Witten. Schon am Donnerstag hat Galeria Karstadt Kaufhof in Witten den letzten Tag eingeläutet. Die letzten Restposten gehen weg.
.„Heute letzter Tag!“ Mit gelben Aufklebern im Schaufenster hatte Galeria Karstadt Kaufhof überraschend doch schon am Donnerstag (15.10.) zum Endspurt geblasen. Doch abends hieß es es dann wieder: Wir schließen doch erst im Laufe des Freitags. Ursprünglich war sogar von Samstag die Rede gewesen.. Sei’s drum. Am Freitag (16.10.) fällt nun die letzte Klappe.
„Gespenstisch“ findet eine Kollegin das leer gefegte Warenhaus in Witten
„Gespenstisch“ ist das Wort, das einer jungen Kollegin einfällt, während wir durch die schon leer gefegten Etagen streifen. Schmuckvitrinen wie ausgeplündert, nackte Schaufensterpuppen, eine fast komplett geräumte Süßwarenabteilung und überall die weißen Stehschränke mit den ebenfalls verwaisten Glasregalen – „erschütternd“, sagt Buchhändlerin Sabine Wirts-Hohagen (Lehmkul), die wir zufällig bei den Büchern treffen. Eine Frau läuft durch die Gänge, schüttelt den Kopf und ruft immer wieder: „Traurig, traurig, traurig.“
Die schon vor Wochen begonnene Rabattschlacht findet an diesem Donnerstag ihren traurigen letzten Höhepunkt - sofern die Schnäppchenjäger überhaupt noch was finden. Da gib’s die Jeans für fünf Euro und die schwarz-rot-gelbe Deutschlandfahne für 50 Cent. Dort die letzten Strandshorts von Gerry Weber für drei Euro, hier eine Jogginghose von St. Olivier für fünf – die Markenware verkommt zum Ramschposten. „Alles muss raus.“ Eine Frau mustert einen blauen Bikini für einen Euro. Und fragt: „Wo sollen wir denn jetzt einkaufen? Wir haben immer weniger Geschäfte.“
Ältere Kundin aus Witten: „Ich habe hier immer was gefunden“
Noch drastischer drückt es Rosa Kunze aus, stolze 80 und seit einer Ewigkeit Kundin. „Die Stadt stirbt“, fürchtet sie nach der schon vor Monaten bekanntgewordenen Schließung des Warenhauses an der oberen Bahnhofstraße, das im Zuge der Konzernsanierung dran glauben musste. „Ich hab hier immer was gefunden“, sagt die Bommeranerin. Und ausgerechnet, jetzt am letzten Tag, geht sie leer aus. Dabei hatte sie ihr Auge schon auf ein geräumiges Portmonee geworfen. Doch Zögern gilt nicht beim Ausverkauf – als sie zuschlagen will, ist es weg.
Die Sorge, was nach dem Ende des größten Wittener Kaufhauses aus der Innenstadt wird – sie beschäftigt an diesem traurigen Tag auch die Jüngeren. Sie habe in der Nähe gewohnt und der Kaufhof habe ihr immer ein gewisses Gefühl von Großstadt gegeben, sagt Hannah, die vom Niederrhein kommt und seit anderthalb Jahren in Witten Medizin studiert. Sie fragt sich, wie es jetzt mit dem Einzelhandel weitergehen soll, „wo doch vieles schon so ausgestorben wirkt“. Nun, der größte Leerstand folgt erst jetzt.
Beschäftigte aus Witten stehen bald auf der Straße
Verkäuferinnen, denen zum Heulen zumute ist, tragen ihre Trauer hinter der Maske. Wut und Enttäuschung sind groß. Viele sind seit Jahrzehnten da, manche haben hier schon gelernt. „Jetzt stehen wir bald auf der Straße“, sagt Sabine Oesterwind. Sechs Monate noch Transfergesellschaft mit 70 bzw. 80 Prozent vom letzten Lohn, dann droht die Arbeitslosigkeit. „Wir waren der letzte Vollsortimenter“, sagt Oesterwind, die knapp 20 Jahre in der Filiale war.
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Die schöne Spielwarenabteilung im Untergeschoss, nur noch Schilder an der Wand von Lego und Playmobil erinnern daran. Die „Herrenkonfektion“, wo die 56-Jährige in guten Zeiten mit „zehn, zwölf Kollegen“ tätig war – mit rot-weißem Flatterband abgesperrt. Und sie sprechen gar nicht mal groß von sich, die Verkäuferinnen, denen die Pistole auf die Brust gesetzt worden sei – „zweieinhalb Monatsgehälter Abfindung oder Transfergesellschaft“ – , nein, sie sorgen sich um die Kunden und um die Innenstadt.
Kaufhof-Verkäuferinnen aus Witten: Für ein Stofftier zur Geburt im Marien-Hospital muss man jetzt nach Bochum fahren
„Wer nach der Geburt im Marien-Hospital mal eben ein Stofftier bei uns gekauft hat, muss jetzt nach Bochum fahren“, sagen ihre Kolleginnen Ayse Ergün (49) und Figen Korkmaz (50) bitter. Beide sind seit über 30 Jahren dabei. Und all die alten Kunden… – „wohin sollen die jetzt gehen?“ Die Kaufhofschließung sei ein „Genickschuss“ für Witten. Knapp 30 Angestellte waren sie zuletzt noch.
Nach dem Aus, der ein Tod auf Raten war, wollen sie sich irgendwann noch einmal zu einer kleinen Abschiedsfeier privat treffen. Kunden an der Kasse, vor der sich ein letztes Mal lange Schlangen bilden, wünschen „alles Gute“. Im Erdgeschoss liegen nur noch ein paar Bücher, darunter eins für 50 Cent mit dem Bild von Boris Becker vorne drauf. Der Titel, er passt irgendwie zu diesem trüben Tag: „Das Leben ist kein Spiel.“