Witten. Hat das Jugendamt Witten einem Betrüger viel Geld für die Betreuung von zwei Jugendlichen gezahlt? Gegen den Anbieter laufen Ermittlungen.
Ein Skandal um eine mutmaßlich illegale Einrichtung für Jugendliche in einem beschaulichen Örtchen in Niedersachsen zieht seine Kreise bis nach Witten. Denn das hiesige Jugendamt hatte bis vor Kurzem zwei schwer erziehbare Jugendliche dort untergebracht – zu einem hohen Tagessatz. Nach Bekanntwerden der Zustände dort hat die Behörde die beiden jungen Menschen Ende Mai aus der Unterkunft geholt.
In Niedersachsen ermittelt derzeit die zuständige Staatsanwaltschaft auf Betreiben des dortigen Landesjugendamtes wegen des Verdachts des Betruges und des „beharrlichen bzw. wiederholten Betreibens einer Einrichtung bzw. Unterbringung von Kindern und Jugendlichen ohne die erforderliche Erlaubnis“.
Jugendliche in Hotel sollen mehrfach gewalttätig geworden sein
Doch worum geht es überhaupt? In der von Witten knapp 250 Kilometer entfernten Gemeinde Hilgermissen hat im vergangenen Juli das „New Way Hotel“ eröffnet. Dort sollten sich junge Menschen in schwierigen Situationen kurzzeitig erholen können. Doch Recherchen des NDR förderten zu Tage, dass dort mehrere Jugendliche monatelang lebten. Anwohner berichteten von Gewalt und Prügeleien, dass Polizei und Krankenwagen regelmäßig vor Ort waren.
Das zuständige Jugendamt konnte nicht eingreifen – denn die Unterkunft hat keine Betriebserlaubnis als Jugendhilfeeinrichtung und diese auch nie beantragt. Bis vor wenigen Tagen konnte man im Internet allerdings noch lesen, dass das Unternehmen „Haltestelle 35“ Plätze für „besonders intensive Jugendliche“ in dem Hotel anbietet. Und zwar im Rahmen einer sozialpädagogisch begleiteten Wohnform und als „Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung“.
Vornehmlich Systemsprenger sollen im „New Way Hotel“ untergebracht worden sein
Mittlerweile ist sowohl die Internetseite des Hotelbetreibers, der Firma „New Way Verwaltung sozialer Dienste“, als auch der Online-Auftritt der „Haltestelle 35" offline. Beide sind durch eine Person verbunden: Alexander Mayer ist Inhaber des New Way Hotels und nach NDR-Angaben auch Gründer von „Haltestelle 35“.
Besonders brisant: Die in dem Hotel untergebrachten Jugendlichen waren nach Angaben von ehemaligen Mitarbeiterinnen fast allesamt Systemsprenger, also besonders schwierige Fälle, die schon viele Hilfsmaßnahmen durchlaufen haben. Für diese jungen Menschen müsste der Betreuungsschlüssel bei eins zu eins liegen.
Ein Betreuer für sieben Jugendliche an Wochenenden und nachts
Doch laut NDR-Bericht sei etwa an Wochenenden, am späten Nachmittag, nachts und in den frühen Morgenstunden meist nur ein Betreuer vor Ort gewesen – für bis zu sieben Jugendliche. Außerdem habe etwa die Hälfte des Personals keine pädagogische Ausbildung. Dennoch kassierte „Haltestelle 35“ kräftig ab: Mindestens 300 Euro pro Tag für jeden Jugendlichen sollen es gewesen sein.
Das Jugendamt Witten bestätigt auf Nachfrage, dass zwei „sozial und emotional äußerst belastete Jugendliche mit multiplen Problemlagen“ in Hilgermissen „im Rahmen einer individualpädagogischen Maßnahme betreut wurden“. Die Unterbringung in dem Hotel sei allerdings durch den beauftragten Träger erfolgt, nicht durch das Jugendamt.
Jugendamt Witten: Keine passenden Angebote in der Nähe
Es sei eine erstmalige Kooperation mit dem Träger, also mit „Haltestelle 35“, gewesen. Diese sei mittlerweile beendet. Die Jugendlichen, zu denen das Amt keine weiteren Angaben machen möchte, habe man nach Niedersachsen vermittelt, weil es im näheren Umfeld von Witten und in NRW keine den Bedarf der Jugendlichen abdeckenden Angebote gegeben habe.
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Wie es den beiden jungen Leuten in Niedersachsen ergangen ist? Auf die Frage, ob und wie der Erfolg des Aufenthaltes dort vom Jugendamt kontrolliert wurde, verweist die Behörde lediglich auf sogenannte Hilfeplangespräche, die in einem regelmäßigen Turnus stattfinden würden. Wann und ob ein solches Gespräch in den konkreten Fällen stattgefunden hat, bleibt unbeantwortet.
Auch wie lange die Jugendlichen im „New Way Hotel“ untergebracht waren und wie viel Geld dafür bezahlt wurde, will die Stadt nicht preisgeben und verweist auf den Schutz der betroffenen Jugendlichen. Auch sei es nach Erkenntnissen des Jugendamtes „zu keinerlei Gefährdung des Kindeswohls gekommen“. „Dennoch haben uns die Erkenntnisse und die rechtliche Situation gezwungen, die Jugendlichen aus der Maßnahme zu nehmen“, sagt Corinna Lenhardt, Leiterin des Amtes für Jugendhilfe und Schule. Die Stadt prüfe derzeit auch selbst rechtliche Schritte.
Betriebserlaubnis nötig?
Das Jugendamt Witten verweist in seiner Stellungnahme gegenüber unserer Redaktion darauf, dass die Maßnahme, in die man die Jugendlichen entsandt hatte – also zu einer individualpädagogischen Betreuung – in NRW keine Betriebserlaubnis benötigen würde.
Das Landesjugendamt sieht das etwas anders. Sobald die Jugendlichen an einem Ort stationär untergebracht seien, sei eine Betriebserlaubnis nötig, sagt ein Sprecher. Eine Ausnahme gebe es, wenn die Unterbringung ganz individuell auf einen speziellen Jugendlichen zugeschnitten und damit nicht wiederholbar sei.