Velbert. Mehr als jedes fünfte Kind in Deutschland ist von Armut bedroht. Und auch in Velbert nimmt die Zahl armer Kinder zu, so Sozialarbeiter.
Etwa 2,9 Millionen Kinder und Jugendliche in Deutschland sind armutsgefährdet. Insgesamt ist damit mehr als jedes fünfte Kind von Armut bedroht. Für junge Erwachsene zwischen 18 und 25 Jahren sieht es noch schwieriger aus: Mehr als jeder Vierte ist armutsgefährdet. Dazu hat die Bertelsmann Stiftung am Donnerstag eine Überblicksstudie vorgelegt. Wie sieht die Situation in Velbert aus?
Auch Velberter sind betroffen, die bislang nicht auf Sozialleistungen angewiesen waren
„Armut haben wir immer gehabt und sie nimmt jetzt zu“, sagt Willi Knust, Geschäftsführer des SKFM Velbert/Heiligenhaus. Dafür seien insbesondere die steigenden Lebensmittel- und Energiekosten verantwortlich. In ihren Velberter Kindertagesstätten, Stadtteil- und Familienzentren kommen die Mitarbeitenden der katholischen Sozialdienste mit armutsbedrohten Eltern ins Gespräch. „Jetzt sind Familien betroffen, die bisher nicht auf staatliche Sozialleistungen angewiesen waren“, sagt Knust. Diese darin zu unterstützen, ihre Scham zu überwinden und zum Beispiel einen Wohngeldantrag zu stellen, sei nicht einfach. „Armut versteckt sich“, so Knust. Deshalb sei es besonders wichtig, die eigene Mitarbeiterschaft für ein sensibles Zugehen auf betroffene Eltern zu schulen.
Fremdbestimmt und ohne wirkliche Chance
Knust weiter: „Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die von Armut und Benachteiligungen betroffen oder bedroht sind, erleben sich häufig als fremdbestimmt und ohne wirkliche Chance.“ In der Schule könnten armutsbedrohte Kinder in den Diskussionen über das nächste neue Handy nicht mithalten. Der SKFM stellt Schülerinnen und Schülern Laptops zur Verfügung, denen solche Geräte für die Erledigung ihrer schulischen Aufgaben fehlen. Es gehe darum, die Handlungskompetenz der jungen Menschen zu stärken, damit diese Schule und Ausbildung „als einen Ausweg aus dem Gefühl der Machtlosigkeit“ erleben.
Die Veröffentlichung der Bertelsmann Stiftung hat der SKFM-Geschäftsführer aufmerksam gelesen und er teilt die darin enthaltene Forderung nach der Einführung einer staatlichen Grundsicherung, „weil sich sonst die Lebensverhältnisse auseinanderentwickeln“.
Konflikte durch soziale Ungleichheit
Tanja Kosin vom Stadtteilbüro Langenberg der Bergischen Diakonie hat beobachtet, dass während der Pandemiezeit die Sorge von Haushalten mit Kindern zugenommen haben. Häufige Ursachen seien Jobverluste, psychosoziale Belastungen und aktuell die deutlich gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise. „Das betrifft einige Haushalte in Langenberg“, sagt Kosin. Insbesondere Menschen mit einem Einkommen knapp über der Grenze für staatliche Unterstützungsleistungen seien betroffen.
Ausgeglichene Ernährung nicht gewährleistet
In ihrem Arbeitsalltag beobachtet Kosin Konflikte unter Kindern und Jugendlichen, die auf soziale Ungleichheiten zurückgehen. Und sie erlebt Familien, die eine ausgeglichene Ernährung nicht aufrechterhalten können. Kosin weiter: „Viele Familien erhalten Unterstützung durch die Tafel.“ In der Stadtteilarbeit könnten belastende Situationen entzerrt und niedrigschwellige Hilfen angeboten werden.
Für die familiäre Notlage gefühlt mitverantwortlich
Das Stadtteilbüro bietet zudem eine „Kummersprechstunde“ in den Langenberger Grundschulen Kuhstraße und Max und Moritz. Dort bringen die Kinder Probleme zur Sprache, die auch auf finanzielle Nöte in ihren Familien zurückgehen. So erlebt Kosin, „dass Eltern wenig zeitliche Ressourcen haben, weil sie darauf angewiesen sind, einen Zweitjob zu haben oder mehr zu arbeiten, als das mit Kindern in dem Alter richtig ist.“ Kinder fühlten sich manchmal für die familiäre Notlage mitverantwortlich, mit der Folge, dass sie „Zuhause nicht mehr mitteilen, was sie für die Schule benötigen.“
Es fehlt an Zeit für die Kinder
Besonders herausfordernd erscheint die Situation von Kindern, deren Familien sowohl von Armut als auch von psychischer Belastung betroffen sind. „Die Armut spielt immer mit bei unserer Klientel“, sagt Karin Wichmann, die Geschäftsführerin der Sozialpsychiatrische Gesellschaft Niederberg. Aus Sicht der Psychiatrieexpertin stellt Armut einen Risikofaktor da: „Ich denke, dass Armut dazu führen kann, dass Menschen psychisch krank werden.“ Für Eltern in finanziellen Notlagen sei er schwieriger, Zeit für die Begleitung ihrer Kinder zu nutzen. „Den Alltag zu organisieren, wenn man arm ist, ist unglaublich zeitraubend“, sagt Wichmann.
Velberter Familien mit eingeschränkten finanziellen Mitteln, die in eine Überschuldung geraten sind, trifft Ralf Schwarzbach in der Schuldnerberatung der Bergischen Diakonie. Da bleiben manchmal die Essensgeldbeiträge an den Schulen oder die Beiträge für die Ganztagsbetreuung unbezahlt. Zur Kindergrundsicherung sagt Schwarzbach: „Das Geld müsste dahin fließen, wo die Kinder sind.“ Ein kostenloses Essen an Schulen oder ein kostenfreier Ganztag wären für viele Familien das beste Angebot.
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