Witten. Ukrainer haben bei einem Treffen in Johannis von Krieg und Flucht erzählt. Was ihre Erlebnisse bei den Zuhörern aus Witten auslösten.

Zum gegenseitigen Kennenlernen lädt die evangelische Johannisgemeinde seit wenigen Wochen jeden Donnerstag Gemeindemitglieder und Flüchtlinge aus der Ukraine ein. Die Erlebnisse, von denen die Menschen aus den Kriegsgebieten erzählen, gehen Besuchern so sehr zu Herzen, dass manche mit den Tränen kämpfen.

Flüchtlinge schildern in Wittener Gemeindehaus bewegende Geschichten

„Natürlich hat man in den letzten Wochen viele schreckliche Bilder gesehen und die Namen der Städte gehört, aus denen die Flüchtlinge zu uns kommen“, sagt Günter Prätorius, der sich Zeit für das Treffen genommen hat. „Aber wenn die Menschen dann vor einem stehen und von dem Grauen sprechen, das ihnen selbst widerfahren ist, berührt mich das um so mehr.“

40 Gäste haben sich diesmal im Gemeindesaal eingefunden. Gebannt hören sie zu, wenn die Geflüchteten berichten. Da ist zum Beispiel Mariana Vermienko aus Kiew. Sie habe immer gern in dieser „schönen Stadt“ gelebt. Die letzten Tage vor der Flucht verbrachte sie mit ihrer Tochter im Badezimmer in der Hoffnung, dort vor den Bomben geschützt zu sein. Als die Explosionen kein Ende nahmen, machten sich Mutter und Tochter auf den Weg – trotz ihrer Angst und Ungewissheit, wie die junge Frau erzählt.

Ukrainerin bedankt sich für die große Hilfsbereitschaft

Treffen sind demnächst immer montags

Sigurd Hebenstreit (71) gehört als Presbyter zum Vorstand der Johannis-Gemeinde und organisiert die Treffen, die bislang zwei Mal stattfanden. Statt donnerstags sollen die Zusammenkünfte aber demnächst immer montags sein, Start ist aber erst aufgrund der Ferien am 9. Mai um 16 Uhr.

Die Verlegung habe die Gemeinde vorgenommen, weil die Witten Baskets Flüchtlinge immer donnerstags zur „Offenen Halle“ und damit zu Sport in der Viehmarkthalle einladen.

Für die Begegnungstreffen setzt sich auch der Kreis derer ein, die das Sprachcafé für Syrer und Iraker organisiert haben, sagt Helfer Hartmut Jerathe. Wegen Corona war das Angebot aber nicht mehr möglich.

Günter Prätorius hatte sich auch als Vertreter der Baptisten-Gemeinde eingefunden, die auch eine Ukrainehilfe aufbauen möchte.

Hier in Witten sei sie nun ungemein dankbar für die Hilfe und Unterstützung, die ihr zuteil werde, sagte die Kiewerin. Damit habe sie nicht unbedingt gerechnet. Bei ihr werden Erinnerungen an die Schulzeit wach, als noch die Sowjetunion bestand. Damals seien die Deutschen als kühl, konservativ und nationalistisch dargestellt worden. „Seit meiner Ankunft erlebe ich ausnahmslos sehr herzliche Menschen“, sagt Mariana. Sie spricht ukrainisch, Dolmetscher Oleksandr Zhukov übersetzt. Er wuchs in der großen Hafenstadt Odessa im Südosten der Ukraine auf und lebt schon seit 15 Jahren in Deutschland.

Auch Alina (36) ist froh, nun in Witten untergekommen zu sein. Sie stammt aus Dnipro, einer Millionenmetropole „mit viel Industrie und viel Kultur“ im Osten der Ukraine, deren Flughafen gerade völlig zerstört wurde. Zuletzt hatte Alina eine Chefposition in einer IT-Firma inne. Doch wie ihre Schwester Natalja gab die Geschäftsfrau alles auf. Beide flüchteten mit ihren Kindern vor Bomben und Raketen.

Seit zwei Wochen finden die Begegnungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten im Johannis-Zentrum statt.
Seit zwei Wochen finden die Begegnungen zwischen Einheimischen und Geflüchteten im Johannis-Zentrum statt. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

82-Jähriger kommen Bilder vom Zweiten Weltkrieg wieder in den Sinn

Zu den Helfern des Treffens, die die Tische eingedeckt und für Kaffee und Kuchen gesorgt haben, gehört eine 82-jährige Wittenerin. „Es ist doch unfassbar, welches Leid die Menschen in der Ukraine durchmachen müssen“, sagt sie. Die Erlebnisse rufen Bilder aus ihren eigenen Kindheitstagen hervor, „hat sie doch selbst noch den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Dass es noch mal Krieg in Europa geben würde: „Das wollte und konnte sich doch keiner vorstellen.“ Sie hat noch die Sätze von Natalyia Chuprina im Ohr.

‘Die 51-Jährige stammt aus Saporischschja, das nur wenige wenige Kilometer von Dnipro entfernt ebenfalls in der Südostukraine liegt. Dort hatten die Russen zeitweise das Atomkraftwerk besetzt. Es gilt als das größte in Europa. Ihre Heimatstadt, ebenfalls eine Millionenmetropole, sei mit dem Ruhrgebiet vergleichbar, sagt die Englischlehrerin. Vom ersten Tag des Krieges an habe sie mit dem Gedanken gespielt, zu fliehen.

Mutter flieht mit drei kleinen Kindern aus der Ukraine

Ebenfalls gebannt hören die Gäste im Gemeindesaal zu, als Oxana Hubina (25) über ihr Schicksal spricht. Mit ihren drei Kindern (sechs, vier und neun Monate) ist sie aus dem früh besetzten Cherson in der Ostukraine geflohen. Ihr Mann ist jetzt Soldat. Sie habe Angst um ihn. Geflohen sei sie vor allem, um die Kinder in Sicherheit zu bringen, sagt die junge Frau sichtlich bewegt. Wilhelm Erling, der mit seiner Familie die Mutter und ihre drei Kinder bei sich aufgenommen hat, sitzt ebenfalls im Publikum. Er findet es gut, wie offen die Flüchtlinge über Krieg und die Flucht sprechen. „Damit die Menschen bei uns verstehen, was in der Ukraine wirklich geschieht.“