Essen. Ministerpräsident Wüst sichert bei einer Konferenz gegen Armut in Essen Millionenhilfen zu. Betroffene aus NRW berichten über ihr Schicksal.

Ein gemütlicher Kinoabend oder ein Plausch mit Freunden im Café – was für viele Menschen alltäglich klingt, ist für Cristina oft nicht möglich. Der 50-Jährigen fehlt „das soziale Miteinander.“ Mit dem Arbeitslosengeld II kommt die Langzeiterwerbslose gerade so über die Runden. Ihr Leben und ihren Alltag hat sich Cristina, die ihren Nachnamen nicht öffentlich lesen möchte, anders vorgestellt, als sie nach dem Abitur ihre Heimat in Spanien verließ und nach Münster zog.

In Deutschland angekommen machte sie erst eine Ausbildung zur Köchin, dann zur Mediengestalterin im digitalen- und Printbereich. Darauf folgte ein unbezahltes Praktikum auf das andere – eine Anstellung bekam sie nicht. Auch eine Weiterbildung im Webbereich wurde ihr verwehrt. Stattdessen erhielt sie Bewerbertrainings. „Ich habe so viel Zeit verloren“, sagt Cristina. Am Ende seien ihr, einer ausgebildeten Fachkraft, nur Arbeitsstellen als Putzkraft angeboten worden. Sie fragt sich: „Warum habe ich mich mein Leben lang bemüht, mich engagiert, um dann keine berufliche Perspektive zu haben?“

NRW-Ministerpräsident: „Armut hat viele Gesichter“

Ministerpräsident Wüst: „Armut hat viele Gesichter“ Lösungen zur Bekämpfung von Armut in Nordrhein-Westfalen hat das Land am Mittwoch bei einer Konferenz gegen Armut in Essen besprochen. Dazu hatten Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) und Familienministerin Josefine Paul (Grüne) Akteure – etwa aus Kommunen, Sozialverbänden und Wirtschaft – eingeladen.

>>>Lesen Sie auch: Bürgergeld-Debatte: Das sagen Geringverdiener aus NRW

Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sicherte den von der Energiekrise und den explodierenden Lebensmittelpreisen besonders Betroffenen dreistellige Millionenhilfen zu. „Armut hat viele Gesichter“, so Wüst. Sie betreffe Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner, Geflüchtete, ebenso wie obdachlose und arbeitslose Personen. Aus einem geplanten Sondervermögen sollten in einem ersten Schritt 150 Millionen Euro an Tafeln, Wohnungsloseneinrichtungen oder auch Schuldnerberatungen gehen.

60 Millionen Euro für Kitas in NRW

Mit weiteren 60 Millionen Euro wolle man den Kitas helfen, die hohen Energiekosten abzufedern, um das Betreuungsangebot aufrecht zu erhalten. Denn vor allem Kinder und Jugendliche gehörten bei der Armutsbekämpfung in den Mittelpunkt, mahnte Familienministerin Paul. Sozialminister Laumann sprach von einem „Neustart in der Armutsbekämpfung“ in NRW. Denn auch wenn in den vergangenen Jahren viele Maßnahmen ergriffen worden seien, „ist das Problem nach wie vor sehr groß.“ So seien hierzulande etwa drei Millionen Menschen von Armut betroffen.

Als Vertreterin im Erwerbslosenausschuss der Gewerkschaft Verdi versucht die von Armut betroffene Cristina, armen Menschen eine Stimme zu geben. Das Vorurteil, Erwerbslose seien faul, könne sie einfach nicht mehr hören. „Fast alle Erwerbslose, die ich kennengelernt habe, engagieren sich ehrenamtlich oder arbeiten in Minijobs.“

Mehr Unterstützung vom Arbeitsamt in NRW

Von den Jobcentern, sagt Cristina, hätte sie sich mehr Unterstützung gewünscht. Denn: „Die meisten Menschen wollen arbeiten.“ Daher müsse der Schwerpunkt beim Arbeitsamt auf Jobvermittlung liegen und nicht auf Sanktionen. „Drohungen verursachen bei vielen Betroffenen Angst und Scham.“ Zudem müssten die Unterlagen leichter verständlich werden.

Herr Hermann kennt das Gefühl von Unsicherheit beim Arbeitsamt gut. Vor ein paar Jahren war der Essener noch im mittleren Management beschäftigt. Durch Scheidung und Krankheit ist er schließlich in die Arbeitslosigkeit abgerutscht. „Ein großer Schock“, sei das gewesen, erinnert sich Hermann, der nicht gedacht hätte, „dass so etwas möglich ist“.

Mittlerweile bekommt er Erwerbsunfähigkeitsrente, etwas mehr, als zuvor das Hartz IV. „Durch die Energiekrise stehe ich trotzdem vor einem großen Fragezeichen“, sagt Hermann. Wie er seine Kosten in Zukunft decken kann, weiß er nicht. „Deshalb wünsche ich mir, dass die Politik vor allem mit den Menschen spricht.“ Der Einzelfall gehe sonst oftmals verloren.

SPD: „Tropfen auf den heißen Stein“

Wichtig sei, die Menschen in der aktuellen Notsituation zu begleiten, sagte Jule Wenzel, Sprecherin für Sozialpolitik der NRW-Grünen. Dazu zählten etwa Unterstützung bei der Wohnungssuche oder Jobvermittlung. „Die Probleme von Armutsbetroffenen sind vielfältig“, so Wenzel. Sie reichten von fehlender Mobilität bis hin zu Schwierigkeiten mit der Kinderbetreuung. Deshalb sei es wichtig, die bestehenden Strukturen zu prüfen.

Laut dem Städtetagsvorsitzenden Thomas Kufen (CDU) müsse das Land die soziale Infrastruktur in den Städten weiter stärken. „Denn auch hier kommen hohe Energiepreise an.“ Finanzielle Lücken bei den Einrichtungen, sollten vom Land geschlossen werden. Die SPD forderte eine umfassende Strategie und klagte über einen „Tropfen auf den heißen Stein“. Das Land müsse sich besser um frühkindliche Bildung kümmern, es brauche ein kostenloses Mittagessen in Kitas und Schulen, allgemeine Lernmittelfreiheit und veränderte sozialpolitische Strukturen für mehr Arbeit