Witten. Das Jugendamt Witten schickte zwei Problem-Teenager nach Niedersachen. Warum das nötig war und wie schwierig der Umgang mit Systemsprengern ist.
Das Jugendamt Witten hatte bis Ende Mai zwei Jugendliche in einer Einrichtung in Magelsen (Niedersachsen) untergebracht. Dort sollten die jungen Männer individuell betreut werden. Doch der Anbieter nahm es damit wohl nicht so genau. Ein NDR-Bericht förderte zu Tage, dass in dem Hotel bis zu sieben Teenager zeitweise nur von einem Betreuer beaufsichtigt wurden, Anwohner berichteten von Prügeleien und Gewalt. Daraufhin holte das Wittener Amt die Jugendlichen aus der Maßnahme.
Über den schwierigen Umgang mit solchen als „Systemsprenger“ bezeichneten Jugendlichen sprach Stephanie Heske mit Jugendamtsleiterin Corinna Lenhardt und Nina Brons, die für Erzieherische Hilfen zuständig ist.
Warum schickt das Jugendamt schwer erziehbare junge Menschen nach Niedersachsen?
Brons: Es ist schwierig, Jugendliche mit multiplen Problemlagen (vielen unterschiedlichen, Anm.d.Red.) unterzubringen. Es gibt weit mehr Bedarf als Plätze. Solche Jugendlichen haben schon viele Maßnahmen durchlaufen, aber normale stationäre Einrichtungen sind mit ihnen überfordert. Für sie ist es wichtig, alleine betreut zu werden, nicht in einer Gruppe.
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Lenhardt: Viele unserer Schützlinge haben mit Bindungsstörungen zu kämpfen, sie haben keinen Halt. Das macht eine feste Bezugsperson nötig, zu der sie eine Beziehung aufbauen können. Die herausforderndsten Fälle brauchen eben auch eine 24-Stunden-Betreuung. Das kostet uns natürlich eine Stange Geld, aber es ist sehr wohl überlegt.
Geht das nicht in einer stationären Einrichtung?
Brons: Diese Jugendlichen haben dann schon mehrere Abbrüche hinter sich, etwa in Wohngruppen, bevor wir solche individualpädagogischen Maßnahmen einleiten. In einem solchen Fall melden sich dann die Einrichtungen bei uns und sagen, es geht nicht mehr, wir können das nicht mehr leisten. Die Jugendlichen gefährden auch häufig die anderen Mitglieder der Gruppe. Dann sofort eine passende individuelle Maßnahme zu finden, ist schwierig.
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Gibt es hier in der Nähe denn keine entsprechenden Angebote?
Brons: Die Kollegen suchen bundesweit. Es gibt Jugendliche, die bleiben nicht in der Maßnahme. Sie hauen ab. Oft ist es sinnvoller, sie an einem Ort unterzubringen, an dem sie fremd sind. Das erhöht die Motivation zur Mitarbeit. Oft sind solche speziellen Einrichtungen in eher reizarmen Gegenden, auch das kann hilfreich sein. Hattingen ist da definitiv nicht weit genug, auch nicht die Eifel. Besonders wenn die Jugendliche auch Drogenprobleme haben.
Wie weit geht das? Sind denn auch Jugendliche aus Witten im Ausland?
Lenhardt: Ja. Zur Zeit sind zwei Jugendliche in Italien. Jeweils mit einem Pädagogen. Auch bei ihnen steht die Idee dahinter, sie über einen Bezugsbetreuer anzusprechen. Das müssen wir weiter versuchen. Es ist schwer, dass sie im Inland an einem Ort bleiben. Deshalb haben wir sie ins Ausland geschickt – natürlich mit dem Ziel, sie zurückzuholen. Zudem haben wir ja den gesetzlichen Auftrag, uns um die Jugendlichen zu kümmern. Wir können sie nicht einfach sich selbst überlassen.
Wie lange bleiben sie denn dort?
Lenhardt: Das ist schwer zu sagen. Das können erfahrungsgemäß mal drei Monate sein, es kann aber auch zwei Jahre dauern, wenn der Bedarf da ist. Da schauen wir aber auch regelmäßig drauf.
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Brons: Es gibt ja die Hilfeplangespräche, die alle sechs Monate stattfinden. Da wird geschaut, ob die Ziele erreicht wurden, was vielleicht noch fehlt. Aber das sind Prozesse, die dauern. Es braucht lange, um neue Verhaltensweisen einzuüben.
Lenhardt: Wir sprechen hier ja auch von Jugendlichen, die nicht mit 14 Jahren plötzlich auf der Bildfläche auftauchen. Es gibt Familien, die begleiten wir seit Jahren. Manchmal fängt das schon mit der Entbindung an. Die Kinder kommen nicht mit Problemen auf die Welt, das hat sich lange entwickelt.
An Maßnahmen im Ausland gibt es ja oft Kritik. Auch wegen der Kosten.
Brons: Aber was wäre die Alternative dazu? Bei Jugendlichen, die schon viel mitgemacht haben, braucht man alternative Zugangswege. Sobald es nach Jugendhilfe riecht, sind sie raus.
Lenhardt: Wir haben den Auftrag, uns zu kümmern und das machen wir auch. Ohne Betreuung könnten diese Jugendlichen selbst- oder fremdaggressiv werden, eine Bedrohung für sich und die Gesellschaft darstellen. Wie versuchen, sie zur Selbstständigkeit zu bringen. Dass sie vielleicht sogar irgendwann eine Ausbildung machen, auf eigenen Füßen stehen können. Bei vielen gelingt das auch. Aber leider verlieren wir auch immer wieder Jugendliche. Wenn sie 18 werden und nicht selbst einen Antrag auf Weiterbetreuung stellen, sind wir nicht mehr zuständig.