Oberhausen. Einen Teil ihrer Gas- und Strommengen kaufen Stadtwerke und andere Energieversorger an den Börsen. Verschätzen sie sich, wird’s für Kunden teuer.
- Wie ein Supermarkt seine Lebensmittel rechtzeitig einkaufen muss, so erwirbt ein Energieversorger wie die EVO in Oberhausen die Mengen, die ihre Kunden voraussichtlich benötigen.
- Dieser Einkauf benötigt sehr viel Fingerspitzengefühl – kauft man zu hohen Preisen zum falschen Zeitpunkt, wird es für die Kunden nicht nur teuer, sondern das ganze Unternehmen kann im Wettbewerb nicht bestehen.
- Am Beispiel der Energieversorgung Oberhausen (EVO) kann man gut beobachten, welche Überlegungen bei ihnen eine Rolle spielen. Auf Glück jedenfalls wollen die Einkäufer nicht setzen – auch wenn in ihrem Arbeitsleben die Börsenpreise für Gas und Strom die wichtigen Signale geben.
Angst vor einem anhaltenden Gas- und Heizölmangel, Angst vor unbezahlbaren Kosten für eine warme Wohnung und eine heiße Dusche – das Jahr 2022 hat energiepolitisch bewährte Annahmen und historische Preisgrenzen auf den Energiemärkten gesprengt. Ausgelöst haben die Turbulenzen der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine und die daraus folgenden Sanktionen gegen russische Gas- und Öllieferungen nach Europa.
Ob allerdings die über 110.000 Kunden der Energieversorgung Oberhausen (EVO) unglaublich viel, nur viel oder einigermaßen angemessen für Strom und Gas bezahlen müssen, hängt nicht nur von den Wirren auf den weltweiten Energiemärkten ab. Sondern auch von dem Geschick, dem Fingerspitzengefühl und der ausgefeilten Strategie der Einkäuferinnen und Einkäufer des halb städtischen, halb dem EON-Konzern gehörenden Energieunternehmens. Denn wie ein Supermarkt seine Lebensmittel einkaufen muss, um Obst und Gemüse an seine Kunden weiterzuverkaufen, so muss ein Energieversorger die nicht selbst produzierten Energiemengen rechtzeitig zu guten Preisen erwerben – um sie in einem Wettbewerbsmarkt gewinnbringend an ihre Kundschaft weiterverkaufen zu können.
EVO: Unsere Preiserhöhungen sind nicht so hoch ausgefallen
Verantwortlich dafür ist bei der EVO Arnd Mucke, Prokurist und Geschäftsbereichsleiter Marktmanagement, mit seinem Team – und er wirkt trotz des schrecklichen Energiejahres 2022 noch einigermaßen frohgemut. „Ja, wir haben zwar mehrere Preiserhöhungen für unsere Kunden im Vorjahr machen müssen, insgesamt sind wir aber durch unsere Einkaufspolitik gut durch das vergangene Jahr gekommen. Unsere Kunden haben davon profitiert, denn unsere Preiserhöhungen sind nicht so hoch ausgefallen, wie sie hätten sein können.“ Im Gegensatz zu großen Energieproduzenten habe die EVO als Unternehmen selbst aus der Lage keine Vorteile ziehen können – im Gegenteil: Die bisher übliche Gewinnausschüttung an die Anteilseigner von elf Millionen Euro wird um die Hälfte gekappt. Dabei hat die EVO ihr Gas und ihren Strom vier Mal innerhalb von anderthalb Jahren verteuert – mit historisch hohen Sprüngen.
Gas, Öl und Strom wird an Börsen gehandelt – und selbst wenn Energieversorger hier nur einen kleinen Teil ihrer benötigten Mengen einkaufen und durchaus hauptsächlich außerhalb der Börsen direkt Verträge mit Stromerzeugern und Gasproduzenten schließen, richtet sich der Preis dabei nach den aktuellen und in Zukunftspapieren gehandelten Preisen. Wie sehr der Markt hier austickte, sieht man an den Großhandelspreisen für Strom des Jahres 2022. „Normalerweise lagen die jahrelang im Schnitt bei 50 Euro pro Megawattstunde – und wir dachten, die 100-Euro-Marke überschreiten die Preise höchstwahrscheinlich nie. Doch dann lagen die plötzlich im Sommer des vergangenen Jahres bei knapp 1000 Euro.“ Auch wenn die Preise seitdem abgestürzt sind – der Einkaufstarif für die Megawattstunde liegt immer noch bei 140 Euro.
Energieversorger ermitteln ihren Bedarf für zwei bis drei Jahre
Energieversorger gehen in der Regel bei ihrem Einkauf systematisch vor: Sie ermitteln und schätzen den voraussichtlichen Bedarf an Strom und Gas ihrer Privatkunden und Unternehmen in den nächsten zwei bis vier Jahren. In diese Prognose fließen etwa die Aussichten auf die Wirtschaftsentwicklung und langfristige Wetter-Erwartungen ein. Und diese so kalkulierten Mengen werden schon vorab großteils eingekauft, um sicher zu sein, genügend Energie zu kalkulierbaren Kosten garantiert zu haben. So operiert auch die EVO: Regelmäßig über das gesamte Jahr kauft sie künftig benötigte Teilmengen mit zwei bis drei Jahren Vorlauf ein. Nur ein kleiner Teil muss aktuell über die Börse nachgekauft werden.
