Neviges. In Velbert-Neviges erinnern zu wenig Stolpersteine an das Schicksal jüdischer Opfer, so der Historiker Rainer Köster – und nennt weitere Orte.

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 ist eines der dunkelsten Kapitel deutscher Geschichte. Angehörige des NS-Terrorregimes plünderten tausende Geschäfte und Wohnungen, zündeten Synagogen an, verletzten und ermordeten jüdische Mitbürger, vernichteten Existenzen. In Neviges erinnern Stolpersteine an die Opfer der nationalsozialistischen Verbrechen in der Zeit bis 1945. Am 9. November legt auch die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten Niederberg (VVN/BdA) Blumen an den bestehenden Mahnmahlen nieder, zum Beispiel in Neviges in der Fußgängerzone gegenüber Bücher Rüger. Rainer Köster, Mitglied der VVN/BdA sagt jedoch: „Ins Auge fällt, dass das Verhältnis der verlegten Stolperstein in Neviges nicht gut ist.“ Seiner Meinung nach fehlen Tafeln, die an das Schicksal jüdischer Bürgerinnen und Bürger erinnern.

Mehrere Jahrzehnte in Velbert recherchiert

Der pensionierte Lehrer und Historiker Rainer Köster hat lange über das Schicksal jüdischer Familien aus Neviges recherchiert.
Der pensionierte Lehrer und Historiker Rainer Köster hat lange über das Schicksal jüdischer Familien aus Neviges recherchiert. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Vor zwei Jahren veröffentlichte der pensionierte Lehrer und Historiker sein Buch „Nacht über Neviges“, das die Verfolgung und den Widerstand in der NS-Zeit thematisiert. Seit mehreren Jahrzehnten recherchiert Rainer Köster schon zu den Lebensläufen der Opfer. Aus verschiedenen Quellen hat er mittlerweile ein Liste mit den Namen 45 jüdischer Mitmenschen zusammengestellt, die in Neviges geboren worden sind oder hier gelebt haben und ihr Leben durch die Verbrechen der Nationalsozialisten verloren haben. Im NRW-weiten Onlineportal zu Stolpersteinen sind jedoch nur sieben Stolpersteine in Tönisheide und Neviges vermerkt. Für die Verlegung ist die Stadt Velbert grundsätzlich erst einmal nicht zuständig, dies geschehe lediglich durch eine Zusammenarbeit mit der Stadt, erklärt Köster.

Messingsteine werden in Handarbeit hergestellt

Im Haus Elberfelder Straße 72 lebte die jüdische Familie Windmüller. Auch vor diesem Haus sollte ein Stolperstein liegen, so fordert Rainer Köster.
Im Haus Elberfelder Straße 72 lebte die jüdische Familie Windmüller. Auch vor diesem Haus sollte ein Stolperstein liegen, so fordert Rainer Köster. © FUNKE Foto Services | Uwe Möller

Hergestellt werden die Messingsteine in Handarbeit durch zwei Berliner Künstler, als Erfinder der Stolpersteine gilt der in Berlin geborene und mittlerweile in Hessen lebende Künstler Gunter Demnig. „Jeder Stein kostet in etwa 150 Euro“, so Rainer Köster. Die Kosten dafür werden in Velbert durch Spenden getragen. Dass dies auch anders laufen könne, zeige ein Blick in die Nachbarstadt Heiligenhaus. Hier werden die Kosten durch die Stadt getragen und Informationen zu den Opfern durch die Verwaltung recherchiert. „Da muss sich in Velbert was bewegen“, findet Köster. Dabei nimmt er insbesondere den Stadtrat und die drei Bezirksausschüsse in die Verantwortung. Und er hat durch seine Recherchen auch schon Vorschläge, wo noch Stolpersteine hingehören.

Das Schicksal der Familie Scheidtmann

So beschreibt er beispielsweise das Schicksal der Familie Scheidtmann aus dem Kuhlendahl. 1914 wurde Heinrich Josef Scheidtmann geboren, sein Vater arbeitete als Bauer. Die Ehe seines jüdischen Vaters und seiner deutschen Mutter wurde nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten geschieden. Sein Vater blieb in Velbert, seine Mutter zog nach Wuppertal. Nachdem Heinrich Josef Scheidtmann zum Militärdienst eingezogen wurde, kehrte er nach einem Urlaub im Jahr 1943 aus Angst, sein Kind und seine Frau zu verlieren, nicht zurück zu seiner Einheit. Nach seiner Festnahme wurde Heinrich Josef Scheidtmann am 17. September 1943 im Dortmunder Gerichtsgefängnis enthauptet, sein Vater wurde später ins Konzentrationslager Buchenwald eingeliefert und starb dort am 27. März 1945 kurz vor der Befreiung des Lagers durch US-Amerikanische Truppen.

Stolperstein auch für den Kirchplatz

Am Kirchplatz Nr 16 in Neviges wohnte Sibilla Pflaumbaum, geboren Sassen. Sie starb im April 1943 - offiziell an „Herz- und Kreislaufschwäche“. Ihre Geschwister Berta und Leopold Sassen sind ebenfalls in Neviges geboren worden, Berta Sassen starb 1942 in Theresienstadt, ihr Bruder Leopold ein Jahr vorher im Konzentrationslager Sachsenhausen. Nicht weit vom Kirchplatz entfernt, an der Elberfelder Straße Nr 72, lebte Johanna Windmüller mit ihrer Familie bis 1933. Später zog sie nach Wiesbaden, wurde im September 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie nur einige Wochen später starb. Ihr Sohn Dr. Walther Windmüller, so Rainer Köster, sei ein angesehener Arzt in Neviges gewesen. Er habe dem schweren Schicksal entgehen können und sei nach Uruguay emigriert, habe jedoch all seine Besitztümer und seine Familie zurücklassen müssen. Auch vor dem Haus Elberfelder Straße 72 sollte daher ein Stolperstein an das Schicksal dieser jüdischen Familie erinnern.

>>>Insgesamt 41 Stolpersteine in Velbert

In ganz Velbert sind aktuell 41 Stolpersteine verlegt, die an die Opfer des Nationalsozialismus gedenken. Eine interaktive Karte, auf der die Standorte von über 15.000 Stolpersteinen in ganz NRW hinterlegt sind lässt sich online unter www.stolpersteine.wdr.de finden.

Die Pflege der Gedenksteine in Velbert-Mitte übernimmt die Gesamtschule. In Neviges gibt es so eine fest Zuständigkeit nicht. Einmal im Jahr müssen die Steine aus Messing gesäubert werden, damit diese lesbar bleiben.