Oberhausen. Zum Fastenmonat wollte das Theater Oberhausen wieder großes Festival auffahren. Es bleiben: Online-Diskussionen und ganz neue Schauspiel-Formate.
Die etwas sperrige Wortschöpfung „D.ramadan“ meinte im Theater Oberhausen einen ganzen Fastenmonat voller spannender Debatten, überraschender Gäste und angeregter Gespräche bis in den späten Abend beim gemeinsamen Fastenbrechen. Das war im Mai 2018 – und genauso groß sollte das Festival, inklusive eines Wettbewerbs neuer Dramentexte, 2020 zurückkehren. „Uns fehlt so viel an Austausch“, sagt Patricia Nickel-Dönicke, „nicht nur das gemeinsame Essen“.
„Abstand mit Haltung“ heißt nun sehr zeitgemäß das neue Schauspiel-Projekt. „Wir wollen mit der Problematik sehr humorvoll umgehen“, sagt die zum Ende der Spielzeit nach Kassel wechselnde Vize-Intendantin – und keinesfalls weitere „Wohnzimmer-Videos produzieren“. Es ist doch viel spannender, Lise Wolle mit den Schattenfiguren des traditionellen türkischen „Karagöz“-Theaters zu verbünden – und sie gemeinsam gegen das Coronavirus antreten zu lassen. „Die Sehnsucht zu spielen“, weiß Patricia Nickel-Dönicke, „ist extrem groß im Ensemble“ – und sei es vor einem „Green Screen“, um sie wie Lise Wolle vor der Kamera von Nazgol Emami auf Schattenspielfiguren-Größe zu schrumpfen. Die Koproduktion mit dem „Theater 916“ von Sibel und Serkan Öztürk zeigt das Theater Oberhausen online am Freitag, 8. Mai.
Der 28-jährige David Vormweg wurde für seine Diplomarbeit „Unendlich Luft“, die er gemeinsam mit seinem Kollegen Nils Kretschmer erarbeitete, mit dem Folkwang Preis ausgezeichnet. Fürs Theater Oberhausen präsentieren die beiden Jungschauspieler eine kompakte Version ihrer „Quarterlife-Crisis – the best never rest“: Die früh Krisengeschüttelten singen und berichten von ihren extrem ausgeklügelten Plänen, der Tristesse des bürgerlichen Lebens den Rücken zu kehren – mitzuerleben am Freitag, 22. Mai.
In hinreißend absurden Abstandshalter-Kostümen
14-tägig soll es mit „Abstand mit Haltung“ in den Juni weitgehen: „Wir zeigen, wie es ist, mit Abstand zu proben“, sagt Patricia Nickel-Dönicke: Dafür probt Christian Bayer gerade in hinreißend absurden Abstandshalter-Kostümen und Intendant Florian Fiedler spricht übers Werden eines Bühnenbildes. Für diese Online-Produktionen des Theaters gilt: Sie bleiben auch nach den ersten Tagen im weltweiten Web weiter anklickbar.
„Perspektiven“ heißt das Programm, das von den zahlreichen Gesprächs- und Diskussionsabenden des „D.ramadan“ geblieben ist: drei Gespräche vor Kameras, komprimiert auf jeweils 15 bis 20 Minuten. „Wir sind keine TV-Produktion. Die Aufmerksamkeit online zu erhalten, ist eine echte Herausforderung“, meint Ella Steinmann. Die 32-Jährige teilt sich mit ihrer Kollegin Birte Kaspers seit Juli 2019 am Theater Oberhausen die Stelle der Agentinnen für Diversitätsentwicklung, finanziert vom Programm „360° – Fonds für Kulturen der neuen Stadtgesellschaft“ der Kulturstiftung des Bundes.
Der erste „perspektivische“ Gedankenanstoß „bietet sich an im Theater“, sagt Ella Steinmann: „Identität durch Mode und Haare“ ist das Thema am Freitag, 1. Mai. Ein Podium um die auf Youtube höchst präsente Modebloggerin Esra Karakaya diskutiert über Mode, Hijab, Afrohaare und Identitäten.
„Wie kann ein gütiger Gott das zulassen?“
Burak Yilmaz, der Duisburger Sozialarbeiter, fährt mit jungen Muslimen nach Auschwitz, um ihnen zu zeigen, dass Erinnerungskultur auch für sie Bedeutung hat. Im Theater Oberhausen diskutierte er bereits an einem „Lit.Ruhr“-Vormittag mit der jüdischen Literatin Gila Lustiger: Im Online-Gespräch mit Dramaturgin Romi Domkowsky geht’s am Freitag, 15. Mai um „Reagieren statt Resignieren“, um Diskriminierungserfahrungen im Alltag.
Digitales Theater Oberhausen
„An all das, was Sie zur Zeit schmerzlich an Theater vermissen“ will das Theater Oberhausen mit seinen Online-Angeboten „so nah wie möglich“ herankommen. Und da gibt’s noch einiges mehr als die „D.ramadan“-Beiträge.
So startet am 2. Mai „Die Pest“, der im März flugs vergriffene Roman der Stunde, als Miniserie in der Inszenierung von Bert Zander. In Zusammenarbeit mit den Internationalen Kurzfilmtagen gibt’s die (durchaus kritische) Debatten-Reihe „Jetzt ist nicht Zeit für Kritik“. Die Theaterfaktorei öffnet online ihre „Akademie der lauten Gedanken“.
Für unmaskiertes Entertainment steht die Reihe der Online-Wunschkonzerte, dargeboten von einem auch musikalisch überzeugenden Ensemble. Und Diversitäts-Agentin Ella Steinmann unterhält sich vor der Kamera mit Intendant Florian Fiedler.
Die Corona-Krise braucht es auf diesem Planeten eigentlich nicht, um täglich die Theodizee-Frage aufzuwerfen: „Wie kann ein gütiger Gott das zulassen?“ Der Islamwissenschaftler und Philosoph Dr. Muhammad Sameer Murtaza antwortet in aller Kürze am Freitag, 29. Mai, auf diese womöglich größte aller Fragen – ein Gedankenanstoß mit höchstem Anspruch.