Witten. In Witten gibt es vier Wohnungsgenossenschaften. Und das schon seit Jahrzehnten. Sie erklären, warum dieses alte Modell trotzdem Zukunft hat.
Wohnungsgenossenschaften gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Die Idee dazu entstand aufgrund der Wohnungsnot der Bevölkerung in der Zeit der industriellen Revolution. Bis heute versorgen sie die Menschen mit preisgünstigem Wohnraum und bieten eine Alternative zum freien Markt. Ein Modell mit Zukunft also? Die vier Wittener Unternehmen jedenfalls setzen mit ihren über 3300 Wohnungen weiter auf Gemeinnützigkeit.
„Eine Genossenschaft ist die sozialste Wohnform, die es gibt“, sagt etwa Dirk Rosenthal vom Vorstand der Genossenschaft Witten-Süd. Christian Linder (Witten-Ost) ergänzt: „Wir haben keinen Gewinnmaximierungsauftrag.“ Mögliche Mieter zahlen hier zum Beispiel eine Einlage von 800 Euro, dafür aber keine Kaution. Ein weiterer Vorteil seien die kurzen Wege, falls mal was kaputt ist. „Wenn der Wasserhahn tropft, kommt unser eigener Handwerker raus.“
Eine treue Klientel, die manchmal über Generationen in den Häusern lebt, sowie nachbarschaftliches Denken seien die Kennzeichen genossenschaftlichen Wohnens, so Linder. Leider gehe dies mancherorts verloren, bedauert Dirk Rosenthal. Sommerfeste oder gemeinsam die Innenhöfe zu gestalten, das sei etwa in der schönen Schott-Siedlung auf dem Crengeldanz immer gang und gäbe gewesen.
Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte
Die Wohnungsgenossenschaft Witten-Mitte wurde am 22. August 1895 als Spar- und Bauverein gegründet und ist heute mit rund 1800 Wohnungen das größte und älteste Wohnungsunternehmen in der Stadt. Der Wohnungsbestand befindet sich in Herbede und Heven, auf dem Sonnenschein, in der Innenstadt sowie in Bommern und Rüdinghausen. Die meisten Wohneinheiten wurden zwischen 1948 und 1989 erbaut. Die Durchschnittsmiete beträgt 5,26 Euro/m².
Witten-Mitte bietet auch besondere Wohnformen an. So war die Senioren-WG am Bodenborn in Bommern im Jahre 2009 die erste ihrer Art im EN-Kreis. Außerdem finden in den Häusern der Genossenschaft eine durch die Lebenshilfe betreute Wohngemeinschaft, drei Kitas sowie Menschen, die durch einen Unfall eine Hirnschädigung erlitten haben, einen Platz.
„In den letzten 15 Jahren haben wir insgesamt 80 Millionen Euro investiert“, so Vorstandsvorsitzender Frank Nolte. Hiervon entfielen etwa 17 Millionen auf verschiedene Neubauvorhaben. Der Rest wurde in Bestandsobjekte gesteckt, vor allem für energetische Sanierungen. „Zurzeit errichten wir gegenüber vom Hauptbahnhof unser neues Verwaltungsgebäude mit drei Wohnungen. Geplant ist nebenan dann ein weiterer Neubau mit Kita, Arztpraxis und 33 Wohnungen.“
Wohnungsgenossenschaft Witten-Süd
Seit über 100 Jahren bietet die Wohnungsgenossenschaft Witten-Süd Wohnungen in der Ruhrstadt an. Die 526 Wohnungen verteilen sich auf 116 Häuser vor allem in der City, auf dem Crengeldanz, an der Humboldt-, Röhrchen-, Schützen- und Südstraße. Die Miete liegt bei 4,86 Euro/m², bei Neubauten beträgt sie 6,50 Euro/m². Gerade plane man ein Neun-Familien-Haus an der Ardeystraße 261 mit einer barrierefreien Wohnung. Der Rest sei altengerecht, so Vorstand Dirk Rosenthal.
