Oberhausen. Friedhelm van den Mond, von 1979 bis ‘97 an Oberhausens Stadtspitze, erzählt in seinen Memoiren vom langen Weg des Arbeiterkindes an die Uni.

Der alte Bergmannsspruch, ganz leicht variiert, weil es sich bei diesem Buch ja um Memoiren handelt: Für den Titel „Vor der Hacke war es duster“ gewinnen Friedhelm van den Mond und sein Verleger sicher keinen Originalitätspreis. Aber das sollte keinen Leser von 112 Seiten anregender Lektüre abhalten – zumal der Titel für diese Lebens(zwischen)bilanz wahrlich Sinn macht: Ihr Erzähler musste sich immer wieder auf Überraschungen und neue Herausforderungen gefasst machen.

Der heute 88-jährige Friedhelm van den Mond amtierte als Oberhausener Oberbürgermeister 18 Jahre: von 1979, nach dem plötzlichen Tod seiner Vorgängerin Luise Albertz, bis 1997. Doch die drei Buchstaben SPD liest man in dieser mit Geschmack fürs Anekdotische gewürzten Biografie erst auf Seite 100. Es ist eben in erster Linie ein sehr pointierter und präziser Rückblick auf sein Berufsleben vom 14-jährigen Hilfsarbeiter mit 48-Stunden-Woche bis zum Steiger mit weitreichender Verantwortung, der seinem „Familienpütt“, der Zeche Alstaden, verbunden blieb bis 1972: „Bis zum Schluss“, so die Überschrift des letzten Kapitels.

Aufgeschrieben hat Friedhelm van den Mond seine Lebenserinnerungen für Freunde und Familie – und sie zunächst in kleinster Auflage drucken lassen.
Aufgeschrieben hat Friedhelm van den Mond seine Lebenserinnerungen für Freunde und Familie – und sie zunächst in kleinster Auflage drucken lassen. © FUNKE Foto Services | Gerd Wallhorn

Es ist eine Arbeitswelt, die selbst mit den hoch technisierten Großzechen der späteren RAG-Jahrzehnte bis zur „letzten Schicht“ auf Prosper Haniel kaum zu vergleichen ist. Und Friedhelm van den Mond gelingt das nicht geringe Kunststück, die vielen Herausforderungen der Arbeit „vor der Hacke“ verständlich zu erzählen. Jeder Fachbegriff ist in wenigen Worten erklärt, ohne den Erzählfluss auszubremsen. Und auch die Härten und Gefahren seines Berufs macht dieser Erzähler deutlich, ohne zu schwadronieren.

Nicht „bildungsfern“, sondern mit Herzensbildung

Geschrieben und „veröffentlicht“ hatte der 88-Jährige eine erste Ausgabe dieser Erinnerungen zunächst in Kleinstauflage für Freunde und Familie. Gerade die kommt in dieser Lebenserzählung sicher etwas knapp vor: Man kennt sich ja, was gäbe es da zu erzählen? Und doch betont van den Mond schon im kurzen ersten Kapitel zur Kindheit, wie sehr seine Bildungskarriere von seiner Familie getragen wurde: einer „bildungsfernen“ Familie. Er schreibt das Wort auf, aber es gefällt ihm überhaupt nicht – und setzt die „Herzensbildung“ dagegen.

Rudolf Holtappel, der bekannte Revier-Chronist, fotografierte zwar nur selten unter Tage – doch diese Aufnahme von 1960 entstand in van der Monds „Familienpütt“, der Zeche Alstaden.
Rudolf Holtappel, der bekannte Revier-Chronist, fotografierte zwar nur selten unter Tage – doch diese Aufnahme von 1960 entstand in van der Monds „Familienpütt“, der Zeche Alstaden. © Mercator-Verlag | Rudolf Holtappel

Die Nöte des Arbeiterkindes aus Alstaden als Gymnasiast am „Horst-Wessel-Gymnasium“ (der heutigen Fasia-Jansen-Gesamtschule) glichen dem heutiger Kinder mit „bildungsfernem“ Background: Wer sollte ihm beim Lernen der Fremdsprachen helfen? Mit der Kinderlandverschickung des gesamten Gymnasiums wurde das Schulleben zum Abenteuer, am Kriegsende zum Drama: Nach einem Sommer auf Rügen lernte das uniformierte „Jungvolk“ in Österreich. Wie sich seine Klasse gegen die Schikanen des „Lamafü“ (des Lagermannschaftsführers der Hitlerjugend) wehrte, erzählt der Oberhausener fast wie in einem Jugendroman, nur knapper.

