Witten. Drei Jahre lang hat Patrick Schulz Wohnung gegen Van getauscht und im Wittener Muttental gelebt. Warum das für ihn mehr Gewinn als Verzicht war.
Leben auf rund vier Quadratmetern in einem unbeheizten Kleintransporter – für viele unvorstellbar. Doch für Patrick Schulz ist es der Inbegriff von Freiheit, Ruhe und Entschleunigung. Drei Jahre lang hat der 29-Jährige in einem Van im Wittener Muttental gelebt. Und dabei viel über sich selbst gelernt.
Weniger ist mehr, lautet das Motto des gebürtigen Bochumers. Das lebt er so konsequent wie kaum jemand sonst. Abstriche macht er dabei nicht nur beim Wohnen, sondern in allen Bereichen seines Lebens. Sein Hab und Gut passe – das Fahrrad einmal ausgenommen – in einen kleinen Wanderrucksack. „Ich stelle mir bei allem die Frage: Brauche ich das wirklich?“
Wittener Student verlässt WG und zieht in Kleintransporter
Diese entscheidende Frage stellte er sich 2019 auch in Bezug auf seine damalige Wohnsituation. „Meine beiden Zimmer in meiner WG waren ohnehin fast leer“, erinnert sich Patrick. Denn schon zuvor hatte er sich nach und nach von vielen Besitztümern getrennt, sogar von Kindheitserinnerungen auf dem Dachboden der Eltern. Im Juli 2019 zog er dann in seinen Transporter, den er meist auf einer Parkbucht im Muttental abgestellt hatte. Ausgestattet mit einer Matratze, einem Campingkocher und einigen Küchenutensilien.
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Im Endeffekt seien Dinge, die man besitzt, „nur Ballast, den man mit sich herumträgt“, sagt Patrick Schulz. Seine Sicht: Besitztümer schränken ein. Denn zum einen müsse man für Dinge Zeit investieren, um das nötige Geld zu verdienen. Andererseits müsse man auch Zeit und weiteres Geld in die Pflege stecken.
Gleiches gilt selbstredend auch für eine Wohnung. Ohne sich – dank Van als Dach über dem Kopf – um die Miete Sorgen machen zu müssen, habe er enorm viel Freiraum für sich selbst und seine Hobbys gehabt. Zugute kamen ihm dabei auch Ersparnisse aus seinem früheren Leben als Bankkaufmann.
Im Van war es oft kalt, nass und dunkel
Natürlich sei das Leben auf rund vier Quadratmetern auch fordernd gewesen – vor allem im Herbst und Winter. „Es ist kalt, nass, dunkel – darauf muss man sich einlassen“, sagt der 29-Jährige. Wärme habe er sich andernorts gesucht, etwa in Cafés, beim Sport oder in Räumen der Uni Witten, an der er Philosophie, Politik und Ökonomik studiert hat. Durch das Leben im Van hat Schulz gelernt, mit den Jahreszeiten zu leben. Im Sommer etwa habe er sich sehr viel draußen in der Natur aufgehalten. Ein Sprung in die Ruhr ersetzte die Dusche, der Sonnenuntergang das Fernsehprogramm.
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Für Schulz gehört „die Zeit der Ungemütlichkeit“ in der grauen Jahreszeit dazu, um den Sommer schätzen zu können. „Wir haben dieses Denken, dass alles immer verfügbar ist.“ Dabei seien die Menschen auch ein Teil der Natur, ihrem natürlichen Zyklus unterworfen. „Für mich ist der Winter eine Ruhezeit, da mache auch ich bewusst Pause.“ Um im Frühling mit neuer Energie durchzustarten – ganz nach dem Vorbild der Natur.
Im Van zu sich selbst gefunden
„Ich kam aus einer Zeit, in der ich immer Party gemacht habe, ständig unter Leuten war“, sagt der heutige Umwelt-Aktivist. Im Van und durch sein Leben mit der Natur habe er Ruhe gefunden – und endlich den Raum, um Gefühle hochkommen zu lassen und zu verarbeiten, die zuvor jahrelang unterdrückt wurden. „Es fühlt sich an, als habe ich zu mir selbst gefunden, wer ich bin, was ich machen will.“
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Dabei sah es zunächst nach einem ganz anderen Lebensweg für ihn aus. Aus gutbürgerlichem Hause stammend, ging Patrick nach seinem Abitur nach München und schloss dort eine Banklehre ab. „Ich war voll auf dem Karrierekurs und auf dem Weg, viel Geld zu verdienen.“ Nach der Ausbildung zog es ihn nach Bochum zurück, wo er bei der nachhaltigen GLS-Bank arbeitete. Diese Zeit habe viel in ihm angestoßen. Etwa, weil sich dort nicht alles nur um Geld gedreht habe, sondern darum, wohin das Geld fließt.
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Prägende Erfahrungen in Kanada
2017 nahm er sich dann eine Auszeit und ging auf Reisen. Es verschlug ihn nach Kanada, genauer genommen in ein kleines Fischerdörfchen namens Tofino. Dort gingen die Uhren und der gesamte Lebensrhythmus der Menschen anders, als Schulz es aus seinem bisherigen Leben kannte. „Mit Abstand habe ich gemerkt: Man kann auch anders leben.“ Nach seiner Rückkehr nach Deutschland habe er „einfach nicht mehr in die Strukturen hier reingepasst“.
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Auf seiner Reise nach Kanada war Patrick Schulz zum ersten Mal an einer Müllsammelaktion beteiligt, die ihm die weltweiten Zusammenhänge der Müllkrise vor Augen führten. Mittlerweile hat der engagierte Wittener die Initiativen „Bochum bolzt“ und „Witten bolzt“ ins Leben gerufen, die Umweltbildung mit Fußball kombinieren.
Dabei wird vor jedem Kick erst eine Runde Müll gesammelt. Auch am „Ruhr Clean up“, dem Großreinemachen am Ruhrufer, ist Patrick Schulz beteiligt. Zusammen mit Mitstreiter John Hodgkinson hat Schulz auch 2021 den Verein „weniger e.V.“ gegründet, der sich selbstredend auch dem Thema Müll und Umweltschutz widmet.
Doku-Kurzfilm über Schulz
Ein Team der Universität Witten/Herdecke hat Patrick Schulz mit der Kamera begleitet und daraus einen kurzen Dokumentarfilm gemacht. Zu sehen ist das rund zehnminütige Video hier auf der Videoplattform Youtube.
Mehr Informationen zu „weniger e.V.“ gibt es auf deren Homepage wenigerev.de. Der Verein ist mittlerweile auch schon an vielen Wittener Schulen aktiv und bietet dort Umwelt- und Müllsammelaktionen an.
Derzeit lebt der 29-Jährige nicht mehr im Van. Denn er wird bald Vater. Mit seiner Partnerin führe er die Idee des minimalistischen und naturnahen Wohnens nun an einem anderen Ort im Muttental fort, sagt er. Diesen möchte er aber privat lassen. „Generell ist jetzt die Zeit der Überlegungen, wie wir künftig als Familie leben wollen“, sagt Patrick. Sicher ist dabei nur eins: Eine Wohnung in der Wittener City wird es sicherlich nicht werden. Selbst eine Rückkehr in den Van ist nicht ganz ausgeschlossen. „Mein Leben war früher so vorprogrammiert. Jetzt lebe ich so, wie ich jetzt leben möchte. Was in zehn Jahren ist: keine Ahnung.“