Witten. Ob Hochwasser, Explosionen oder Notlagen: Ein Wittener Hilfswerk ist stets vor Ort. Bei einem Besuch schildern Freiwillige bewegende Erlebnisse.
Es ist mitten in der Nacht und das grelle Piepen seines Alarmmelders reißt Christian Daub aus dem Schlaf. Doch die Müdigkeit ist schnell verflogen. Der ehrenamtliche Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) in Witten weiß: Jetzt steht wieder ein Einsatz an, weil beispielsweise Hochwasser droht.
Ab und an mal nachts für den Dienst raus zu müssen, „daran habe ich mich gewöhnt“, sagt der 35-Jährige, der mit weiteren Freiwilligen zusammensitzt, die zustimmend nicken. „Wir empfinden das nicht als belastend. Schließlich wollen wir mitanpacken, wenn unsere Hilfe gefragt ist“, sagt Katharina Schmidt (36).
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An der Küste Sandsäcke für den Hochwasserschutz schleppen
Wir treffen die Runde aus einem besonderen Anlass. Das THW in Witten besteht seit 70 Jahren, Grund genug, um einmal hinter die Kulissen zu blicken. „Zu unseren wesentlichen Aufgaben gehört der Zivil, Bevölkerungs- und der Katastrophenschutz“, erklärt Leiter Holger Hohage. Und schon erzählen die Freiwilligen von den Einsätzen, die manchen noch leibhaftig vor Augen sind.
Nach dem Einsturz des Kölner Stadtarchivs oder einer verheerenden Explosion in Dortmund-Hörde war es ihre Aufgabe, die Standfestigkeit umliegender Gebäude zu überprüfen. Örtliche Behörden hatten die Wittener angefordert. Unterstützung war auch jüngst wieder gefragt, als in Herten ein Hochregallager einzustürzen und in Herdecke ein altersschwaches Haus zusammenzubrechen drohte.
Oftmals erreichen das THW auch Hilferufe aus dem hohen Norden. Dann sind Tausende von Sandsäcken zu schleppen, Orte an der Küste wollen vor Hochwasser geschützt sein, wie sich jüngst erst wieder bei der Flut an der Ostsee zeigte.
Die Flutkatastrophe von 2021 ist noch allgegenwärtig
Als wäre es erst gestern gewesen, erinnern sich die Wittener noch an die Jahrhundertflut Mitte Juli 2021. Da gab es Tage, da war Dienst rund um die Uhr angesagt, sowohl in heimischen Gefilden als auch im Ahrtal. So lang wie der Einsatz dort dürfte kaum ein anderer bislang gedauert haben. Nicht Tage, sondern Wochen verbrachten heimische Helfer in der verwüsteten Region. Denn das THW verfügt über Spezialkenntnisse im Bau von Behelfsbrücken. Und die waren damals dringend erforderlich.
Über 100 Freiwillige sind für das THW im Einsatz
Das Technische Hilfswerk ist insgesamt dem Bundesinnenministerium unterstellt. Im Ballungsraum Ruhrgebiet entstanden schon bald nach dem Krieg Ortsverbände für den Zivilschutz der Bürger, weil die Befürchtung bestand, dass der Kalte Krieg eskalieren könnte.
Rund 50 Wittener leisten Einsätze vor Ort. Insgesamt wirken in dem Ortsverband über 100 Freiwillige mit.
Die jährlichen Einsatzzahlen schwanken. Mal müssen die Ehrenamtlichen 60 Mal raus, 2021 lag die Zahl bei 141, wobei es sich dann auch um mehrere Tage handeln kann.
„Die Zeit war sicherlich anstrengend“, sagt Annika Hohage. „Doch uns hat die Dankbarkeit der Menschen ermutigt und unser ausgeprägter Teamgeist beflügelt.“ Im Ahrtal galt aber wie bei dem großen Einsatz: Wenn es für einen der Helfer zu viel wird, weil er entweder die körperliche oder die seelische Belastung nicht mehr aushält oder beides, „dann kann man sich natürlich zurückziehen und im Fall der Fälle steht auch ein so genanntes Nachsorgeteam für Gespräche bereit“.
Es kommt auf den Zusammenhalt der Helfer an
Dass die 22-Jährige den Weg zum THW fand, war ihr wohl in die Wiege gelegt. Druck habe Vater Holger aber keineswegs aufgebaut. „Für mich gehört das Hilfswerk von Kindesbeinen an zum Alltag“, sagt die junge Frau. Die familiäre Atmosphäre habe ihr von Anfang an gefallen. Christian Daub pflichtet ihr bei.
„Bei unserem Engagement ist es aber auch äußerst wichtig, sich gut zu kennen. Denn wir sind aufeinander angewiesen“, sagt Daub. Wie neulich, als das THW angefordert wurde, um einen schwergewichtigen Toten aus einer Wohnung herauszuholen.
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Christian Daub fand auf einem eher ungewöhnlichen Weg zum Technischen Hilfswerk. Als Kind habe er eine ganze Reihe von Modellautos besessen und sich vor allem für die blauen Wagen unter ihnen begeistert. Als dann ein Fest des THW anstand und er feststellte, dass die großen Fahrzeuge seinen kleinen sehr ähnlich sehen, sprang der Funke sofort über. Bis er aber an Einsätzen teilnehmen durfte, sollte es noch dauern. Denn dazu muss ein Helfer mindestens 18 Jahre alt sein.
Das Alter hat Björn Rothholz inzwischen erreicht. Eine Fernsehdoku über das THW hatte ihn derart fasziniert, dass er mit 13 Jahren der Jugendgruppe beitrat. Er fühlt sich bei dem Verband regelrecht zuhause. Selbst in den Zeiten der Abiturvorbereitungen zwackte er noch Zeit für Übungen und Einsätze ab.
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Vor dem ersten Dienst ist eine Ausbildung angesagt
Bevor Helfer Dienste übernehmen, durchlaufen sie eine Ausbildung. Sie lernen, Menschen zu bergen, Erste Hilfe zu leisten oder das oftmals schwere Geräte zu bedienen. Wer möchte, kann darauf aufbauend noch weitere Kurse absolvieren. Katharina Schmidt hatte ebenfalls schon zahlreiche Lehrgänge hinter sich und ein Studium in Reha-Pädagogik beendet, als sie beim THW eine der wenigen festen Stellen antrat. Sie arbeitet jetzt in der Dortmunder Regionalniederlassung.
Apropos Job: Wenn die Freiwilligen einer Beschäftigung nachgehen, sind sie auf ihren Arbeitgeber angewiesen, damit er sie freistellt. „Wir sind in der glücklichen Lage, dass die meisten Unternehmen sich dazu bereit erklären“, sagt Holger Hohage. Der Bund übernimmt für die Zeit des Einsatzes die Lohnkosten, die Firma zahlt das Geld an den Helfer derweil weiter.
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Dass das THW in den nächsten Jahren weiterhin alle Hände voll zu tun haben, daran hegen die Helfer keinen Zweifel. Allein die immer öfter auftretenden Starkregenereignisse halten sie inzwischen häufiger auf Trab. Und schließlich sind die Wittener Helfer weit über die Stadt hinaus als Spezialisten bekannt, um bei Schneelast die Tragfähigkeit von Dächern zu überprüfen. „Da haben wir jedes Jahr eine Menge Anfragen.“
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