Oberhausen. Die Oberhausener Verlegerin und Friedenskämpferin Anna Althoff ist 90-jährig am 4. November verstorben. Würdigung einer engagierten Frau.
Verlagskauffrau mag für die meisten nach einem nüchternen Bürojob klingen. Aber so war Anneliese Althoff nicht. Die Gründerin des Oberhausener Asso-Verlages war lebenslang engagiert, tatkräftig und vor allem friedensbewegt: eine Freundin und Seelenverwandte der Musikerin Fasia Jansen, die sie auf den Ostermärschen durchs Ruhrgebiet begleitete. Wenige Wochen nach ihrem 90. Geburtstag ist Anneliese Althoff, wie die Fasia-Jansen-Stiftung mitteilt, am 4. November verstorben.
Für Ulli Langenbrinck, ihre Kollegin in der Stiftung und Autorin, war die 30 Jahre Ältere eine „Zauberin“, die mit Hartnäckigkeit und Improvisationsgenie immer wieder „Unmögliches möglich gemacht“ hat: Den heute ins Feinste ausgefeilten (und in der Coronakrise darbenden) Beruf der „Konzert-Promoterin“ hat sie für Fasia Jansen, ihre Freundin mit der großen Stimme, quasi nebenbei ausgeübt. Und wenn andere längst aufgegeben hätten, beschaffte Anneliese Althoff noch fehlende Visa oder ersetzte erkrankte Musiker.
Die Kindheit dieser Styrumerin, die von ihren Freundinnen nur Anna genannt wurde, beschrieb der WAZ-Kulturredakteur Michael Schmitz in einer Würdigung zu ihrem 75. Geburtstag mit einem Bild, „das so unnachahmlich an Don Camillo und Peppone erinnert“: Denn Dorothea, die Mutter der kleinen Anneliese und ihrer drei Geschwister, war eine engagierte Katholikin, die im Eingang des Hauses – nur wenige Schritte entfernt von der Styrumer St.-Joseph-Kirche – nicht selten einen kleinen Altar aufbaute. Und derlei „Opium fürs Volk“ konterte Vater Hans Althoff als überzeugter Kommunist mit einer Lenin-Büste im Fenster.
Das Sehnen nach „Nie wieder Krieg“
An seine Verfolgung durch das NS-Regime erinnert seit 2018 einer der Oberhausener Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig. Ausgerechnet dieses „Denkmal von unten“ war im Oktober von Unbekannten, mutmaßlich rechtsextremen Tätern, gestohlen worden. Während ihr Vater in die Wehrmacht gezwungen wurde, prägte sich seiner Tochter während der angstvollen Bunkernächte des Bombenkrieges das Sehnen nach „Nie wieder Krieg“ ein.
Daraus erwuchs ein lebenslanges Engagement, das auch in der bundesrepublikanischen Nachkriegszeit allen Nachstellungen trotzte: Als die „Freie Deutsche Jugend“ 1952 in der Bundesrepublik verboten wurde, wehrte sich die gerade 22-Jährige bis zum Bundesgerichtshof – der allerdings ihre sechsmonatige Haftstrafe ohne Bewährung bestätigte. Der Styrumer Kaplan Otto Kohler, selbst ein Verfolgter des NS-Regimes, intervenierte und konnte die Haft dann doch noch zur Bewährungsstrafe wenden: Manchmal hilft der Glaube nicht nur im Sozialismus.
Vom Kleinkunst-Brettl zum Zwei-Frauen-Betrieb
Die Hamburgerin Fasia Jansen hatte Anneliese Althoff im Jahr zuvor bei den 1951er Weltjugendfestspielen kennengelernt. Schließlich war die Oberhausenerin selbst von der Bühne angetan: ob im Tanzensemble der Niederrheinischen Trachtengruppe in der Naturjugend – oder auf dem Kleinkunst-Brettl mit den „Pfefferlingen“. Die ein Jahr ältere Fasia Jansen fand als „fünftes Kind“ Aufnahme im Althoff’schen Haushalt.