Unerwartete Hilfe und neue Chancen

Doch der eigentliche Coup dieses im Mai 1945 beendeten Schülerdaseins war der Heimweg aus den bayrischen Voralpen in 21 Tagen nach Alstaden: Zusammen mit einem Mitschüler schaffte es der 13-Jährige in den anarchischen Wochen des unmittelbaren Kriegsendes auf eigene Faust quer durchs zerbombte Deutschland. Den Schock des „Kinderlandverschickten“ angesichts der Zerstörungen beschreibt er aber nicht am Anblick von Oberhausen – sondern des erst in den letzten Kriegstagen zu 95 Prozent zerstörten Städtchens Crailsheim in Württemberg.

Aber auch das zeichnet diese Selbstbiografie aus: Friedhelm van den Mond erzählt viel lieber von den glücklichen Wendungen, von unerwarteter Hilfe und neuen Chancen. „Die Kindheit ist zu Ende“, so beginnt das nächste Kapitel, als der 14-jährige Gymnasiast zum 14-jährigen Hilfsarbeiter wurde, um anstelle des kriegsgefangenen Vaters etwas Geld zu verdienen.

Nur im Doppelpack mit dem 2021er Jahrbuch

Friedhelm van den Monds „Vor der Hacke war es duster“ erscheint in 6000er Auflage. Erhältlich ist es allerdings nur im Doppelpack mit dem Jahrbuch Oberhausen 2021 zum Preis von 15,90 Euro in allen Buchhandlungen sowie in der Touristik-Information am Hauptbahnhof.

Der Memoiren-Band hat das gleiche, annähernd quadratische Format, jedoch statt des Hochglanzpapiers ein matteres, angenehmes Papier. Auf dem kommen auch die schwarz-weißen Fotos aus dem Familienalbum und von der Zeche gut zur Geltung.

Der Wechsel des 15-Jährigen zum Bergbau und damit für 26 Jahre zur Zeche Alstaden eröffnete die Lebenschance auf Weiterbildung und Aufstieg: So wie van den Mond den Fächerkanon an der Bergschule aufzählt, liest man von echtem Bildungshunger – und keiner Bange vor den hohen Ansprüchen.

Die letzte Lore nach 115 Jahren der Steinkohlenförderung. „Mir war richtig elend“, schreibt Friedhelm van den Mond über seinen letzten Arbeitstag auf der Zeche Alstaden.
Die letzte Lore nach 115 Jahren der Steinkohlenförderung. „Mir war richtig elend“, schreibt Friedhelm van den Mond über seinen letzten Arbeitstag auf der Zeche Alstaden. © Stadtarchiv Oberhausen | Ruth Gläser

Einzigartig im Vergleich mit heutigen Berufsbiografien ist diese lange, stetige Karriere im Bergbau sicher auch, weil technisches Wissen und Können hier immer mit schwerer Arbeit verbunden blieben. Stumpfe „Maloche“ kommt in diesem Text kaum vor – es geht um findige und teils hart erkämpfte Problemlösungen. Was ein so abstrakt klingender Begriff wie „geologische Störung“ für die Arbeiter am Flöz bedeutet, wie sie plötzlich bis in vier Meter Höhe den Stollen abstützen müssen: Das kann dieser Erzähler auch für technisch Ahnungslose packend auf den Punkt bringen.

Genug Stoff aufgespart für einen zweiten Band

Das letzte Foto dieses treffsicher bebilderten Bandes zeigt, wie 1973 der Förderturm des Alstadener Schachtes 2 fällt. „Mir war richtig elend“, schreibt Friedhelm van den Mond – und endet mit seiner Bewerbung zum Studium an der Ruhr-Universität in Bochum. Mit 41 Jahren und als Vater von fünf Kindern. Der Alt-Oberbürgermeister hat sich noch genug Stoff aufgespart – zum Beispiel für eine politische Autobiografie. In der würde dann wohl auch das Kürzel SPD mehr als ein-, zweimal vorkommen.