Oberhausen. Ein gewaltiges Wandbild ist der Blickfang im stilvollen Keller unterm Gdanska-Theater – für das Czeslaw Golebiewski eine große Tradition aufruft.
Mit seiner siebten Ausbaustufe ist das Gdanska jetzt im Untergrund angekommen – zur großen Freude von Czeslaw Golebiewski, der sich damit auf eine große subkulturelle Tradition seiner polnischen Heimat berufen kann. Schließlich muss man – im 22. Jahr der einzigartigen Kulturkneipe am Altmarkt – weit zurückblicken, um sich noch mal die kleinen Anfänge rund um die Jahrtausendwende zu vergegenwärtigen.
Viel mehr als ein langer Tresen im schmalen Schankraum war das „erste“ Gdanska nämlich nicht. 2005 übernahmen Czeslaw und Maria Golebiewski den leerstehenden Drogeriemarkt nebenan: heute der Gdanska-Konzertsaal. Der jüngst offiziell nach „Kuro“, dem im Gdanska viele Jahre heimischen Musiker, Maler und Zeichner Walter Kurowski, benannte Raum war zuvor ein Friseursalon. Und im kleinen Theater, 2011 eröffnet, traf sich zuvor eine freikirchliche Gemeinde.
Von dort geht’s nun über eine steile, aber breite Treppe in den Untergrund – für den Oberhausens vor fünf Jahren verstorbener Stadtkünstler einen überraschenden Hingucker lieferte. Fans guten Lesestoffs, die bereits die ersten Jahre des Literaturhauses an der Marktstraße 146 (zu Gast bei der Weinlounge „Le Baron“) verfolgt hatten, erleben hier ein kleines Déjà-vu: Der Zuschnitt des länglichen, aber schmalen Raumes ist sehr ähnlich. Doch im neuen Domizil der rührigen Literaturfans reihen sich keine Bücherregale – sondern eine monumentale Bildstrecke, zusammengefügt aus etlichen hochformatigen Papierbahnen.
Kleinod inklusive Klavier und Musiktruhe
Czeslaw Golebiewski beschreibt mit ausholenden Gesten, wie Kuro, der entschlossene Schnellzeichner und Maler, während der ersten Leseabende im noch klitzekleinen Gdanska auf dem Boden hockend diesen Fries nackter Schönheiten in waldgrün zu Papier brachte – unbekümmert um die Zerbrechlichkeit seines Malgrundes. Der Gdanska-Wirt rettete die Nymphenpracht, indem er die Papiere auf festere Tapetenrollen aufzog. Man möchte den Golebiewskis fast einen umfassenden Masterplan unterstellen: in dem schon vor zwei Jahrzehnten feststand, dass dereinst auch dieser von den Vorbesitzern vollgemüllte Kellerraum zu künstlerischen Ehren kommen würde.
„20 Anhänger mit Schutt und Müll haben wir hier rausgeholt“, erzählt der kunstbegeisterte studierte Meeresbiologe, dem 69 Lebensjahre wahrlich nicht anzumerken sind. Für ihn ist das stilvoll möblierte Kleinod (Klavier und Musiktruhe inklusive) nicht einfach ein Vereinsraum des Literaturhauses – sondern potenziell das Oberhausener Gegenstück zu einer Krakauer Kultur-Institution: Die befindet sich in Polens alter Königsstadt in nächster Nähe des prächtigen Hauptplatzes in den Gewölben eines barocken Stadtpalais und heißt „Piwnica pod Baranami“.
Bereits seit dem ersten nach-stalinistischen Tauwetter in den 1950ern testeten Sänger, Schauspieler und Kabarettisten in „diesem kleinen unterirdischen Künstlerloch“, wie es auf der Homepage des „Kellers zu den Widdern“ heißt, wie weit sich die Kunstfreiheit im Kommunismus treiben ließ. Czeslaw Golebiewski schwärmt genießerisch vom „Geburtsort der besten polnischen Künstler“ – und legt damit eine hohe Latte an die neue Spielstätte, nicht nur fürs Literaturhaus, sondern auch für intime Konzerte von Jazzkarussell oder Indie Radar Ruhr.
„Feierliche Eröffnung“ mit Ingo Schulze
Wie diese „ganze Reihe kleinerer Formate“ sich darstellen könnte, malt sich der Literaturhaus-Vorsitzende bereits lebhaft aus: Hartmut Kowsky-Kawelke sähe hier etwa gerne einen Abend zu Heinrich Bölls „Irischem Tagebuch“ mit der passenden Musik „und geistigen Getränken“. Inoffiziell hat der angesichts seiner zahlreichen Aktivitäten vom Gdanska bis zum Tackenberg erstaunlich kleine Verein den behaglichen Untergrund bereits mit seiner Jahresendfeier eingeweiht. Offiziell sicherten sich die Literaturhäusler für eine „feierliche Eröffnung“ einen prominenten Gast.
Ingo Schulze, der Dresdner Literat mit Wahlheimat Berlin, residiert als „Metropolenschreiber Ruhr“ der Brost-Stiftung derzeit im nahen Mülheim und hat gerne zugesagt, nach seiner Vorjahres-Lesung aus „Die rechtschaffenen Mörder“, erneut für das Literaturhaus vorzutragen und zu diskutieren. Besichtigt hatte der 59-Jährige den Gdanska-Ausbau Nr. 7 bereits „als Baustelle“, wie Hartmut Kowsky-Kawelke erzählt.
Verzögerungen aus den besten Gründen
Wie bei jedem ambitionierten Bauprojekt gab es Verzögerungen – im Gdanska allerdings aus den besten Gründen: Denn als im Februar der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine begonnen hatte, zogen die Wirtsleute die Handwerker ihres Vertrauens zunächst aus dem künftigen Pendant des „Kellers zu den Widdern“ ab.
Sie sollten zwei Etagen höher, neben den Gästezimmern des 2014 eröffneten „Hotelik“, eilends Räume herrichten, um Flüchtende aufnehmen zu können. Die Familien aus der Partnerstadt Saporishja und der einst polnisch-litauischen Kulturmetropole Lwiw bedankten sich für die rasant vollendete Ausbaustufe Nr. 6 auf die im Gdanska passendste Art: mit einem musikalisch-szenischen Kulturabend.
Höchste Zeit für eine neue Sachlichkeit
Der Literaturhaus-Verein will im neuen Jahr „eine Lanze fürs Sachbuch brechen“, wie es im Programm für das erste Quartal 2023 heißt. Gerade die oft beschönigend „Narrative“ genannten, abstrusen Lügen demagogischer Großsprecher von Donald Trump bis Wladimir Putin machten deutlich: Debatten sollten sich auf Wissen stützen – und nicht auf meinungsstarke Schnellschüsse.
Das kommende Quartal des Literaturhauses macht daher bekannt mit einem so hellsichtigen wie telegenen Podcast-Duo und einem Essayisten von Format – aber auch mit neuen Romanen. In „Die Einstellung“ zum Jahresauftakt am Freitag, 13. Januar, im Gdanska-Theater zeigt Doron Rabinovici in einer raffinierten Fiktion die Verführungskraft des Populismus (ein ausführlicher Bericht folgt). Online informiert literaturhaus-oberhausen.de