Oberhausen. Im Gdanska Oberhausen entwickeln Geflüchtete aus Saporishja und Lwiw ein Theaterstück. Mit Geschichten voller Schmerz - aber auch Hoffnung.
Anuschka lächelt. Sie streicht mit ihren Händen über die Saiten einer Akustikgitarre, die im kleinen Theater an der Wand baumelt. Die Siebenjährige ist seit wenigen Tagen in Oberhausen, staunt in einem Nebenraum der Kulturgaststätte Gdanska über die vielen Instrumente.
Das kleine Mädchen stammt aus dem jüngst wieder unter Beschuss geratenen Lwiw (Lemberg) nahe der polnischen Grenze in der West-Ukraine. Nur mit dem Nötigsten kam sie mit ihrer Mutter nach Tagen beschwerlicher Flucht in Oberhausen an. Neben ihrem Leben rettete sie: ihre geliebte Geige.
Im Hotel des Gdanskas bieten die Wirtsleute Maria und Czeslaw Golebiewski aus der Ukraine zurzeit geflüchteten Frauen und Kindern ein Zimmer an - bevor sie in Oberhausen und Umgebung in eine eigene Wohnung ziehen. Die meisten von ihnen stammen aus Oberhausens Partnerstadt Saporishja.
„In der polnischen Sprache gibt es vielleicht ein Drittel Überschneidungen zum Ukrainischen“, sagt Czeslaw. „Mein Russisch hat einen ulkigen Dialekt, der einige schon zum Lächeln gebracht hat. Das hilft vielleicht, um die Menschen für einen Moment abzulenken und zu trösten“, sagt Maria. Internationaler Schmelztiegel war das Gdanska schon immer.
Ukrainerinnen verarbeiten Flucht mit Texten und Liedern
Anschukas Mutter steht gerade vor dem Oberhausener Sozialrathaus an. Also geben die Wirtsleute auf das kleine Mädchen acht. Auch die übrigen ukrainischen Frauen helfen mit. Es wirkt wie eine Wohngemeinschaft, eine Großfamilie - in schweren Zeiten stehen alle zusammen.
20 Geflüchtete waren schon hier, knapp die Hälfte ist mittlerweile in eigenen Wohnungen unterbracht. Und Czeslaw Golebiewski wäre nicht Czeslaw, wenn er die verborgenen Talente seiner Gäste nicht schon erkannt hätte: „Wir wollen ein gemeinsames Theaterstück aufführen und proben dafür eifrig.“ Sie erzählen von sich und ihrem Land. Sie singen ukrainische Lieder. Und Anuschka möchte auf ihrer Geige spielen.
Olga (39) arbeitet in Saporishja bei einer schwedischen Industriefirma. Da sie fließend Englisch spricht, kann sie übersetzen, wenn der Sprach-Mix doch einmal stockt. Mit ihrem Handy ist sie viel mit Bekannten in der Heimat verbunden. Sie berichtet vom erschütternden Beschuss russischer Einheiten. „Die Situation vor Ort ist schrecklich.“
Wie so viele andere ist die Mutter aus ihrem geregelten Leben gerissen worden. In Oberhausen sieht sie häufig die weiß-rötlichen Magnolien blühen. Dann denkt sie an ihren eigenen Garten - wo sich bald die Knospen öffnen müssen.
Schreckliche Geräusche der Raketen klingen noch im Ohr
Neben ihrer Mutter Gala ist Sohn Artem (13) bei ihr. Ein begeisterter Sportler, der sich mit Crossfit in Form hält, erzählt Olga. Als Kind sei er noch spindeldünn gewesen. Die Sportstudios in Saporishja sind nun von russischen Raketen bedroht - wie alles, was den Alltag ausmacht. „Wir hätten nie damit gerechnet, das so etwas Schreckliches passiert.“ Die Geräusche der Artillerie klingen noch in ihren Ohren.
Auf ihrem Weg nach Deutschland hat sie in überfüllten Zügen viele Kinder gesehen, die auf den Gängen schlafen mussten. Sie möchte stark bleiben. Möchte für die Freiheit in der Ukraine einstehen. Ihr Ehemann Sasha ist in der Ukraine geblieben, um zu kämpfen. In Olgas Augen sieht man ihr die großen Sorgen an.
Im Gdanska merkt man aber auch, dass es Momente gibt, in denen sie versucht, zur Ruhe zu kommen: „Die Musik und die gemeinsame Arbeit auf der Bühne können dabei helfen.“ Wann das Theaterstück aufgeführt wird, steht noch nicht fest. Aber sie wollen bald fertig sein.
Menschen aus der Ukraine lernen Deutsch im Gdanska-Kneipenraum
Von der Hilfsbereitschaft in Deutschland ist sie überwältigt. „Maria und Czeslaw sind schon am frühen Morgen für uns da. Manchmal schon um fünf Uhr morgens - und sie helfen uns, wo sie können.“ Olgas Schäferhund Taja ist mit Zahnschmerzen in Deutschland angekommen - die erste Fahrt führte zum Tierarzt.
Wenn das Gdanska-Restaurant geschlossen ist, üben sie hier Deutsch. Maria Golebiewski arbeitete selbst als Lehrerin, hat improvisierte Sprachkurse organisiert, bevor die Geflüchteten in einen geregelten Kurs wechseln können: "Wo immer es geht, packen die Ukrainerinnen mit an. Sie decken den Tisch. Oder fegen sogar den Altmarkt."
Alle wollen zurück in die Ukraine, sobald es wieder möglich ist. Sie denken oft an ihre Heimat. Doch dort, wo ihre Häuser stehen, wird geschossen.
>>> Polnische Gemeinschaft organisiert Hilfslieferungen
Auch die polnische Gemeinschaft in Deutschland organisiert Hilfslieferungen für die Ukraine, an denen sich auch das Oberhausener Kultur-Restaurant Gdanska beteiligt.
Die Hilfsgüter werden in einer vom Unternehmen Deka zur Verfügung gestellten Halle in Essen gesammelt. Von dort starten die Transporte.