Oberhausen. . Pleite-Stadt, Spielhöllen-Stadt und Höchststeuer-Stadt von NRW - im vergangenen Jahr hat der Ruf Oberhausens bundesweit gelitten. Im WAZ-Interview verteidigt OB Klaus Wehling “seine“ Stadt: Die meisten Oberhausener lebten schließlich gerne hier. Und die Menschen seien das Wichtigste.

Herr Oberbürgermeister, im vergangenen Jahr hat der Ruf Oberhausens bundesweit gelitten – wir wurden in den Medien als Pleite-Stadt, Spielhöllen-Stadt und Höchststeuer-Stadt von NRW beschrieben und mit der DDR verglichen. Befürchten Sie einen nachhaltigen Imageschaden für Oberhausen?

Klaus Wehling: Die letzte Bevölkerungsbefragung hat doch eindeutig gezeigt, dass 90 Prozent der Oberhausener sagen, wir leben gerne oder sehr gerne hier. Das hat für mich ein höheres Gewicht als wenn jemand Aussagen über Oberhausen trifft, der unsere Stadt und das Ruhrgebiet nicht kennt. Wer sich wirklich auf Oberhausen einlässt, der weiß um den Wert unserer Stadt. Unser größtes Pfund sind hier die Menschen. Sie sind offen, herzlich und authentisch.

Trotzdem haben uns eigentlich sehr heimatstolze Oberhausener geschrieben, sie schämten sich schon fast, sich woanders als Oberhausener erkennen zu geben. Was sagen Sie diesen Bürgern?

Wehling: Sie sollen sich nicht bange machen lassen. In der jüngsten Großstadt-Analyse der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft wird Oberhausen sogar besser eingeschätzt als das prosperierende Dortmund. Wir liegen von 50 deutschen Großstädten in der dynamischen Entwicklung bzw. in der Zukunftsperspektive auf Platz 23, Dortmund auf 35. Kulturell und touristisch sind wir ganz vorne: Wer kann eine solche Ballung von Attraktionen vorweisen wie wir in der Neuen Mitte – vom Gasometer über das Sealife bis hin zur Königs-Pilsener-Arena, in der Weltstars auftreten? Diese Ballung ist einzigartig. Darüber hinaus ist unser Theater jüngst bundesweit ausgezeichnet worden.

Darauf kann Oberhausen tatsächlich stolz sein. Doch wirtschaftlich sieht es doch eher mau aus: Das Debakel um den 22-Millionen-Euro-Kredit der Sparkasse an „Sport-Concept“ lässt Oberhausen schlecht aussehen. Sie sind als Beanstandungsbeamter Mitkontrolleur der Sparkasse. Hat nicht nur der Vorstand, sondern auch der Verwaltungsrat Fehler gemacht?

Wehling: Ich finde nicht, dass man die Qualität der wirtschaftlichen Lage an einem Geschäftsvorfall fest machen kann. Ich bin weder Mitglied des Verwaltungsrates noch des Risikoausschusses, sondern nehme beratend an den Sitzungen teil.

Ich will mich aber nicht aus der Verantwortung stehlen. Der Verwaltungsrat kann nur kontrollieren, wenn er alle notwendigen Informationen dazu bekommt. Auch als ehemaliger Sparkassen-Angestellter fühle ich mich mit der Sparkasse eng verbunden und mich hat die Entwicklung sehr getroffen. Es ist bedenklich, wie sich Führungskräfte verhalten haben. Im Nachhinein betrachtet, hätten wir hartnäckiger nachhaken sollen.

Werfen Sie sich persönlich vor, nicht eher eingeschritten zu sein?

Wehling: Ich verweise noch einmal auf die unzureichenden Informationen zu dem angesprochenen Kreditfall durch den Vorstand.

Was das Bearbeiten der Beratungsvorlagen angeht, gibt es bei den Sparkassen eine besondere Regelung im Gegensatz zu anderen Aufsichtsgremien. Die Sitzungsunterlagen werden nicht mehr wie früher üblich nach Hause geschickt, sondern können nur noch in der Sparkasse eingesehen werden. Damit ist eine intensive Sitzungsvorbereitung zumindest erschwert worden. Gegen diese Praxis habe ich mehrfach im Vorstand des Rheinischen Sparkassen- und Giroverbands persönlich interveniert. Bis jetzt hat sich an dem Rechtsstandpunkt des Verbandes allerdings nichts geändert.

