Oberhausen. Die Theaterpädagogik kehrt mit voller Kraft zurück in den Workshop-Betrieb. Und den Schulen nehmen Schauspieler den Schrecken vorm Abiturstoff.
Man möchte meinen, die Theaterfaktorei stürzt sich unverdrossen in jene Lücke, die eine große Bühne im Wartestand derzeit noch bei den Abonnenten hinterlässt: Noch wartet man auf ein umfassendes Spielzeitheft – doch die drei Theaterpädagoginnen haben schon mal ein 60 Seiten starkes Programm aufgelegt, geschmückt mit lauter pixeligen Icons vom Smiley bis zum Ampelmännchen. Dabei bestimmt genau das Gegenteil die Vorfreude: Wenn keine fünfte Pandemie-Welle die guten Vorsätze verhindert, kehrt die Faktorei mit voller Kraft zurück in den „analogen“ Workshop-Betrieb.
„Wir hatten eine bundesweite Reichweite mit unseren digitalen Angeboten“, sagt Amira Bakhit, die Leiterin der Theaterfaktorei. „Trotzdem fehlte uns die Nähe zur Stadt.“ Die zweite große Ungewissheit: „Es wird das letzte Programm der Faktorei sein, wie wir sie kennen.“ Ob auch die künftige Intendantin Kathrin Mädler beim erfolgreichen Label bleibt – und es ebenfalls mit drei Theaterpädagoginnen ausstattet – „das ist die Frage“, wie Anke Weingarte sagt.
Dem kreativen Schwung hat die bange Frage, scheint’s, nicht geschadet. Die ersten Projekte und Workshops laufen schon mit guter Resonanz. Etliche andere stehen für besondere Ideen und hohes Engagement. So betont Amira Bakhit, nun besonders die Kinder ab acht Jahren im Blick zu haben, „die wir während der Pandemie digital nur schwer versorgen konnten“.
Kein „Nostalgieclub“, sondern Schatzsuche
Romi Domkowsky allerdings wirbt unter dem Slogan „Ossis im Pott“ um eine auf ganz andere Art „unsichtbare“ Gruppe: „Es ist unser Projekt für die Ältesten ab 38 Jahren, die noch eine DDR-Sozialisation im Kindergarten erlebt haben.“ Die Professorin für Theaterpädagogik wünscht sich (Start am Donnerstag, 7. Oktober) keinen „Nostalgieclub“, sondern eine Schatzsuche nach Musik, Ästhetik und Kultur mit Ostprägung.
„Ruhrpott, mon Amour!“ wirkt dagegen wie das gebotene Kontrastprogramm für Jüngere von 14 bis 30 Jahren: Ronja Oppelt und Daniel Rothaug vom Ensemble engagieren sich auch für die Faktorei – und stemmten mit „Wunderland“ im Oktober 2020 die letzte Live-Inszenierung des Theaters vor langem Lockdown. „Aus dem Wunderland-Team sind wieder viele dabei“, weiß Amira Bakhit, wenn es (Start am Dienstag, 2. November) gilt, die besonderen Orte der eigenen Stadt zu entdecken.
„Redebedarf“ soll ein monatlicher Talk an jedem ersten Samstag heißen. Ella Steinmann, die Diversitätsagentin des Theaters, lädt Zehn- bis 18-Jährige ein, eigene Herzensthemen vorzubereiten, denen sie abends in einer öffentlichen Talkrunde mit Expertinnen auf den Grund gehen können.
Eine von nur vier Technischen Direktorinnen
Vom Zauber hinter den Schauspiel-Kulissen kündet das am Donnerstag, 11. November, startende Projekt mit dem (womöglich eher Misstrauen weckenden) Slogan „Trust me, I’m a Technician“: Dabei will Sina Rohrlack gerade Mädchen ab 14 Jahren für die technischen Abteilungen des Theaters begeistern. Schließlich ist sie selbst eine von nur vier Technischen Direktorinnen an deutschen Bühnen. Das Projekt ergänzt ganz wunderbar die große Spielzeit-Produktion „Wetterleuchten“.
Auch „Ankommen“ (so der Arbeitstitel) als große Co-Produktion von Theaterfaktorei und Stadtarchiv zur Oberhausener Migrationsgeschichte findet im neuen Faktorei-Programm ein Pendant: „Stadtprojekt//Your Identity“ für alle ab zehn Jahren.
Für alle Altersgruppen kostenlos
Die Workshop-Angebote und Projekte der Theaterfaktorei sind für alle Altersgruppen kostenlos. Anders ist’s beim „Theatermobil in Ihrer Schule“ mit Lesungen oder Auftritten von Schauspielern aus dem Ensemble: Dann beträgt der Kostenbeitrag 5 Euro pro Schüler.Ausführlich informiert das 60-seitige Programmheft der Theaterfaktorei, erhältlich gedruckt im Besucherbüro des Theaters oder online theater-oberhausen.de.
Das in Mexiko knallbunt als „Dia de las Muertas“ gefeierte Allerheiligen zelebriert Romi Domkowsky bereits zum vierten Mal in Oberhausen: Der bereits gestartete Workshop für Frauen widmet sich in diesem Jahr der Trauer nach einem Verlust. Er endet mit einer von Performances begleiteten Installation – so vielfarbig und lebensfroh wie der „Tag der Toten“ in Lateinamerika.
Zu diesem „Abend für die Ahninnen“ am Mittwoch, 3. November, bietet Anke Weingarte auch einen Willkommensabend für Pädagoginnen. Schließlich will das Theater als anerkannter „außerschulischer Lernort“ nach dem Exil in Digitalien wieder die Jüngsten erreichen: „Manche kratzen schon an unserer Tür; andere müssen wir wachrütteln.“
Abiturstoff in Rucksäcken, Koffern und Kisten
Dabei kann die Theaterfaktorei selbst Sperriges höchst anschaulich vermitteln: Beispielhaft öffnet Anke Weingarte ein Holzkistchen mit getrockneten Blüten, alten Fotos und Briefen. Für jede Figur in Arno Geigers Roman „Unter der Drachenwand“ wurde in der Faktorei ein Rucksack, Koffer oder anderes Utensil gepackt. Und mit der Lesekunst von Torsten Bauer als einem der Dienstältesten im Ensemble verliert dieser fordernde Abiturstoff dank der Theater-Vermittlung seinen Schrecken.
Schülern der Mittelstufe bietet Daniel Rothaug seinen existenziellen Monolog „Die Tiefe“ von Jon Atli Jonasson als starkes Schauspiel fast ohne Requisiten. Und den ersten Grundschulklassen präsentiert Elisabeth Hoppe aus dem Ensemble alles, was das Lernen schön macht, nämlich: „Supergute Bücher“.