Oberhausen. Fasia Jansen fand im Revier ihre „zweite Familie“. Sie sang – statt einer konventionellen Künstler-Karriere – für Streikende und Ostermarschierer.

Vor 25 Jahren, am 29. Dezember 1997, verstummte die für Oberhausens links-progressives Selbstverständnis wohl bedeutendste Stimme: „Protestsängerin“ hieß Fasia Jansen in etlichen älteren Zeitungsartikeln – der Versuch, das bewegte Leben einer ihre Mitmenschen tief bewegenden Frau in ein einziges Wort zu zwingen. Der mit 68 Jahren verstorbenen Sängerin gaben rund 1500 Menschen in Oberhausen das letzte Geleit.

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Der heute obligatorische Begriff „Person of Color“ war zu ihren Lebzeiten noch unbekannt – und würde mit den heutigen „PoC“-Konnotationen auch nicht auf Kindheit und Jugend der Hamburgerin passen: Arm und diskreditiert war ihre „weiße“ Mutter, das Zimmermädchen Elli Jansen. Wohlhabend und einflussreich war ihr „schwarzer“ Vater Momolu Massaquoi (1869 bis 1938), der als Generalkonsul von Liberia die einzige bei Fasias Geburt unabhängige Republik des afrikanischen Kontinents repräsentierte – und der mit hohen politischen Ambitionen in seine westafrikanische Heimat zurückkehrte.

Ikonen des Protestsongs: Fasia Jansen mit Joan Baez beim 1966er Ostermarsch der Atomwaffengegner.
Ikonen des Protestsongs: Fasia Jansen mit Joan Baez beim 1966er Ostermarsch der Atomwaffengegner. © Fasia Jansen Stiftung

Für die „Hamburger Deern“ mit den unbändigen Locken und dem dunklen Teint aus dem Arbeiterquartier Rothenburgsort gehörten die abwesenden Massaquois nicht zur Familie, sondern „in die Welt der Ausbeuter“, wie Marina Achenbach in ihrer großen Biografie „Fasia – geliebte Rebellin“ schreibt. Ihr Stiefvater Albert, der das Kind vor allen Anfeindungen zu beschützen versuchte – „Das sind alles nur geistig Minderbemittelte, Fasia!“ – war Witwer und arbeitsloser Schlosser. Das Idyll ihrer frühesten Jahre war das sieben Hinterhöfe tiefe Gründerzeithaus: ein eigener kleiner Kiez mit Pferdestall und Werkstätten, Läden und Kneipe.

Fasia wollte tanzen wie Josephine Baker

Ein erstes künstlerisches Vorbild entdeckte das Mädchen in Wochenschau-Bildern aus dem glamourösen Paris: Fasia wollte tanzen wie Josephine Baker (1906 bis 1975), der gefeierte Revue-Star aus St. Louis, Missouri. Im Kampf gegen die NS-Invasoren wurde „La Baker“ dank ihres Pilotinnen-Scheins zur Luftwaffen-Offizierin des Freien Frankreich. Von dieser Heldinnen-Rolle ihres Idols konnte Fasia Jansen als 14-Jährige während des Zweiten Weltkriegs nichts ahnen: Ihre Eltern hatten größte Mühe, sie vor „Arbeitseinsätzen“ in KZ-Außenstellen zu bewahren.

Eine in „Geliebte Rebellin“ doppelseitig reproduzierte Zeichnung Fasias zeigt sie selbst als Küchenhilfe in einem grausigen „Wimmelbild“ aus ihrem wahren Leben als 14-Jährige: Es zeigt den Zug der von Aufsehern geprügelten jüdischen Frauen, denen das zierliche Mädchen in Eimern aus der Küchenbaracke eine „Suppe aus vergammelten Rüben und faulen Kartoffeln“ brachte, zeigt die ausgezehrten KZ-Häftlinge aus Neuengamme, die im zerbombten Hamburg die Trümmer räumen mussten. Als Küchenhelferin hatte Fasia bereits jene verheerende Spritze eines NS-ideologisierten „Arztes“ bekommen, die ihr eine lebenslang immer wieder aufflammende Entzündung der Herz-Innenhaut eintrug.