Über die genaue Strategie, die genauen Anteile hüllt sich der EVO-Manager aber in Schweigen. „Details kann ich nicht verraten, da wir im Wettbewerb stehen und sich unsere Konkurrenz nichts bei uns abschauen soll“, erläutert Mucke. Die EVO will jedenfalls nicht hektisch auf aktuelle Börsenpreise schauen und dann quasi Stunde für Stunde, Tag für Tag anders reagieren, sondern baut auf den langfristigen Einkauf nach einmal festgelegten Spielregeln. Deshalb legt Mucke ausdrücklich Wert auf die Feststellung, dass die EVO beim Einkauf von Gas und Strom nicht auf ihr Börsenglück setzt. „Wir spekulieren nicht zulasten unserer Kunden, sondern wollen einen stabilen Preis erreichen und starke Schwankungen vermeiden.“ Andere Anbieter hätten dies gemacht und Kunden mit Billigangeboten gelockt – dies ging so lange gut, bis die Börsenpreise ins Uferlose stiegen: Es hagelte Pleiten oder Kunden wurde gekündigt.
Weil die EVO viele Mengen also schon in den ruhigeren Preiszeiten der Jahre 2020 und 2021 eingekauft hat für dieses und nächstes Jahr, sprang der Preis für die Oberhausener Endkunden nicht in so extreme Höhen, als wenn die EVO tagtäglich aktuell ihren Energiebedarf einkaufen würde. Trotzdem spulte die EVO ihren Einkauf im Krisenjahr 2022 bis heute nicht nach Schema F ab. Seit Krisenbeginn tagt der Einkaufsstab viel häufiger, nämlich einmal wöchentlich. „Wir haben durchaus auch Einkäufe ausgesetzt, wenn die Börsenpreise in unmögliche Höhen gesprungen sind. Wir gingen davon aus, dass das nicht lange so bleiben wird.“
EVO-Nachkauf zu teuren Konditionen war 2022 notwendig
Dennoch musste die EVO natürlich auch im Rekordpreis-Jahr 2022 Gas- und Stromverträge einkaufen, schon alleine, um nicht am Ende mit zu geringen Energiemengen dazustehen. Zum einen fehlten der EVO am Jahresanfang 2022 noch für diesen Winter 2022/23 rund 20 Prozent der benötigten Gasmengen, zum anderen laufen Alt-Einkaufsverträge immer wieder aus. „Die jetzige Situation ist ein absoluter Ausnahmezustand. Oberstes Ziel ist es, die Versorgungssicherheit mit Gas zu erhalten – wir mussten deshalb zu diesen hohen Preisen einkaufen“, räumte EVO-Vorstand Christian Basler auf der Bilanzpressekonferenz im August 2022 ein. Die Bezugskosten der EVO für das Jahr 2023 hatten sich da schon im Vergleich zu 2021 verdreifacht – die EVO muss für Gas und Strom 90 Millionen Euro mehr zahlen. Dies wirkt natürlich nach.
Deshalb kann EVO-Prokurist Arnd Mucke auch nicht versprechen, dass die gesunkenen Börsenpreise sich schnell positiv auswirken für die EVO-Kunden. „Wir kalkulieren noch. Die aktuellen Börsenpreise von im Schnitt 140 Euro pro Megawattstunde Strom liegen ja immer noch sehr hoch.“ Auch eine nochmalige Erhöhung der EVO-Energiepreise kann Mucke nicht ausschließen. Man kalkuliere und rechne noch. Aber es sieht wohl so aus, dass sich bis zum 1. Juli 2023 an den derzeit geltenden Preisen nichts ändern muss – Stand heute.
Versorgungssicherheit mit zu teuer eingekauften Mengen?
Bei großen Preiswirren an den Börsen befinden sich die Einkäufer besonders stark im Zwiespalt zwischen Versorgungssicherheit, Preissicherheit und der Gefahr, nun Mengen zu überteuerten Preisen einzukaufen. Wenn die EVO-Einkäufer zum falschen Zeitpunkt zu große Mengen für die nächsten zwei bis drei Jahre ordern und die Börsenpreise würden in den nächsten Monaten stark sinken, dann schießt sich das Unternehmen im Preiswettbewerb mit geschickter (oder glücklicher?) agierenden Konkurrenten in der nächsten Zeit aus dem Markt – und belastet seine Stammkunden viel zu stark. Dann wären die Versorger im Vorteil, die kurzfristig ihren Bedarf nach aktuellen Börsenpreisen einkaufen.
Sollten aber die Energie-Börsenpreise noch einmal deutlich steigen, dann werden sich alle fragen: Warum hat denn die EVO nicht viel mehr Mengen geordert, als es an den Börsen noch günstiger war? So gesehen benötigt man als Profi-Einkäufer neben einer klug gewählten Einkaufsstrategie auch ein Quentchen Glück. Auch wenn Arnd Mucke das Wort nicht in den Mund nehmen will.
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