Witten. Die ersten 23 Ukraine-Flüchtlinge sind gut angekommen. Sie wollen gerade ihre Kinder in Sicherheit bringen. So war die Ankunft abends in Witten.
Sie haben die Flucht aus Charkiw geschafft, jener Millionenstadt in der Ostukraine, die die Russen gerade erst wieder stark mit Raketen beschossen haben. Sieben oder acht Tote melden die Nachrichten am Donnerstagmorgen, an dem Alica und Mascha, Liana, Tania und all die anderen Frauen mit ihren Kindern zum ersten Mal in ihrem neuen Zuhause wach werden, einer alten Industriehalle in Witten.
Sie sind noch erschöpft von der langen Reise, aber glücklich, nun im sicheren Deutschland zu sein. „Danke, Gott“, sagt Wassily (32), Vater von sechs Kindern und einer der wenigen Männer, die ihre Familien begleiten durften. Am Mittwochabend trafen die ersten 23 Ukrainerinnen und Ukrainer in Witten ein, drei junge Frauen und zwei ältere, 16 Kinder, alle jünger als zehn, darunter zwei Babys, und zwei Väter.
Flüchtlinge in Witten: „Wir sind um fünf Uhr morgens aufgewacht, vom Lärm der Raketen“
Die Kinder, die noch nicht schlafend auf dem Schoß ihrer Eltern liegen, rennen über den Flur, eine Frau spielt mit ihnen. Sie bilden einen Kreis, starten eine Art Wettrennen. Es ist ihnen nicht anzumerken, dass sie gerade aus der Bombenhölle kommen.
„Wir sind um fünf Uhr morgens aufgewacht, vom Lärm der Raketen“, sagt ein Vater. Sie seien losgefahren, als die Russen angefangen hätten, Zivilisten zu beschießen. Gerade aus Angst um ihre Kinder entschieden sie sich zur Flucht – 23 von einer Million, die das Land nach dem russischen Überfall inzwischen verlassen haben.
Zwei Bombennächte im Keller verbracht
Sie berichten von kaputten Scheiben und Fenstern, von zwei Nächten im Keller bei Verwandten, von einem stark zerbombten Flughafen in ihrer Stadt. „Wenn sie jetzt ein Flugzeug hören, übersetzt Nataliya Koshel, die seit 13 Jahren in Witten lebende Ukrainerin und Integrationsratsvorsitzende, müssen sie sich erst daran gewöhnen, „dass das ein gutes Flugzeug ist“.
Wie erleichtert sie sind, dass es hier so ruhig ist, dass keine Sirenen mehr heulen, dass kein Luftalarm sie erschrecken lässt, dass sie leben. „Es gibt keine Geräusche mehr“, sagt Liana, eine 35-Jährige. Und doch zucken sie noch zusammen, wenn jemand eine Tür zu laut schließt.
Die Flüchtlinge aus der Ukraine sind berührt, wie freundlich sie an der polnischen Grenze und nun auch in Witten empfangen werden, von den vielen Helfern, vom Sozialamt, vom Arbeiter-Samariter-Bund. Dass sogar der Bürgermeister abends um acht persönlich vorbeischaut, überrascht sie regelrecht.
Familienvater aus der Ukraine dankt Wittener Bürgermeister
„Vielen Dank, dass wir hier unterkommen dürfen“, sagt Waova, einer der beiden mitgereisten Väter. Dass er jetzt nicht kämpfen muss wie die anderen Männer unter 60, verdankt der 36-Jährige eigenen Angaben zufolge dem Umstand, dass für kinderreiche Familie eine Ausnahme gemacht werde.
Anfangs hatten die Kinder große Angst, als sie ins Auto verfrachtet wurden und ihre Eltern mit so gut wie nichts an Gepäck die Flucht ergriffen. Sie hätten sich aber beruhigt, als sie die Stadt verließen. Vier Tage waren sie unterwegs, private Kontakte führten sie nach Witten. Wann sie ihre Heimat wiedersehen, wissen sie nicht. „Vielleicht ist unser Haus dann nicht mehr da und alles ist kaputt“, sagt Wassily.
Zusammen in einer großen Gruppe gekommen
Auf dem Schoß von Mascha schläft ihr kleiner Sohn, müde sieht die 33-Jährige aus, die auch ihre Mutter Proskovia (64) mitgebracht hat. Alica (33) verteilt Kekse. „Wir sind froh, dass wir zusammen in einer Gruppe sind und unsere Kinder wieder lächeln können“, sagen die Frauen.
Jemand macht sogar einen Scherz, als Lars König, leger gekleidet, die Menschen begrüßt. Ein Bürgermeister ohne Anzug und Krawatte? Zuhause sei das undenkbar. Der 51-Jährige beruhigt die Gäste. „Einen Anzug hab ich auch.“ Laskavo prosymo, willkommen in Witten.