Witten, davon 148 in der Sammelunterkunft an der Brauckstraße. Die übrigen finden bei oder über Bekannte Wohnungen. Allein die gebürtige Ukrainerin Olga Tape vermittelt mit der neu begründeten „Ukraine Hilfe Witten“ Wohnraum an 250 Landsleute. Viele Privatleute und Initiativen, etwa der Help-Kiosk, rufen zu Spenden auf, organisieren Transporte und holen selbst Menschen an der polnisch-ukrainischen Grenze ab. Die Uni entscheidet, ihre Partnerschaften mit vier Hochschulen in Russland vorerst ruhen zu lassen.

Dankeschöngala der geflüchteten Ukrainer

Ein bunter Willkommensgruß prägt den Sitz des Vereinslokals von „Wolja“. Der deutsch-ukrainische Kulturverein ist an der Ecke Röhrchenstraße/Ecke Konrad-Adenauer-Straße anzutreffen,
Ein bunter Willkommensgruß prägt den Sitz des Vereinslokals von „Wolja“. Der deutsch-ukrainische Kulturverein ist an der Ecke Röhrchenstraße/Ecke Konrad-Adenauer-Straße anzutreffen, © Jürgen Theobald

April: Der Rat gedenkt in einer Schweigeminute der Kriegsopfer und spricht sich dafür aus, mit dem ukrainischen Tschornomorsk (bei Odessa) über eine Städtepartnerschaft zu sprechen. Diskussionen gibt es um das Verhältnis zur russischen Partnerstadt Kursk. Die Verbindungen sollen aber nicht beendet werden.

Juni: Jetzt bekommen Flüchtlinge aus der Ukraine Geld vom Jobcenter, das sie auch bei der Suche nach Arbeit unterstützt. Die Stadt hilft ebenfalls, etwa bei der Betreuung in der Sammelunterkunft an der Brauckstraße. Der ukrainische Kulturverein „Wolja“ veranstaltet eine Dankeschöngala für Wittener, die Menschen bei aufgenommen haben.

Juli: Russisches Gas wird knapp. Der Bund fordert zum Sparen auf. Die Stadt dreht in den Turnhallen das heiße Wasser in den Duschen ab. Sportvereine sind entrüstet. Warmes Wasser wird erst wieder im Februar 2023 fließen.

Freibad schließt früher, Energiepreise explodieren

Die Sängerin Lubov Vogel hat im Schulterschluss mit  der Ukraine-Initiative eine Musikschule in Witten eröffnet.
Die Sängerin Lubov Vogel hat im Schulterschluss mit der Ukraine-Initiative eine Musikschule in Witten eröffnet. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

August: Das Freibad in Annen schließt einen Monat früher als sonst. Es verbrauche täglich so viel Gas wie ein Single-Haushalt im ganzen Jahr, heißt es zur Begründung. Wenige Tage später kündigen die Stadtwerke starke Preissprünge bei Strom und Gas ab Oktober an.

September: In einer Sondersitzung des Sozialausschusses kommt die Sorge auf, die Stadt könne bei der Unterbringung der Flüchtlinge im Winter an ihre Grenzen geraten. Die Verwaltung will Handlungsszenarien entwickeln. Dabei ist auch die Rede von Containern. Sie wurden bisher aber nicht erforderlich.

November: Die Sängerin Lubov Vogel eröffnet im Schulterschluss mit der Ukraine-Initiative von Olga Tape eine ukrainische Musikschule. „Bright Kids Musikstudio“ heißt die Talentschmiede an der Breite Straße.

Januar: Die Rotarier verleihen ihren alljährlichen Preis für besondere Verdienste an Olga Tape, die sich sichtlich gerührt zeigt. Kurz darauf reist sie in ihre früh von den Russen und später wieder befreite Geburtsstadt Cherson, die sie mit Spenden aus Witten unterstützt. In der nächsten Woche will Tape wieder hinfahren. Cherson wird immer noch von den Russen beschossen, ein Jahr nach Kriegsanfang.

podcast-image