Witten. Das Institut für Waldorfpädagogik am Annener Berg in Witten wird 50 Jahre alt. Grund genug für einen Rückblick – in dem es auch um Liebe geht.

Interessant konstruierte Gebäude, ein Park mit uraltem Baumbestand und ein riesiger Garten: Keine Frage – der Campus am Annener Berg in Witten bietet was fürs Auge. Am Wochenende (8./9. 9.) feiert das Institut für Waldorfpädagogik – eines von dreien in Deutschland – seinen 50. Geburtstag und hat sich dafür ganz besonders herausgeputzt. Dozentin Andrea Waldmann freut sich vor allem über die „Liebeslaube“.

Der idyllisch am Teich liegende Pavillon ist nicht neu, aber endlich wieder nutzbar. „Der stand mitten im Brombeergestrüpp“, sagt Andrea Waldmann, die nicht nur unterrichtet, sondern außerdem dem fünfköpfigen Leitungsteam angehört. Jetzt haben Thea, Lena, Lukas und ein paar andere Studierende sowie Neuntklässler der Blote-Vogel-Schule eine Trockenmauer errichtet, eine Terrasse davor gebaut und ein Windspiel aufgehängt.

Studierende gestalten Wittener Lernort mit

Ein idyllisches Fleckchen: das Institut für Waldorf-Pädagogik am Annener Berg in Witten.
Ein idyllisches Fleckchen: das Institut für Waldorf-Pädagogik am Annener Berg in Witten. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Ein idealer Treffpunkt für Verliebte also? Andrea Waldmann schmunzelt: „Tatsächlich entstehen am Berg viele Beziehungen.“ Die 59-Jährige und ihr Mann sind ebenfalls so ein „Berg-Pärchen“, haben sich hier kennengelernt. Doch der Pavillon bietet mit seinem Blick aufs Wasser einfach einen ruhigen Rückzugsort für alle.

Fünf Wochen lang haben Studierende acht Stunden am Tag malocht, um alles hübsch zu machen fürs Jubiläum. Aber nicht nur dafür. „Bauzeit“ nennt sich die Phase, die den Neuen alljährlich vor dem eigentlichen Studienanfang Gelegenheit bietet, ihren zukünftigen Lernort besser kennenzulernen und mitzugestalten.

Geschäftsführer: Ruf nach Waldorf lässt nicht nach

Studierende pflastern während der sogenannten „Bauzeit“ einen Weg auf dem Gelände des Waldorf-Instituts.
Studierende pflastern während der sogenannten „Bauzeit“ einen Weg auf dem Gelände des Waldorf-Instituts. © Reinemann

Im letzten Jahr ist dabei zum Beispiel ein Volleyballfeld entstanden. Doch in der Bauzeit pflegen die jungen Leute auch Beete, holen Totholz aus dem Wald oder pflastern Wege. Sie habe damals das Treppenhaus gestrichen, erinnert sich Andrea Waldmann. Schließlich sei die Umgebung wichtig, in der man fast den ganzen Tag verbringt.

140 Studierende lernen hier derzeit, um später in Waldorfschulen unterrichten zu können. Fast die Hälfte kommt aus aller Herren Länder – von Afghanistan bis Zaire. „Es waren mal 400 bis 500. Und es müssten eigentlich mehr sein“, sagt Geschäftsführer Frank Schade (58). Denn: „Anmeldungen gibt’s genug. Der Ruf nach Waldorfschulen lässt nicht nach.“ Doch ebenso wie den staatlichen Schulen mache auch dem Waldorfinstitut der Personalmangel zu schaffen.

25 Dozenten unterrichten am Annener Berg

25 Dozenten unterrichten am Annener Berg Fächer wie Kulturkunde, Fremdsprachen, Mathematik oder Deutsch, aber auch Handwerk, Gartenbau, Bildende Kunst oder Handarbeit. Der Praxisbezug ist groß. Andrea Waldmann zum Beispiel ist Dozentin in der Klassenlehrerausbildung.

Blick in eines der Ateliers: Am Annener Berg können Studierende sich mit Bildhauerei und Malerei beschäftigen, können tischlern oder schmieden.
Blick in eines der Ateliers: Am Annener Berg können Studierende sich mit Bildhauerei und Malerei beschäftigen, können tischlern oder schmieden. © FUNKE Foto Services | Jörg Schimmel

Sie hat zunächst an der Uni Bochum studiert. Nach dem ersten Staatsexamen kamen die Kinder. „Und dann habe ich gemerkt, dass staatliche Pädagogik nicht das ist, was ich machen will“, sagt Waldmann. Die eigenen Kinder besuchten einen Waldorfkindergarten und ihre Mutter begann, am Waldorfinstitut zu studieren. „Dann war ich 13 Jahre lang Lehrerin an der Blote-Vogel-Schule und bin vor zehn Jahren hierher gewechselt.“

Lesen Sie auch:

Am Gymnasium habe sie erlebt, wie die Kollegen über die Schüler gesprochen haben. Da sei es immer nur um Probleme und Störungen gegangen und nicht um die Frage: Was brauchen die Kinder wirklich? „Dabei“, sagt Andrea Waldmann, „muss das immer die erste Frage sein“. In der Waldorfpädagogik stehe das Kind im Mittelpunkt, nicht der Lehrplan. Der wiederum ist vielfältiger als woanders. „Ich fange als Klassenlehrerin jeden Tag mit Musik und Koordinationsbewegungen an.“

Witten als Hochburg der Waldorfpädagogik

War die Ausbildung zum Waldorflehrer anfangs sehr frei, gibt es auch hier längst viele Auflagen. „Wir haben das Studium dem Bachelor- und Masterabschluss angeglichen“, so Waldmann. Auch wolle man sich in den wissenschaftlichen Diskurs einbringen und nicht nur reine Lehre betreiben. „Früher waren wir auf dem Berg einfach nur was Isoliertes, eine kleine, heile Welt.“

+++Keine Nachrichten aus Witten mehr verpassen: Hier geht’s zu unserem kostenlosen Newsletter+++

Doch in den 80er Jahren sei die Zahl der Waldorfschulen explodiert. „Alle wollten was Alternatives.“ Inzwischen ist Witten – wie eigentlich das gesamte Ruhrgebiet – fast so etwas wie eine Hochburg der Waldorfpädagogik. Neben dem Institut gibt es zwei Schulen und auch die Uni Witten/Herdecke pflegt eine ganzheitliche Philosophie. „Das ist bei gerade einmal knapp 100.000 Einwohnern schon ordentlich.“