Neviges. Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gedachte in Neviges der Opfer der Pogromnacht – und das auf besonders eindrucksvolle Weise.

Die Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 gehört zu den dunkelsten Kapiteln deutscher Geschichte. SA-Trupps plünderten jüdische Geschäfte, in Deutschland brannten etwa 2000 Synagogen. In Neviges, so schildert es Rainer Köster von der „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Niederberg (VVN-BdA), mussten besonders die Familien Leib und Meyer in jener Nacht unter dem Terror der Nazi-Schergen leiden. Daher kamen die VVN-Mitglieder und einige Nevigeser Bürger in diesem Jahr vor dem ehemaligen Wohnhaus der Familie Meyer zusammen, um aller Opfer der NS-Gräueltaten zu gedenken. Die Familie wohnte damals in der Elberfelder Straße, schräg gegenüber der heutigen Buchhhandlung Rüger. Vier Stolpersteine vor der Passage in der Fußgängerzone erinnern an das Schicksal der Familie: Vier Angehörige wurden von den Nazis deportiert und ermordet.

Aufwühlende Momentaufnahmen

Rainer Köster (r.) von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gedenkt vor der damaligen Wohnung der Familie Meyer der Opfer der Pogromnacht.
Rainer Köster (r.) von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes gedenkt vor der damaligen Wohnung der Familie Meyer der Opfer der Pogromnacht. © FUNKE Foto Services | Alexandra Roth

„Wir müssen dafür sorgen, dass so etwas nie wieder geschieht. Die Gegenwart zwingt uns, dass wir uns immer an die Opfer erinnern“, sagt Hans-Werner Rimpel, Sprecherrat VVN. Was folgt, sind berührende und aufwühlende Momentaufnahmen: Mitglieder des VVN tragen vor, wie Zeitzeugen die Nacht vom 9. auf den 10. November einst erlebt haben. Die Beobachtungen der damals 14-jährigen Ilse Beck liest Ute Pistorius-Köster vor.

Seniorin hatte blutende Hände

Weitere Stolpersteine

In Neviges erinnern sieben Stolpersteine an das Schicksal jüdischer Mitbürger. Sie finden sich in der Elberfelder Straße vor dem früheren Kaufhaus Gassmann, in der Straße Zum Hasenkampsplatz und in der Fußgängerzone vor der Ladenpassage.

In Tönisheide gibt es an der Neustraße 149 einen Stolperstein: Hier lebte das Euthanasie-Opfer Carl Glittenberg: Er wurde aufgrund seiner Schwerhörigkeit ermordet.

„Nevigeser SA-Männer stürmten das Haus der Familie Meyer und warfen alles aus den Fenstern: Möbel, Bekleidung, Bettwäsche, Geschirr“, so heißt es in den Erinnerungen des Mädchens. „Hilfe von anderen Bürgern war nicht möglich in der Nacht, die SA hatte alles abgeriegelt. Am nächsten Morgen musste Frau Meyer mit bloßen Händen alles, was auf der Straße lag, unter Anleitung der SA aufräumen.“ Ilse Becks erinnert sich noch genau, wie die alte Frau mit blutenden Händen die Glasscherben zusammensammelte und immer wieder angetrieben wurde, wenn sie etwas vergessen hatte. „Besonders hart attackiert wurden neben den Juden auch Kommunisten und SPD-Anhänger, sie wurden mit Schildern um den Hals ‚Ich bin ein Schwein‘ durch Neviges und Tönisheide gehetzt von den SA- Leuten.“

Schlägertrupp zerstörte den Laden

Unter die Haut gehen auch die Erinnerungen des Zeitzeugen Paul Stegmann, die sein Neffe Volker Stegmann vortrug. Paul Stegmann hatte seine Beobachtungen aus jener Nacht einst in einem Brief an Rainer Köster geschildert, nachzulesen in dessen Buch „Nacht über Neviges. Widerstand und Verfolgung 1933-1945.“ Und so erlebte Paul Stegmann, was die Familie Meyer erleiden musste. Hier ein Auszug: „Wir standen entsetzt in der Elberfelder Straße, als im Textilgeschäft von Moses Meyer die Schaufenster eingeschlagen wurden. SA-Leute schrien: ‘Die Juden sind unser Unglück (und) zerstörten mit schweren Hämmern alles, was früher einmal ein Laden war. Die Auslagen wurden herumgeworfen und mit den Stiefeln alles zertrampelt. Wir sahen die Eheleute Meyer zitternd da stehen, zwei alte Menschen, Nevigeser Bürger. Nichts hatte man ihnen vorzuwerfen, nur dass sie jüdischen Glaubens waren. Blieb der zuschauenden Bevölkerung wirklich nichts anderes übrig, als schaudernd den Kopf zu schütteln?“

Versammlungsgesetz beachtet

Nicht nur in jener Nacht kam unendliches Leid über die jüdischen Mitbürger und über alle, die anders dachten, sich nicht dem verbrecherischen Nazi-Regime beugten. „Aufgrund unser aller Geschichte ist es wichtig, dass wir uns erinnern. Das sollte immer in unseren Köpfen sein“, sagte Stefan Göbels, Leiter der Polizeiwache Velbert, der aus dienstlichen Gründen vor Ort war. Bei der Anmeldung der Gedenkveranstaltung wollte der VVN sicherheitshalber auch das Versammlungsgesetz berücksichtigen.