Hingerissen von der jungen Akkordeonistin

Dank des „Festivals der Jugend“ im noch trümmerübersäten Nachkriegs-Berlin von 1951 fand die 21-Jährige schließlich nach Oberhausen: Fasia stieß als Akkordeonistin zur Niederrheinischen Volkstanzgruppe mit der gleichaltrigen Anneliese Althoff (der späteren, 2020 verstorbenen „Asso“-Verlegerin). „Vom ersten Augenblick an“, schreibt Marina Achenbach, „waren die Anwesenden von Fasia hingerissen.“

Fasia Jansen mit der regenbogenbunten Friedensfahne. „Sie hat nie nachgelassen, ist nie zurückgewichen“, meinte bewundernd ihr Liedermacher-Kollege Hannes Wader. „So unbeirrt weiter zu machen, das ist wirkliche Kraft.“
Fasia Jansen mit der regenbogenbunten Friedensfahne. „Sie hat nie nachgelassen, ist nie zurückgewichen“, meinte bewundernd ihr Liedermacher-Kollege Hannes Wader. „So unbeirrt weiter zu machen, das ist wirkliche Kraft.“ © Fasia Jansen Stiftung

Es ist wohl die zweite Seite ihrer von vielen beschriebenen Gabe, sich unverdrossen für andere einzusetzen: nämlich Menschen für sich zu gewinnen und so in Oberhausen eine zweite Familie zu finden. Von einer musikalischen Karriere – etwa nach den Maßstäben der nur vier Jahre jüngeren US-Bürgerrechtsikone Nina Simone (1933 bis 2003) – blieb Fasia Jansen weit entfernt: trotz großer und mitreißender Auftritte vor Tausenden Menschen. Ihre Plattenaufnahmen blieben sporadisch und waren selbst nach den Ansprüchen der 1960er Jahre unterproduziert.

An der Waterkant: Die Hamburgerin posiert 1965 für ein Schallplatten-Cover.
An der Waterkant: Die Hamburgerin posiert 1965 für ein Schallplatten-Cover. © Fasia Jansen Stiftung

„Ich denke ohne Schmus, dass aus Ihnen viel werden kann“, schrieb ihr 1962 der Liedermacher Gerd Semmer, bekannt als Co-Autor für Dieter Süverkrüp. „Du konntest und hattest wirklich den Blues“, meinte Franz Josef Degenhardt (1931 bis 2011), Jurist und erste Instanz des politischen Liedes. Allerdings muss man ihm widersprechen: Selbst den uralten Blues „St. James’s Infirmary“ sang die Hamburgerin eher als Chanson. Und „Strange Fruit“, das mutigste Lied von Billie Holiday gegen die Lynchmorde in den US-Südstaaten, ächzte in Fasias Interpretation unter übermächtigem Pathos.

Ikonische Bilder des lautstarken Protests

„Ich weiß gar nicht, ob ich mich so sehr als Sängerin sehe“, sagte Fasia selbst. „Ich rede auch. Und die Lieder singe ich, um Mut zu machen.“ Dafür ist sie unvergessen, davon versammelt das Buch „Geliebte Rebellen“ ikonische Bilder in Fülle: als fahnenschwenkende Ostermarschiererin, als (selbst im Bild) lautstark die Stimme erhebende Gitarristin neben Joan Baez oder Angela Davis. Selbst einen Hungerstreik an der Seite der Hoesch-Frauen mutete sie noch 1981 ihrem kranken Herzen zu.

Die Verehrung der Menschen im Revier, von chilenischen Flüchtlingen nach dem Allende-Putsch bis zu streikenden Stahlwerkern, war Fasias Lohn. Ihre Monatsrente beziffert die Fasia-Biografin mit 214 DM. Da war ein später „Ehrensold“ des Landes NRW sicher die wertvollere Auszeichnung als das von Friedhelm van den Mond 1991 überreichte Bundesverdienstkreuz. „Dagewesen, wenn man sie brauchte“, schrieb Oberhausens langjähriger Oberbürgermeister (von 1979 bis 1997) nach ihrem Tod: „Und brauchen würden wir sie heute noch.“

Großer Abend für Fasia Jansen in der Fabrik K 14

Einen großen Abend im Gedenken an ihre Namensgeberin richtet die Fasia Jansen Stiftung an ihrem 25. Todestag aus – und hat dafür offensichtlich ein zu kleines Forum ausgewählt: Denn die Fabrik K 14 ist für den 29. Dezember bereits seit Wochen ausgebucht.

Das vierstündige Programm gestalten zahlreiche Mitwirkende: Das Folk-Ensemble „Die Grenzgänger“ erzählt in seinen Liedern „Geschichte von unten“ und hat für diesen besonderen Abend eine Auswahl von Fasias Liedern erarbeitet, um sie erstmals zu präsentieren.

Als Sängerin (und Fasias Tochter) erinnert sich Angelika Hülsmann; die vor 40 Jahren hungerstreikenden Hoesch-Frauen Pat Walbersdorf und Rita Schenkmann-Raguse erzählen. Aus Hamburg berichtet Millicent Adjei über die von ihr mitbegründete „Fasiathek“. Mit einer Ausstellung ist auch die Schülerschaft der Fasia-Jansen-Gesamtschule dabei.