Sprockhövel. Wussten Sie schon, dass 4711 eine Heimat in Sprockhövel hat? Aber ja, Kölnisch-Wasser-Flacons sicherten 200 Arbeitsplätze. Die ganze Geschichte.
Ein Stück Sprockhövel ist in der ganzen Welt bekannt– stand jahrzehntelang in fast jedem Parfümschrank. Denn einst wurden die Flacons für 4711 Kölnisch Wasser in der Glashütte Sprockhövel produziert.
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Lange schon ist nahezu vergessen, dass Haßlinghausen auf eine Geschichte von 200 Jahren Glasproduktion blicken kann. Lediglich der Glashüttenplatz lässt noch erahnen, dass hier einst Glas geschmolzen, geblasen und geformt wurde und hier die Fabrik des größten Arbeitgebers im Ort stand.
Glaskünstler aus Haßlinghausen weiß um die Geschichte des Flacons von 4711
Heute blickt Udo Unterieser auf einige Sammlungsstücke der heimischen Glashütte. Auch Flacons des Kölner Duftwassers bewahrt er auf. Dass die markanten Flaschen mit dem türkisen Etikett und der goldenen Aufschrift tatsächlich aus der Glasfabrik in Haßlinghausen stammen, kann man tatsächlich nicht erkennen.
Es gibt keine Prägung, keine Aufschrift. Und so teilt der Flacon, der heute noch genauso aussieht wie vor 60 Jahren, das Geheimnis seiner Herkunft lediglich mit denen, die um die Produktion von einst wussten. Auch andere Stücke aus der Sammlung des passionierten Glaskünstlers lassen nur erahnen, dass sie ein Stück Heimatgeschichte sind.
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Ein schlichtes Bierglas, ein fein gearbeitetes Glas mit Schnitzereien oder aber auch Lampenschirme aus Glas. Alles ohne einen Stempel, ohne eine Gravur. Bis auf einen Aschenbecher, in dem, kaum noch zu erkennen, ein verblasstes Zeugnis der Haßlinghauser Glashütte eingeprägt ist. „Das sind alles Stücke von ehemaligen Mitarbeitern. Daher weiß ich, dass sie aus der Glashütte stammen.“, verrät Udo Unterieser.
Fakt ist, dass mit dem Verlust des Großauftrages der Flacons für das kölnische Wasser zu Beginn der Sechziger Jahre auch die Glashütte 1964 stillgelegt wurde. Wer danach die Flacons für das Kölner Unternehmen herstellte, wollte die Pressestelle von 4711 Kölnisch Wasser nicht verraten. Der Glasabsatz ging immer weiter zurück, weil immer mehr Kunststoff eingesetzt wurde. Aber auch die lediglich halbmechanisierten Arbeitsweisen waren äußerst unrentabel. Das trägt die Sprockhöveler Historikerin Karin Hockamp in der Broschüre „Von Glut zum Glase“ zusammen.
Glasfabrik konnte 40000 Flacons für 4711 Kölnisch Wasser pro Tag herstellen
1926 hatten die beiden bedeutendsten Firmen für Kölnisch Wasser, Ferdinand Mühlens und Johann Maria Farina den Auftrag an die Haßlinghauser Glashütte erteilt und waren damit der größte Auftraggeber. Über 120 Arbeiter und weitere Angestellte waren hier mit einem Acht-Stunden-Tag bei einem Dreischichtbetrieb beschäftigt. Rund um die Uhr konnten somit in 24 Stunden 40 000 Flaschen hergestellt werden.
Nach dem Zweiten Weltkrieg bot die Glashütte noch 150 Menschen einen Arbeitsplatz. Neben den Parfumflaschen wurden hier auch Glaskolben für Glühbirnen, Biergläser, Glas für Thermosflaschen, hitzebeständige Gläser für Haushalt und Industrie produziert. Bis zur Schließung der Glashütte bedeutete die halbautomatisierte Arbeit viel Hand- aber auch Mundarbeit der Glasmacher und Glasbläser. Die Arbeitsbedingungen unter großer Hitze vor den bis zu 1550 Grad heißen Schmelzöfen waren hart.
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Die Tätigkeit erforderte eine robuste Konstitution, große körperliche Kraft aber auch handwerkliches Geschick. Die Glasmacher machten nicht nur die Glasproduktion weltweit bekannt, sondern waren auch diejenigen, die die Urnenbestattung nach Haßlinghausen brachten. Sie ließen sich nach dem Tod verbrennen, bislang war das hier unüblich und verpönt.
Glashüttenplatz in Haßlinghausen erinnert noch an die alte Fabrik
Der Glashüttenplatz, einst Standort des größten Arbeitgebers Haßlinghausen, Stätte der Glasproduktion von 1891 bis 1964, erinnert heute noch mit einer Tafel über die einstige Wirkungsstätte. Lange schon hat er das industrielle Gesicht verloren. Zu wenig Bausubstanz blieb erhalten, um hier die Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen.
Und auch Udo Unterieser bedauert, dass die Geschichte der Glaskunst immer weiter verschwindet. Nicht nur vom Glashüttenplatz, sondern auch aus dem Stadtbild. „In den 60er und 70er Jahren mussten drei Prozent Kunst am Bau sein, da wurde jede Menge verbaut“, erinnert er sich. „Viele wissen die Kunst heute nicht zu schätzen und werfen alles raus.“
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Immer wieder rettet er, wie auch jüngst, dann den einen oder anderen historischen Schatz, als die Fenster der ehemaligen Sparkasse entnommen wurden. Manches in seiner Sammlung erhält er von Menschen, die wissen, wie er historisches schätzt., anderes findet er sogar im Sperrmüll. Stücke von Geschichte, die dann in Containern landet und für immer verschwindet.