Witten. Die katholischen Gemeinden in Witten müssen sich auf Änderungen einstellen. Das neue Konzept: für viele eine Zumutung – doch notwendig.
Schon länger schwelt es in der katholischen Kirche: Missbrauchsfälle, Mitgliederschwund, Personalmangel – all das macht es schwer, den Glauben angemessen zu leben. Das soll sich nun ändern. „Das Bistum Paderborn hat eine umfangreiche Zukunftsvision erarbeitet“, sagt Gemeindereferent Dieter Fender. Auch Witten wird sich deshalb auf einen neuen Weg machen. Die rund 19.000 Katholiken in der Ruhrstadt erwartet ein gewaltiger Umbruch.
Ein Wittener und eine Wittenerin leiten den Erneuerungsprozess
„Als ich vor fast 30 Jahren in St. Joseph in Annen angefangen habe, waren 700 Menschen in einem Gottesdienst“, erinnert sich Fender (64). Heutzutage seien in ganz Witten in sieben Kirchen bei zwölf Messen in etwa genau so viele Besucher anzutreffen. „Wenn man dann noch den Altersdurchschnitt sieht, weiß man, was noch auf uns zukommt.“ Deshalb müsse man quasi von null beginnen, so laute der Auftrag aus dem Bistum.
Die Leitung des Erneuerungsprozesses haben Gemeindereferent Dominik Mutschler und Gemeindereferentin Nicole Schulz übernommen. „Ich lasse mich darauf ein, was die beiden entwickeln“, erklärt Fritz Barkey als Leiter des Pastoralen Raums. In den nächsten beiden Jahren sollen sie diesen wieder mit Leben füllen. „Change Management“ nennt sich das. Spätestens Ostern 2024 soll das Konzept greifen.
Auch der Wittener Bürgermeister wird einbezogen
Am Anfang stehen viele Fragen, so Mutschler: Was sind unsere Stärken? Wo liegen unsere Grenzen? Wie können wir ein neues Profil finden? Gemeinsam mit dem Pastoralteam, Ehrenamtlichen und sozialen Trägern der Stadt wolle man bei diversen Treffen konstruktive Antworten finden. Auch Bürgermeister und Kämmerer würden einbezogen, um zu klären: Was will die Stadt von Kirche? Ein erster Meilenstein wird der Synodaltag am 28. Januar 2023 sein.
Die sieben katholischen Gemeinden in Witten – ohne Herbede, das zum Bistum Essen gehört – müssten sich auf viele Zumutungen einstellen, nämlich darauf, „einen riesigen Sack an Traditionen“ über Bord zu werfen, sagt Dominik Mutschler. Er ist 34 Jahre alt, stammt aus Stockum, hat am Schiller sein Abi gemacht, lebt in Bommern, ist zweifacher Vater und hat solch einen Prozess bereits in Herne begleitet.
Wittener Gemeindereferent: Müssen uns in der Stadt zeigen
Er weiß selbst, dass er nicht dem typischen Bild eines Gemeindereferenten, wie es bei vielen immer noch in den Köpfen verankert ist, entspricht. Mutschler ist tätowiert, trägt Ohrring. Und eigentlich ist er zur Hälfte ja auch Seelsorger für fünf Kitas. „Ohne das hätte ich für die Leitung des Erneuerungsprozesses keine Kraft“, sagt er. Mutschler ist motiviert: „Christus will ja was von uns. Sein Auftrag gilt bis heute.“
Der Pastorale Raum
In Witten gibt es (ohne Herbede) sieben katholische Kirchengemeinden (St. Joseph, St. Franziskus, Herz-Jesu, St. Maximilian Kolbe, St. Marien, St. Pius, St. Vinzenz von Paul) und fünf Pfarreien. 2015 hatten sich Annen, Rüdinghausen und Stockum als „Heiligste Dreifaltigkeit“ zusammengeschlossen.
Der letzte große Umbruch fand 2019 statt. Damals wurden die Gemeinden in einen Pastoralen Raum zusammengelegt, konnten aber ihre Eigenständigkeit behalten.
Es gibt rund 19.000 Katholiken in der Ruhrstadt. 300 Beerdigungen pro Jahr stehen etwa 60 Taufen gegenüber.
Zwei Aspekte müssen er und Kollegin Schulz auf jeden Fall erfüllen: Es muss einen karitativen Schwerpunkt geben, von dem die Gesellschaft insgesamt profitiert. Mutschler könnte sich beispielsweise vorstellen, eine „Young Caritas“ aufzubauen, wie es sie schon in Dortmund gibt. Oder sich mehr um Obdachlose zu kümmern. Zweitens müsse Kirche missionarisch tätig sein. „Das heißt, dass wir uns nicht hinter dicken Mauern verrammeln, sondern uns in der Stadt zeigen.“
Zunächst sollen engagierte Menschen in kleineren Einheiten, so genannten Laboren, überlegen, wie es mit Themen wie Firmung, Immobilien, Taufe, Ehe oder Musik weitergehen soll. „Da kann’s ruhig knallen. Die Menschen sollen experimentieren, bevor es verbindlich wird“, sagt Mutschler.
Was Witten bevorsteht, hat Herne schon durchlaufen
Der Gemeindereferent hat in Herne hautnah erfahren, was das bedeutet. Dort gibt es zum Beispiel ein neues Immobilienkonzept. Zwei Kirchen wurden geschlossen und stehen nun anderen Initiativen zur Verfügung. „Uns gehören so viele Orte. Ein leerstehendes Pfarrheim nützt keinem was“, so Mutschler. Dieter Fender etwa könnte sich vorstellen, das Kukloch in Stockum, dessen Kellerräume auch schon der Theaterverein nutzt, in ein spirituell-kulturelles Zentrum zu verwandeln.
Was sich in Herne noch geändert hat: Regelmäßige Gottesdienste gibt es nur noch in drei Kirchen. Die Erstkommunion wird in einer Kirche gefeiert. Auch die großen Feiertage werden gemeinsam begangen. Mutschler: „Dann aber als richtiges Happening.“ Das alles habe sich in Herne vor zehn Jahren auch noch keiner vorstellen können, so der junge Gemeindereferent. „Der Prozess ist anstrengend, aber eine Chance.“
„Witten soll ein sicherer Kirchenort werden“
Dieter Fender ist skeptisch, ob das alles funktioniert. Schließlich würden viele Familien jetzt schon an ihre Grenzen stoßen. Doch dass sich etwas ändern muss, ist auch ihm klar. „Ich hätte nie gedacht, dass in den mehr als 30 Jahren, die ich den Job mache, Kirche so schnell den Bach runtergeht.“ Nie habe er gedacht, dass es in den Reihen der Kirche so viele Leute mit krimineller Energie gebe. Die Missbrauchsfälle – „das widert mich an, macht mich sprachlos“, spricht Fender Klartext.
Er weiß auch: „Mit dem lieben Gott ist es nicht immer einfach.“ All diesen Enttäuschungen, dieser Wut müsse man sich nun stellen – mit Information und Motivation. Der Gemeindereferent hofft, dass sich Menschen finden, die genug Energie dafür haben. „Damit Witten wieder ein sicherer und inspirierender Kirchenort für alle wird.“