Witten. Überfüllte Arztpraxen und Kliniken, dafür leere Kitas: In Witten erreicht die Grippewelle vor allem Kinder. Wie Eltern sich verhalten sollten.

Die Sprechstundenhilfe am Telefon lacht. „Sie wissen ja, wie es aussieht.“ Heißt: Die Kinderärztin ausWitten ist heute nicht zu sprechen. Wie so viele ihrer Kolleginnen und Kollegen. Denn eine große Krankheitswelle bei Kindern und Jugendlichen rollt über die Ruhrstadt. Es gibt viele grippale Infekte, auch mit Fieber verbunden. Magen Darm ist ebenfalls unterwegs. Die Folge: rappelvolle Arztpraxen, dafür leere Grundschulklassen und Kita-Gruppen.

„Wir laufen zu“, sagt Dörte Hilgard, Kinderärztin mit Sitz an der Bahnhofstraße. Man versuche, schneller zu arbeiten und irgendwie über die Runden zu kommen. Doch die Wartezeiten bleiben lang. Auch die Kinder- und Jugendklinik im Marien-Hospital ist durchgehend vollständig ausgelastet. „Die täglich freiwerdenden Betten werden umgehend mit neuen Patienten belegt“, sagt Chefarzt Dr. Bahman Gharavi.

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Corona hat viele Eltern aus Witten verunsichert

Die aktuelle Situation ist sowohl für Eltern und Kinder als auch Praxisteams und Klinik eine Herausforderung. „Alle Infekte dieser Welt“ sehe sie derzeit in der Sprechstunde, sagt Dörte Hilgard. Einen Schwerpunkt kann die Medizinerin nicht ausmachen. Es strömen aber besonders viele Kinder und Jugendliche mit einem grippalem Infekt in die Praxen.

„Die Menschen sind weiterhin verängstigt durch Corona“, stellt die Ärztin bei ihren täglichen Untersuchungen fest. So kämen Eltern oft lieber zu früh als gar nicht in die Praxis, um die Erkrankung des Kindes abklären zu lassen. „Dafür habe ich auch Verständnis“, sagt die Kinderärztin.

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Kein Verständnis bringe sie hingegen für diejenigen Eltern auf, die mit einem einfachen Virusinfekt mehrmals vor der Türe stehen. Und man müsse auch nicht wegen jedem Schnupfen direkt einen Arzt aufsuchen. „Das führt dazu, dass die Praxen gesprengt werden“, warnt Hilgard.

Atteste für Schulen sind ein Ärgernis für Kinderärzte

Besonders ärgerlich ist für die niedergelassenen Ärzte auch die Tatsache, dass viele Schülerinnen und Schüler ein Attest fürs Fernbleiben vom Unterricht brauchen. „Das verschwendet Ressourcen“, sagt die Medizinerin aus der Innenstadt. Schließlich sollten Eltern selbst am besten wissen, wann das Kind zu krank ist, um in die Schule oder die Kita zu gehen.

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Auch die Notdienste der Kinderärzte – derzeit sehr stark nachgefragt – würden zu leichtfertig von manchen Eltern in Anspruch genommen. „Wenn dann jemand mit einem Kind kommt, das seit drei Tagen hustet, und dann will man am Sonntag mal draufschauen lassen… so was ärgert uns.“ Denn ein solcher Fall könne schließlich auch am Montag in die reguläre Sprechstunde kommen.

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Leere Schulklassen, leere Kita-Räume

Wie heftig die Krankheitswelle gerade wütet, davon können Kita- und Schulleitungen ein Lied singen. „In einigen unserer Einrichtungen fehlen zwei Drittel der Kinder, in anderen fallen zwei Drittel der Mitarbeitenden aus“, schildert Angelika Arend, Geschäftsführerin des Evangelischen Kindergartenverbunds, die Lage in den Kitas. Vereinzelt müsse die Betreuungszeit sogar eingeschränkt werden, weil zu viel Personal krank sei (wir berichteten).

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In der Pferdebachgrundschule fehlten an einem Tag in dieser Woche 18 von 209 Schülerinnen und Schülern. „Ein hoher Krankenstand“, sagt Leiterin Dörthe Diefenbruch. Auch viele Lehrer seien angeschlagen. Unterricht müsse bislang aber nicht entfallen. „Die Kollegen halten es zurzeit noch durch.“ Bei den anderen Wittener Grundschulen sei die Lage ähnlich, sagt die Rektorin und Sprecherin der Wittener Grundschulen.

Dörthe Diefenbruch, Schulleiterin der Pferdebachschule in Witten, beklagt eine große Krankheitswelle an den Wittener Grundschulen.
Dörthe Diefenbruch, Schulleiterin der Pferdebachschule in Witten, beklagt eine große Krankheitswelle an den Wittener Grundschulen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Masken haben Infekt-Welle in letzten Jahren ausgebremst

Ein Zustand, den die Grundschulsprecherin so schon lange nicht mehr erlebt hat. „Das Tragen von Masken hat uns in den vergangenen zwei Jahren vor Krankheiten geschützt. Auf der anderen Seite sind die Abwehrsysteme nun so runtergefahren, dass man plötzlich jeden Infekt mitnimmt“, sagt Diefenbruch.

Kinderklinik-Chef Dr. Bahman Gharavi sagt wiederum: „Die Infektionen können verhindert werden, wenn auf soziale Kontakte verzichtet wird. Wo dies möglich ist, kann auch durch regelmäßige Desinfektion der Hände oder das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko der Übertragung des Virus verringert werden.“

„Es wäre schön, wenn Eltern ihre kranken Kinder einfach nicht mehr in die Kita schicken – auch dann, wenn es kein Corona ist“, sagt Angelika Arend vom Ev. Kita-Verbund. 24 bis 48 Stunden nach Abklingen der Symptome solle man sein Kind noch zu Hause lassen. „Es kommt häufiger vor, dass Eltern die Situation morgens nicht richtig einschätzen, das Kind krank zur Schule schicken und es dann im Laufe des Tages wieder abholen müssen“, bestätigt Rektorin Dörthe Diefenbruch. Das sei kritisch für den Schulbetrieb, auch wenn sie verstehen könne, dass Eltern ihre Kinder nach so viel Unterrichtsausfall nun wieder möglichst regelmäßig zur Schule schicken wollen.

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