Anneliese Althoff hatte zwar einen Abschluss der Handelsschule, jedoch keine klassische Berufsausbildung absolviert. „Ich habe alles selbst gelernt“, sagte sie, „habe viel gelesen und hatte kluge Freundinnen und Freunde“. So fand sich schließlich 1970 das Verlegerinnen-Gespann Althoff und Annemarie Stern zusammen zum Zwei-Frauen-Betrieb namens Assoverlag (Asso als Kurzwort für „Assoziation“, das gemeinsame Engagement): mit Revierliteratur, die nicht heimattümeln will, sondern überzeugt und überzeugend links ist. „Lieder gegen den Tritt“, ihr Standardwerk zum politischen Lied, gehörte einst in jede WG und verkaufte sich in hoher fünfstelliger Auflage.
Das „Hochlarmarker Lesebuch“ über Recklinghausens ältestes Arbeiterviertel präsentierte beispielhaft die noch junge „Geschichtsschreibung von unten“. Dabei hielt das Duo Althoff und Stern stets auf literarische Qualität. Die mit den Jahren der „Revierliteratur“ längst entwachsenen Hans Dieter Baroth und Jürgen Lodemann zählten zu den Asso-Autoren. Viel Geld verdienten die Verlegerinnen allerdings nie – doch Ulli Langenbrinck war Mitte der 1970er schwer beeindruckt, als sie als 18-Jährige „diese neue Welt der selbstbewussten, kämpferischen Frauen“ kennenlernte.
Natürlich erschien im Assoverlag 2004 auch Marina Achenbachs „Fasia – geliebte Rebellin“ als großformatige, 300 Seiten starke und reich ausgestattete Würdigung an das Wirken der großen Protestsängerin. Den Verlag allerdings übernahmen ein Jahr später Ingrid und Ernst Gerlach.
Anspruch an die literarische Qualität bleibt
„Der alte Assoverlag existierte ohne Vertriebssystem“, erzählte Gerlach zwei Jahrzehnte später: Man verkaufte die teils aufwendig gestalteten Bücher von Bücherständen. Der Citroën-Lieferwagen mit der Wellblech-Karosserie, den der Oldtimer-Fan und frühere Mülheimer Stadtdirektor Gerlach bis heute als Werbe-Mobil einsetzt, ist das putzige Relikt jener Zeit. „Es war schon eine Neuorientierung“, sagt der heutige Verleger zu seiner Übernahme. Geblieben ist der Anspruch an die literarische Qualität und die Verbundenheit zur Arbeitswelt – und sei es in Gestalt der alljährlich heiß begehrten „Blagen“-Kalender.
Gedruckte „Lieder gegen die Bombe“
Martina Franzke, die Anneliese Althoff in über 40-jähriger Freundschaft verbunden war, schrieb: „Anna war über 70 Jahre lang Mitglied der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) in Oberhausen, direkt nach Kriegsende wurde sie Mitglied und setzte sich in einer Jugendgruppe unter Leitung von Hans Müller mit für die Verfolgung der Naziverbrechen ein.
Ihr Engagement gegen Faschismus und für Frieden machte sie zur Teilnehmerin der Aktionen gegen die Wiederbewaffnung in den 1950er Jahren, genauso wie an den ersten Ostermärschen der Atomwaffengegner, Anfang der ‘60er Jahre. Für die Sängerinnen und Sänger der Bewegung – Fasia, Dieter Süverkrüp, die Conrads und viele mehr – gab sie die ersten Hefte ‘Lieder gegen die Bombe’ heraus.“
Wie Fasia Jansen, die als Achtjährige für ein pseudo-„medizinisches“ Experiment des NS-Regimes missbraucht wurde und ein schweres Herzleiden davontrug, war auch Anneliese Althoff von einer Krankheit gezeichnet: Sie war als Kind an Scharlach erkrankt und trug Gelenkrheuma und einen Herzfehler davon. Doch ob und wie stark sie gesundheitlich eingeschränkt war, so erinnert sich Ulli Langenbrinck, habe sich die Friedenskämpferin ungern anmerken lassen: „Ihr ging’s immer gut.“