Witten. 38 Jahre war Hartmut Claes der Wittener Caritas treu. Auch im Ruhestand wird er sich nicht ganz lösen. Ein Gespräch über Radfahren und Rumänien.
Er wurde in Niederwenigern geboren, ging in Hattingen zur Grundschule, besuchte ein Gymnasium in Bochum und studierte Sozialarbeit in Essen. Hartmut Claes ist ein Kind des Ruhrgebiets. Doch die meisten Menschen kenne er in Witten, sagt der 65-Jährige. Er arbeitet hier seit 1985 bei der Caritas. Nun verabschiedet sich der Geschäftsführer zwar Ende März in den Ruhestand. Doch niemals geht man so ganz, schon gar nicht Hartmut Claes. Ein Gespräch über das Radfahren, Rumänien und offene Türen.
Herr Claes, wie geht es Ihnen mit Blick auf die Rente?
Ich bin keiner, der sich auf den Ruhestand freut und die Tage zählt. Inzwischen kann ich mich aber ein wenig damit anfreunden. Außerdem wird es kein abrupter Abschied. Ich werde erst mal noch ein paar Stunden pro Woche weiterarbeiten. Dann kümmere ich mich um die Koordination zwischen Kirche und Caritas, um die politische Arbeit und die Pressearbeit.
Warum fällt Ihnen der endgültige Abschied so schwer?
Ich war 38 Jahre dabei, habe hier viele Höhen und einige Tiefen erlebt. Es ist Freundschaft und Vertrautheit zu den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern entstanden. Das würde ich einfach sehr vermissen. Deshalb gibt es für alle eine Fete im Ardey-Hotel – ohne große Reden und Geschenke. Mein Wunsch stattdessen: Spenden für die Caritas-Rumänienhilfe und die Flüchtlinge aus dem syrischen Erdbebengebiet, die unsere Stadtteilmutter Rim Alabdallah bald in der Türkei besuchen wird.
An welche Höhen und Tiefen erinnern Sie sich denn besonders?
1993 haben wir es in die Tagesthemen geschafft. Es ging um Asylbewerber und eine Entscheidung für NRW, der Bayern nicht zustimmen wollte. Da haben wir mit der Schlagzeile „Bayern reißt sich um NRW-Flüchtlinge“ die Medien auf uns aufmerksam gemacht. Auch die Pflegedemo 2013 auf dem Rathausplatz war eine tolle Aktion. Da haben die Mitarbeiterinnen noch spontan ein Geburtstagsständchen für die Bürgermeisterin gesungen. Problematisch fand ich es, in Witten politisch Fuß zu fassen. Dass wir den ersten Armutsbericht mitverfasst haben, hat dann das Vertrauen zu allen Parteien geschaffen. 2005 war eine wirtschaftlich schwierige Zeit. Da ging es der ambulanten Krankenpflege ganz schlecht. Die Mitarbeiter haben auf zehn Prozent ihres Gehalts verzichtet. Zum Glück ging es nach wenigen Monaten aber wieder aufwärts.
Die Caritas kümmert sich vor allem um Menschen am Rande der Gesellschaft. Was bereitet Ihnen da heute Sorgen?
Alte, kranke und eingeschränkte Menschen haben schon jetzt Schwierigkeiten, dem digitalen Fortschritt zu folgen. Wenn Banken ohne Schalterpersonal auskommen, wenn im Supermarkt per Scanner bezahlt werden muss, wenn sich bestimmte Vorgänge in Krankenhäusern, Praxen oder Apotheken weiter verkomplizieren, dann grenzen wir eine Bevölkerungsgruppe demnächst aus. Ich erkenne ohnehin schon eine fortschreitende Vereinsamung in unserer Gesellschaft. Ehemalige Kontaktpunkte wie Gaststätten oder kleine Lebensmittelgeschäfte gibt es kaum noch. Vereine und Gemeinschaften sterben aus. Auf diese seelisch krankmachende Entwicklung möchte ich noch einmal hinweisen.
Die Caritas hilft auch im Ausland. Rumänien spielt eine besondere Rolle bei Ihrer Arbeit...
Ja, das Land verfolgt mich seit 1990. Damals war die Caritas erstmals dort, um nach der blutigen Revolution Hilfsgüter an die Bevölkerung zu verteilen. Die Fahrten dorthin muteten abenteuerlich an. Aber ich konnte viele Eindrücke sammeln, durfte die Kultur und die herzliche Gastfreundschaft dort erleben. Ich bin auch schon mit dem Rad 500 Kilometer an der ukrainischen Grenze entlang von Ungarn nach Moldawien gefahren. Da lernen Sie die Menschen dort noch mal ganz anders kennen. Ich bin heute noch mit jungen Leuten über Facebook befreundet. Im Juni werde ich wieder runterfahren.
Apropos Fahrrad: Ihr liebstes Fortbewegungsmittel?
Ich fahre Rennrad und Mountainbike. Da ich an der Stadtgrenze Hattingen/Bochum wohne, geht’s sonntagmorgens um sechs raus ins Bergische. Wenn ich den Caritas-Spitzenverband in Paderborn besucht habe, bin ich anschließend gern mit dem Rad in den Kreis Höxter rüber. Mit dem Radsportverein Witten-Beauvais habe ich zweimal jährlich Touren durch landschaftlich traumhafte Gegenden gemacht – Dolomiten, Burgund, Provence. Daran erinnert man sich gerne. Im August werde ich übrigens Opa. Also werde ich bald einen Kindersitz fürs Fahrrad kaufen.
Waren Sie schon immer sportlich?
Als Kind habe ich mit Tischtennis angefangen. Beim Bund habe ich mir zweimal das Knie verdreht und durfte nicht mehr spielen. So bin ich zum Radfahren gekommen. Während des Studiums habe ich außerdem als Surflehrer in Italien und Spanien gearbeitet.
Sie haben Sozialarbeit studiert. Warum?
Eigentlich wollte ich Städteplanung studieren. Meine Frau sagt immer, ich hätte Sozialarbeit studiert, weil ich kein Mathe kann.
Dass Sie bei der Caritas gelandet sind, ist mit einer schönen Anekdote verbunden...
Beim Arbeitsamt hatte man für mich drei Stellen im Angebot: in einem Knast in Gelsenkirchen, in einem Bochumer Kinderheim oder in einem privaten Altenheim. Ich war schon fast zur Tür raus, da rief die Mitarbeiterin mir noch was von einer halben Stelle in Witten hinterher. Das schien mir mit meinem Job als Taxifahrer gut vereinbar. Wäre die Tür schon zu gewesen, wäre ich wohl in den Knast gegangen. Das war also Fügung.
Die Caritas ist ein katholischer Verband. Wie ist das Verhältnis zur Kirche?
Wir fühlen uns als starker Teil der Kirche und kommen mit allen Pfarrern in Witten gut aus. Überörtlich sollte die Arbeit der Caritas stärker gewürdigt werden. Niemand kommt an die Menschen näher heran als unsere Pflegekräfte.
Was schätzen Sie an Witten?
Die Stadt steht für mich für kurze Wege zu Verwaltung, Politik und Presse.
Die Caritas hat 2009 in Kooperation mit der Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte die erste Senioren-WG im EN-Kreis gegründet. Könnten Sie sich vorstellen, dort zu leben?
Die WG begeistert mich noch immer. Wenn es nach meiner Frau ginge, würden wir irgendwann einziehen.