Essen. Liedermacher und Autor Franz Josef Degenhardt gibt es mit seinem ersten Roman „Zündschnüre“ in der WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets zu entdecken.

Franz Josef Degenhardt, der vor etwas mehr als zehn Jahren gestorben ist und in der kommenden Woche 90 geworden wäre, ist als Ur- und Musterbild des deutschen Liedermachers in die Kulturgeschichte der Bundesrepublik eingegangen. Der in Schwelm am teils industrialisierten Südrand des Ruhrgebiets geborene, in einer erzkatholischen Familie aufgewachsene Jurist mit Promotion sah sich selbst in einer langen linken Tradition.

Bei aller grundsätzlichen Standfestigkeit wollte Degenhardt aber auch Bohemien sein, ein ­loser Vogel sogar, ein poetisch-politischer Bänkelsänger in einer Reihe mit Walther von der Vogelweide, François Villon und George Brassens. Lyrisch und derb wie sie war er allemal.

Auch als roter Barde mit der Klampfe hat Degenhardt immer Geschichten erzählt

Aber auch als roter Barde mit der unverwüstlichen Klampfe hat Degenhardt immer Geschichten erzählt, und seine besten handelten von der Geschichte, aus der Sicht von Revolutionären („Joß Fritz“) oder von Arbeitern („Rudi Schulte“). Degenhardt war der singende, scharfzüngige Lautsprecher der ‘68er – bis die sich zum „Marsch durch die Institutionen“ aufmachten und von „Väterchen Franz“ nur Spott, Satire und tiefere Verachtung für ihre Verbürgerlichung ernteten. Und kaum jemand hat den Durchmarsch alter Eliten aus brauner Zeit in der jungen Bundesrepublik so oft erzählt und ironisiert wie er.

Dieses Motiv kehrt auch in seinem ersten Roman „Zündschnüre“ (1973) wieder, in dem ein eisenverarbeitender Industrieller schon 1944 ebenso vor- wie weitsichtig die Fühler zu einer Widerstandsgruppe ausstreckt. Doch eigentlich ist es die Geschichte einer Widerstandszelle in einer Fabrik für Rüstungsgüter, die aus Arbeitern einer „roten“ Siedlung und deren Frauen besteht; hinzukommen einige nach Westen verschleppte Zwangsarbeiter der Fabrik, von denen Stacho aus der Roten Armee sogar zum Anführer der Gruppe wird, als die Nazis den alten Chef nach Buchenwald verschleppen. Sie sabotieren, sie organisieren (etwa Rotweinfässer aus Südfrankreich) und sprengen auch schon mal Bahnwaggons in die Luft.

Franz Josef Degenhardt setzt jugendlichen Widerstandskämpfern ein Denkmal

Der Held dieses Romans aber ist Fänä Spormann, eine Mischung aus Arbeitersohn und Huckleberry Finn, sehr frühreif (einmal stöhnt er über die Zeit, die sie zwingt, so früh erwachsen zu werden) und dem oft erwähnten „Schabau“ wie auch körperlichen Freuden nicht abgeneigt. Fänä ist 13, und wer rechnen kann, wird darauf kommen, dass da einer vom Jahrgang 1931 viel von sich hineingeschrieben haben wird, nicht nur vom Leben, auch von Träumen, Wünschen, Sehnsüchten.

Die anderen Frühreifen der Gang werden Sugga, Tünneman, Zünder, Ziß und Viehmann genannt – was daran erinnert, dass im Revier früher jeder und jede einen Spitznamen hatte, eine Art Sozialtaufe durch das wirkliche Leben und die Menschen ringsum. Wie in seiner „Ballade vom Edelweißpiraten Nevada-Kid“ setzt Degenhardt hier jugendlichen Widerstandskämpfern ein blutwarm pulsierendes, buntes, manchmal auch grelles, aber immer heimleuchtendes Denkmal.

Franz Josef Degenhardt: Zündschnüre. Roman. WAZ-Bibliothek des Ruhrgebiets. Klartext Verlag, 222 S., geb., 9,95 Euro.