„Manche Mitglieder wohnen seit 30 oder 40 Jahren in unseren Wohnungen“, sagt er. Wird eine solche Wohnung frei, dann investiere die Genossenschaft. „Die Ansprüche sind ja inzwischen gestiegen.“ Ebenerdige Dusche, Fenster im Bad, Balkon – das erhöhe die Vermietbarkeit wesentlich. Wie jede private Baugesellschaft kämpfe man jedoch gegen steigende Preise. Rosenthal: „Wir wissen nicht, ob wir nicht irgendwann über flächendeckende Mieterhöhungen nachdenken müssen.“
Wohnungsgenossenschaft Witten-Ost
Witten-Ost unterhält 670 Wohnungen in der Ruhrstadt, davon den Großteil in Annen. Die Siedlung an der Rüdinghauser Straße sei über 100 Jahre alt, erklärt Vorstand Christian Linder. „Sie steht unter Denkmalschutz und ist das größte Denkmal dieser Art in Witten.“ Viele Häuser dort besitzen Gärten, die schon früher der Selbstversorgung dienten. Auch In der Mark gehören der Genossenschaft viele Häuser. Die Miete liegt im Schnitt bei 5,25 Euro/m².
Neubauten gebe es kaum. Zuletzt sei ein Haus mit 20 Wohnungen in der Kantstraße entstanden – mit dem für moderne Bauten so typischen Flachdach. Mit der Wittener Siedlungsgesellschaft betreibt Witten-Ost gemeinsam das Café Schelle als Treffpunkt für Mieter im Bereich Schellingstraße.
Siedlungsgenossenschaft Arbeiterheim (SAW)
„Sie haben das schnellste Internet in Witten.“ Nicht nur damit wirbt die SAW auf ihrer Homepage um Mieter. Auch eigene Handwerker, die im Notfall rund um die Uhr erreichbar sind, gehören zu den Vorteilen der Genossenschaft, die rund 300 Wohnungen mit einer Größe zwischen 40 bis 120 m² vermietet: Am Ledderken, am Sonnenschein sowie in der Nähe des Diakonissenkrankenhauses und der Uni. Die Miete beträgt im Schnitt 5,20 Euro/m².
Siedlungsgesellschaft gehört zur Arbeitsgemeinschaft
Außer den vier Wohnungsgenossenschaften gibt es seit über 90 Jahren auch noch die kommunale Siedlungsgesellschaft Witten, deren Geschäftsführerin Claudia Pyras ist. Hauptgesellschafter ist die Stadt Witten. Weitere Gesellschafter sind die Sparkasse und die Stadtwerke.
Vertreter aller fünf Unternehmen treffen sich regelmäßig in einer Arbeitsgemeinschaft. Man tauscht sich zum Beispiel über steigende Energiepreise aus und verhandelt mit den Stadtwerken über Tarife. Dass die Unternehmen sich nicht als Konkurrenten auf dem Immobilienmarkt sehen, beweisen sie normalerweise auch beim Weihnachtsmarkt: Auf der Bande an der Eisbahn (die es in diesem Jahr nicht gibt) haben sie schon gemeinsam Werbung gemacht.
„Der Bestand wird ständig saniert, da eine Genossenschaft alle Gewinne in solche und ähnliche Maßnahmen steckt“, erklärt Vorstand Johannes Wilgenbus, dessen Großvater schon für die Genossenschaft gearbeitet hat. Alle Häuser sind isoliert. Zirka 60 Prozent verfügen über neueste Heiztechnik, etwa Gasbrennwertheizungen.
Man wolle ein Gesamtkonzept für zukünftige Heizformen entwickeln und ein Mehrgenerationenhaus im Bestand einrichten. Jedes Haus solle mindestens eine barrierefreie Wohnung besitzen. Neu sind außerdem einige „Plauderecken“ im Außenbereich. Eine positive Auswirkung der aktuellen Krisen kann Wilgenbus erkennen: „Das Miteinander unter den Mietern ist wiederentdeckt worden.“