Es gab zwei umstrittene Entscheidungen von Ihnen im vergangenen Jahr: Sie haben sich massiv für die Gehaltserhöhung ihres neuen Kämmerers eingesetzt und Sie lassen zu, dass falsch berechnete Müllgebühren nur für die Kläger korrigiert werden. Bedauern Sie im Nachhinein diese Beschlüsse?

Wehling: Ich stehe weiterhin zu der Entscheidung, den neuen Kämmerer angemessen zu bezahlen. Apostolos Tsalastras machte schon zuvor eine gute Arbeit, ist vor Ort immer präsent, er kniet sich richtig rein. Da kommt einiges an Arbeitszeit zusammen. Und dazu kam jetzt noch der Mammut-Job des Kämmerers. Es handelt sich auch nicht um eine Lohnerhöhung, sondern um eine neue beamtenrechtliche Eingruppierung in die nächst höhere Besoldungsgruppe, die übrigens bisher alle Kämmerer in Oberhausen bekommen haben, ebenso wie die Kämmerer in vergleichbaren Nachbarstädten.

Und die Erstattung zu hoch berechneter Müllgebühren nur an Kläger?

Wehling: Die Richter haben deutlich gemacht, dass die Müllgebühren nicht zu hoch berechnet worden sind, sondern dass wir eine falsche Berechnungsgrundlage hatten. Als Nothaushaltskommune durften wir nur den Klägern die Gebühren erstatten. Wenn wir allen die Gebühren erstattet hätten, wäre das eine freiwillige Ausgabe gewesen, die uns die Kommunalaufsicht untersagt hätte.

Wir haben uns trotzdem die Entscheidung nicht leicht gemacht, aber natürlich sehe ich, dass so das Gerechtigkeitsgefühl von Bürgerinnen und Bürgern verletzt wurde.

Für Aufregung sorgten im vergangenen Jahr die nötigen Schulschließungen. Vor allem an der St.-Michael-Hauptschule setzten sich viele für den Erhalt ihrer Schule ein. Die prognostizierten Anmeldezahlen lassen aber höchstens noch eine Hauptschule zu – sollte das Ihrer Meinung nach St. Michael sein?

Wehling: Es sollte die Schule sein, in der das Kollegium und die Eltern sich am stärksten engagieren und die das schärfste Profil hat. Aber es kann sein, dass am Ende auch keine Hauptschule übrig bleibt, und die neue Sekundarschule auch in Oberhausen eingeführt wird, durch Zusammenschluss von Real- und Hauptschulen.

Mit welchen Argumenten möchten Sie die Schulleitungen der Realschulen von einer Fusion mit Hauptschulen überzeugen?

Wehling: Grundsätzlich war ich stets ein Gegner des gegliederten Schulsystems und gegen die zu frühe Entscheidung für eine Schulform bereits nach vier Schuljahren. Alle Kinder sollten länger zusammen lernen. Vom Zusammenspiel leistungsstarker und leistungsschwächerer Schüler in einer Klasse profitieren beide Gruppen. Die Realschulen haben jetzt die große Chance, sich zu reformieren und sich als Schule des gemeinsamen Lernens neu aufzustellen.

Oberhausen nimmt jetzt so viel Gewerbesteuer von Betrieben wie keine andere Stadt in NRW. Befürchten Sie einen Wegzug von Betrieben? Oder dass sich hier niemand ansiedeln will?

Wehling: Nein, die Gewerbesteuer ist ja nur ein Kriterium von vielen für die Ansiedlung eines Unternehmens – und nach meiner Erfahrung nicht das Entscheidende. Die Betriebsinhaber prüfen, ob es in der Stadt ein geeignetes, bezahlbares Grundstück gibt, ob eine schnelle Baugenehmigung erteilt wird, ob Verwaltung und Wirtschaftsförderung einen guten Service bieten und ob es genug qualifizierte Fachkräfte gibt. Da steht Oberhausen gut da. Und im Übrigen zahlen 75 Prozent aller hier ansässigen Betriebe keinen Cent Gewerbesteuer, denn die Gewerbesteuer wird erst fällig ab 48 000 Euro Gewinn im Jahr. Wir mussten aber die Gewerbesteuer erhöhen, um überhaupt das uns vom Land verpflichtend auferlegte Sparpaket von rund 40 Millionen Euro pro Jahr schnüren zu können.

