Witten. Fließt am Ruhrdeich ungeklärtes Abwasser in die Wittener Ruhr? Überreste von Klopapier und Feuchttüchern legen dies nahe. Das steckt dahinter.

Am Ruhrdeich in Witten, fast genau in der Mitte zwischen Nachtigallbrücke und Mühlengraben, wird über einen offenen Graben Wasser in die Ruhr geleitet. An einem großen Gitter, das einen der beiden Zuläufe verschließt, haben sich haufenweise Abfälle gesammelt: Klopapier, feuchtes Toilettenpapier und Ähnliches. Auch auf den angrenzenden Grünflächen der Ruhrauen sieht man an den Gräsern verwitterte, halb zerfallene, teils auch gut erhaltene Reste hängen. Gelangt dort ungeklärtes Abwasser in die Ruhr?

Diese Frage stellt sich der Wittener Raphael Jolly. Schon seit August 2022 beobachtet er die Zustände am Ruhrdeich. Und er macht sich Sorgen. „Für die Wasserqualität Richtung Schleusenwärterhaus, Lakebrücke und Kemnader Stausee kann das gar nicht gut sein“, sagt der junge Familienvater. Diese Situation sei wohl auch kaum mit den Zielen der Stadt Witten bezüglich Naturfreibad und der Internationalen Gartenausstellung 2027 (IGA) mit Schwerpunkt auf dem Ruhrtal vereinbar. Sogar Damenbinden will der 31-Jährige dort schon entdeckt haben.

So sah es am Graben am Ruhrdeich in Witten noch dem Hochwasser an Weihnachten und Anfang Januar aus. Halb verrottetes Klopapier hängt in den Gräsern. Das Bild stammt vom 13. Januar 2024.
So sah es am Graben am Ruhrdeich in Witten noch dem Hochwasser an Weihnachten und Anfang Januar aus. Halb verrottetes Klopapier hängt in den Gräsern. Das Bild stammt vom 13. Januar 2024. © Raphael Jolly | Raphael Jolly

Edelstahlwerke und Ruhrverband leiten Wasser über den Graben in die Ruhr

Verantwortlich für den Graben und die dortigen Abwässer ist aber nicht die Stadt selbst. Zum einen fließt hier Wasser, das von den Edelstahlwerken stammt, in die Ruhr. Sie betreiben auf ihrem Gelände eine eigene Kläranlage. Dort wird etwa Kühl-, Prozess- und Niederschlagswasser gereinigt und dann in den Graben geleitet. Ein zweiter, weit größerer Zulauf – jener mit dem verschmutzen Gitter – gehört zum Ruhrverband (RV).

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Denn unter dem Ruhrdeich verläuft einer seiner Regenrückhaltekanäle, auch Stauraumkanal genannt. Er führt zum Pumpwerk des Verbandes an der Herbeder Straße. Bei anhaltendem und starken Regen läuft dieser Kanal voll – und im schlimmsten Fall auch über. Dann gelangt tatsächlich mit Regenwasser verdünntes Abwasser in den Graben und anschließend in die Ruhr.

Ruhrverband: Überlaufen ab einer bestimmten Menge Regenwasser nicht zu verhindern

„Rein baulich ist das nicht anders möglich“, sagt Britta Balt vom Ruhrverband. Ab einer bestimmten Regenmenge sei ein Überlaufen nicht zu verhindern. Das liege auch an der Art des Kanalsystems mit seinen Mischwasserkanälen. In ihnen wird Regen- und Abwasser gemeinsam Richtung Kläranlage geführt. Ein Stauraumkanal dient dabei als Puffer. Dort kann Wasser zwischengelagert werden, wenn die Kanalisation voll ist. „Sonst würde das Wasser aus den Gullys herausschießen“, so die Sprecherin.

„Mit den durch den Klimawandel bedingten Starkregenereignissen erreichen immer wieder solche Mengen an Wasser die Kanalisation, dass diese sie nicht mehr aufnehmen kann“, sagt Balt. Würden diese Wassermassen ungehindert zur Kläranlage gelangen, könnte diese Schaden nehmen, ihr Betrieb wäre gefährdet. Dann wird das Wasser zwischengeparkt, in den Stauraumkanälen. Aber auch sie haben nur eine gewisse Kapazität. Ist diese erreicht, fließt das Wasser über eine Not-Entlastung ab.

Blick auf den Entlastungsgraben des Ruhrverbandes vom Ruhrdeich in Witten aus: Im Hintergrund sieht man Schloss Steinhausen.
Blick auf den Entlastungsgraben des Ruhrverbandes vom Ruhrdeich in Witten aus: Im Hintergrund sieht man Schloss Steinhausen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

„Menschen müssen aufhören, die Toilette als Mülleimer zu nutzen“

Dass durch den Überlauf der Rückhaltekanäle verdrecktes Wasser in die Ruhr gelangt, sei „unschön, keine Frage“, sagt die Ruhrverbandssprecherin. „Aber wir können die Kanalisation nicht so dimensionieren, dass sie jedes Ereignis abpuffern kann.“ Auch ein Vorfiltern des Wassers sei nicht möglich, sowohl technisch als auch organisatorisch und wirtschaftlich. Denn würde man etwa dort, wo am Ruhrdeich heute ein grobes Gitter den Zulauf verschließt, einen Filter einsetzen, müsste dieser regelmäßig gereinigt werden. Balt: „Sonst würde der Ablauf ja verstopfen.“

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Der Ruhrverband betreibt insgesamt 559 solcher Niederschlagswasserbehandlungsanlagen wie unter dem Ruhrdeich. Sie alle konstant zu säubern, sei eine Aufgabe, die auch personell nicht zu stemmen sei. Dass verunreinigtes Wasser in die Ruhr gelangt, sei nur zu verhindern, „wenn die Menschen aufhören, die Toilette als Abfalleimer zu benutzen“, sagt Britta Balt. Feuchte Hygienetücher dürften unter keinen Umständen im Klo entsorgt werden. Dennoch geschehe dies regelmäßig. Vor vier Jahren hat der Verband deshalb in seinem Pumpwerk in Herbede einen speziellen Schredder eingebaut. Damit die dortigen Pumpen nicht ständig verstopfen.

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