Witten. . Caritas-Geschäftsführer Hartmut Claes kritisiert die harten Arbeitsbedingungen. Deswegen wäre er aber nicht beinahe mal im Knast gelandet.
2018 feiert die Caritas in Witten ihren 100. Geburtstag. Und auch Hartmut Claes arbeitet – längst als Geschäftsführer – schon über 30 Jahre für den Wohlfahrtsverband. Der 59-Jährige kam dazu, als die erste Flüchtlingswelle – damals waren es Vietnamesen – gerade vorbei war. Es folgten Tamilen, Polen und Menschen, die vor dem Kosovo-Krieg flohen. Mehr denn je nimmt die Flüchtlingsarbeit heute viel Raum ein bei der Caritas. Doch sie kümmert sich auch um andere Menschen am Rande der Gesellschaft. Ein Gespräch über Vereinsamung und Pflege, über Radfahren und Rumänien und darüber, warum Claes beinahe mal im Knast gelandet wäre.
Warum gibt es die Caritas hier in Witten?
Hartmut Claes: Sie ist 1918 aus einem katholischen Fürsorgeverein entstanden und hatte ihre Hochphase – wie Awo, Rotes Kreuz und Diakonie – nach dem Ersten Weltkrieg. Es ging vor allem darum, Schulkinder mit Material und Obdachlose mit Lebensmitteln zu versorgen. Bis in die 70er Jahre hinein hat sich die Caritas vor allem um arme Leute gekümmert. Dann sind wir Ende der 70er in die ambulante Pflege eingestiegen. Wir haben mit vier Kräften angefangen, heute arbeiten etwa 70 Krankenschwestern in Teilzeit in diesem Bereich – für 340 Patienten.
„Vereinsamung ist ein Problem“
Der Bedarf steigt also. Liegt das nur am demografischen Wandel?
Vereinsamung ist inzwischen das ganz große Problem. Es gibt kaum noch Patienten, die Angehörige in der Nähe haben. Unsere Mitarbeiterinnen ziehen immer mit einem ganz großen Schlüsselbund los. Wir bilden deshalb jetzt die erste Frau bei uns zur Gemeindeseelsorgerin aus. Sie ist am 1. November fertig und wird dann auf Patienten zugehen, die sich in der letzten Lebensphase befinden.
Welche Probleme tauchen noch bei der ambulanten Pflege auf?
Die Zahl übergewichtiger Patienten steigt. Das geht zulasten der Pflegerinnen. Sollen wir unsere Mitarbeiterinnen etwa verheizen? Wir wollen deshalb erreichen, dass sich immer zwei Schwestern um solch einen Patienten kümmern, und fahren einen rigiden Kurs bei den Krankenkassen: Erst wenn die bereit sind zu zahlen, fangen wir mit der Pflege an. Wir müssen akzeptable Bedingungen schaffen, damit die Frauen nicht mit 50 am Ende sind. Was sie auch nicht verdient haben: Pauschalanschuldigungen in den Medien über falsche Kostenabrechnungen. Wenn bei Eis und Schnee die Bogestra schon nicht mehr fährt, sind sie immer noch unterwegs.
„Die Mitarbeiter leisten Enormes“
Sie äußern sich häufig kritisch. Was ärgert Sie derzeit noch?
Dass gesetzliche Betreuer so schlecht bezahlt werden. Wir stellen den letzten von ehemals vier Betreuungsvereinen im EN-Kreis. In den vergangenen elf Jahren gab es keine Vergütungserhöhungen. Ich werde nicht müde, auf diese Zustände hinzuweisen. Denn auch diese Mitarbeiter leisten Enormes und sind oft doch nur die Fußabtreter. Sie betreuen Menschen, die keine Angehörigen mehr haben und geistig nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben zu regeln. Da müssen oft Wäschekörbe voller Post erledigt werden.
Welche Rolle spielt es, dass die Caritas ein katholischer Verband ist?
Wir sind eine der tragenden Säulen der kirchlichen Arbeit – ein starkes Stück katholische Kirche. Und dieses Engagement sollte auch gewürdigt werden. Der Erzbischof hat allen Grund, auf die Caritas stolz zu sein. Wir stellen übrigens grundsätzlich Mitarbeiter ein, die in einer christlichen Kirche sind. Aber in der Migrationsarbeit und der Pflege gibt es bei uns auch Muslime.
Berufswunsch: Stadtplaner
Wie sind Sie zur Caritas gekommen?
Beim Arbeitsamt hatte man für mich als Sozialarbeiter drei Stellen im Angebot: in einem Knast in Gelsenkirchen, in einem Bochumer Kinderheim oder in einem privaten Altenheim. Ich war schon fast zur Tür raus, da rief die Mitarbeiterin mir noch was von einer halben Stelle in Witten hinterher. Das schien mir mit meinem Job als Taxifahrer gut vereinbar. Allerdings wurde dann schnell eine Vollzeitstelle daraus. Ansonsten wäre ich wohl in den Knast gegangen.
Warum sind Sie Sozialarbeiter geworden?
Eigentlich wollte ich Städteplanung studieren. Meine Frau sagt immer, ich hätte dann Sozialarbeit studiert, weil ich kein Mathe kann.
Was haben Sie bei der Caritas zunächst gemacht?
Ich habe mit Flüchtlingen gearbeitet, bin rausgefahren in die Wohnungen und habe geguckt, ob alles für den täglichen Bedarf da ist. Und ich habe mal in einer Unterkunft für ledige Männer auf Englisch die Bedienungsanleitung für ein Läuseshampoo erklärt. Zu einigen Tamilen, mit denen ich damals zu tun hatte, habe ich noch Kontakt. Die haben alle Arbeit gefunden.
Sie lieben den Norden Rumäniens. Wie entstand diese Leidenschaft?
1990 habe ich drei Monate nach der Revolution einen Hilfsgütertransport nach Rumänien begleitet – und fahre jetzt seit 26 Jahren privat dorthin, auch mit dem Rad. Im Juni war ich zuletzt da. Mich fasziniert die Ursprünglichkeit der Menschen, der Landschaft. Man kann dort so tolle Fotos machen – da kriegen Sie feuchte Augen.