Das Sparpaket wird derzeit konzipiert. Worauf müssen sich die Bürger einstellen?

Wehling: Die Verwaltung arbeitet in mehreren Projektgruppen daran. Konkrete Ergebnisse gibt es noch nicht.

Aber wir gehen jeden Bereich detailliert durch, jeder wird die Einsparungen spüren, auch die Bürgerinnen und Bürger. Kein Bereich wird verschont bleiben: Wir haben eine grobe Richtung von 10 Prozent Einsparungen vorgegeben. Wir sind dabei, die Stadt und die Beteiligungsgesellschaften effizienter zu organisieren, wir prüfen etwa Rechnungs- und Beschaffungswesen, IT-Bereich, Fortbildungen oder Lohnabrechnungen zu zentralisieren.

Wir wollen die natürliche Fluktuation der Stadtbediensteten stärker nutzen als bisher. Dazu müssen dann auch Aufgaben und Dienstleistungen eingeschränkt werden. Betriebsbedingte Kündigungen wird es nicht geben. Personaleinsparungen sind auch deshalb schwer zu realisieren, da wir immer neue Aufgaben von Bund und Land aufgebürdet bekommen, so dass wir eher mehr Mitarbeiter benötigen.

Müssen denn mehr Schulen schließen als bisher geplant, fallen Buslinien weg?

Wehling: Wir nehmen jeden Bereich unter die Lupe, d.h. Taktzeiten der Busse, Linienauslastungen, Anmeldezahlen an den Schulen usw. Wenn das Sparpaket in der Verwaltung geschnürt ist, wird man konkret sehen, wie einzelne Bereiche betroffen sein werden. Vorher macht es keinen Sinn über Einzelmaßnahmen zu spekulieren. Aber wir schauen nicht nur auf die finanzielle Seite, sondern berücksichtigen auch die sozialen und wirtschaftlichen Folgen für die Stadt.

Viele Bürger beklagen sich jetzt schon über den Dreck in der Stadt. Das könnte sich durch Einsparungen noch weiter verschlimmern. Oder arbeitet die Stadtreinigung nicht ausreichend genug?

Wehling: Durch Sparmaßnahmen entsteht kein Dreck in der Stadt. Als allererstes sind hier wir Bürger selbst in der Pflicht. Ich sehe Kinder, aber auch Erwachsene, die einfach ihr Zeug auf die Straße werfen. Wir müssen in den Kindergärten und Schulen die Kinder früh besser erziehen, um ein entsprechendes Bewusstsein zu erzeugen.

Muss denn auch die Stadtreinigung besser werden?

Wehling: Das wird ja jetzt versucht, indem abwechselnd in der Stadtmitte die beiden Straßenseiten gereinigt werden. Dabei müssen sich alle Oberhausener darauf einstellen, ihre Autos zu bestimmten Zeiten dort nicht mehr zu parken, damit die Reinigungsfahrzeuge anständig säubern können. Das klappt in anderen Städten einwandfrei. Eine Eingewöhnungszeit gestehen wir den Autofahrern noch zu, aber irgendwann ziehen wir die Konsequenz: Wer dann falsch parkt, wird abgeschleppt.

Immer häufiger kommt aus der Bevölkerung bei Problemen der Vorwurf, Schuld daran hat nur die SPD. Die SPD sei viel zu lange an der Macht, in der Stadt herrsche Filz – was entgegnen Sie diesen Menschen?

Wehling: Der Wähler hat doch eine andere Einschätzung. Die SPD hat in Oberhausen seit Jahrzehnten alle Wahlen gewonnen, das beweist ein großes Vertrauen in sozialdemokratische Politik. Der Wähler traut der SPD am ehesten zu, die Zukunft Oberhausens zu gestalten. Die Filzdebatte existiert in vielen Städten und trifft immer gerade die Partei, die lange regiert.

Aus der SPD heraus wurde angeregt, Sie könnten schon 2014 ihr Amt als OB niederlegen, ein Jahr vor Ende ihrer offiziellen Amtszeit 2015. Wie lange bleiben Sie noch OB?

Wehling: Ich stehe die gesamte Amtszeit bis 2015 zur Verfügung. Vorausgesetzt: Ich bleibe gesundheitlich fit. Selbst wenn ich wollte, könnte ich als Oberbürgermeister nach der NRW-Gemeindeordnung nicht so einfach zurücktreten.

Das Interview führten Andrea Rickers und Peter Szymaniak