Oberhausen. Wie drücke ich mich aus, wenn man alle Geschlechter gleichermaßen ansprechen will? Das sogenannte „Gendern“ ist derzeit ein umstrittenes Thema.

Wenn Britta Costecki, die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oberhausen, Leuten verständlich machen möchte, warum geschlechtergerechte Sprache notwendig ist, gibt sie ihnen ein Rätsel auf – und erzählt einen dramatischen Fall: Zwei Autos rasen aufeinander zu. In einem Auto sitzt ein Vater mit seinem jungen Sohn, im anderen drei Frauen. Die Autos krachen zusammen. Der Vater stirbt. Der Sohn muss schnell ins Krankenhaus. Als ein Arzt in den OP-Saal kommt, sagt er: „Den Jungen kann ich nicht operieren. Das ist mein Sohn.“ Wie ist das möglich?

Als Gleichstellungsbeauftragte gehört es zu Costeckis Aufgaben, Frauen die gleiche Teilhabe im gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen, wie Männer sie haben. „Wenn man Frauen aus der Sprache ausschließt, entstehen in den Köpfen auch keine Bilder von Frauen. Das geht so weit, dass man Rätsel nicht lösen kann“, sagt sie. Der Arzt, der seinen Sohn nicht operieren kann, ist eine Frau, also die Mutter.

Wie Firmen, Kirche und Stadt in Oberhausen zu genderneutraler Sprache stehen

Gendergerechte Sprache setzt sich in Medien, Firmen und Behörden in Deutschland immer mehr durch. Doch wie stehen Unternehmen und die Kirche in Oberhausen dazu? Dichtet sie etwa das Vaterunser um in Mutterunser? Oder nennt man Gott nur noch neutral eine „Kraft“? Und wie konsequent gendert die Stadt selbst?

Britta Costecki, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oberhausen.
Britta Costecki, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Oberhausen. © Foto: Oliver Mengedoht / FUNKE Foto Services | Oliver Mengedoht

Costecki gibt an, dass die Stadt Oberhausen schon seit langem in Schrift und Sprache geschlechtsneutral formuliere. „Briefe an Bürgerinnen und Bürger, Knöllchen, Herausgaben, Texte auf der Internetseite haben einen gendergerechten Passus“, sagt sie. „Bei uns in der Stadtverwaltung ist dies Normalität.“

Auf eine bestimmte Form des Genderns legt sich die Stadt nicht fest. „Sternchen, Doppelpunkt, Binnen-I – alles ist möglich, Hauptsache man macht es.“ Bisher hätten Bürger sich bei ihr nicht darüber empört.

Die meisten Menschen lehnen Gendern ab - Warum macht die Stadt es trotzdem?

Sucht man auf der Internetseite der Stadt, findet man allerdings schnell Wörter männlichen grammatikalischen Geschlechts, die zur Bezeichnung von Personen dienen – die jedoch ohne weibliche Entsprechung genannt werden. Da ist in einem Satz beispielsweise von Gastronom, Einzelhändler oder Handwerker die Rede, aber nicht von Gastronominnen, Einzelhändlerinnen oder Handwerkerinnen. Im gleichen Text werden jedoch auch „Bürger und Bürgerinnen“ genannt.

„Wenn man kramt und sucht, findet man immer irgendwas“, beschwichtigt Costecki. In Einzelfällen könnten Worte mal übersehen worden sein, das liege vor allem daran, dass viele verschiedene Personen die Texte der Stadt schreiben würden. „Grundsätzlich sind wir in der Verwaltung bei dem Thema dennoch sehr gut.“

Die Anrede
Die Anrede "Mitarbeiter*innen" ist in der Handreichung "Hinweise zur Umsetzung der geschlechtersensiblen Sprache für die Verwaltung“ in Stuttgart markiert. © dpa | Sebastian Gollnow

Nach einer Umfrage des Statistikportals Statista von 2020 findet eine Mehrheit der Deutschen Gendern nicht allzu wichtig. 57 Prozent geben an, dass sie es „sehr unwichtig“ beziehungsweise „eher unwichtig“ finden. Bevormundet die Stadt Bürger nicht, wenn sie Gendern trotzdem einführt? „Nein“, sagt Costecki, denn „wir sind von Gleichberechtigung überzeugt und wollen das entsprechend leben.“ Zudem verstünden Menschen schon den Sinn des möglichst geschlechter-gerechten Schreibens und Sprechens, wenn man ihnen den Sinn erkläre. Dann hielten es viele nicht mehr für „überflüssiges Gedöns“.

„Traditionell sind die Handwerksbetriebe eher konservativ aufgestellt“

Jörg Bischoff ist Fleischer, Ratsherr und Kreishandwerksmeister, kann also gut abschätzen, wie im Handwerk über gendergerechte Sprache nachgedacht wird. „Das ist gar kein Thema im Alltag der Betriebe“, sagt er. „Traditionell sind ohnehin die Handwerksbetriebe eher konservativ aufgestellt.“ Er denkt, dass sich das Gendern dort nur durchsetzen wird, wenn es sehr breite Zustimmung in der gesamten Gesellschaft erfährt. „Wir sprechen nun einmal die Sprache, die allgemein gesprochen wird.“ Er persönlich findet geschlechtsneutrale Sprache „künstlich, ungewohnt und stolperig“ und nicht förderlich für Gleichberechtigung. „Wichtiger ist vielmehr, dass Frauen und Männer gleich bezahlt werden; das haben wir weitestgehend erreicht.“

OQ Chemicals hat Gender-Debatte auf dem Schirm

Auch bei OQ Chemicals (früher Oxea) – das dem Scheichtum Oman gehört – spielt Gendern keine große Rolle: Auf Flyern und Broschüren verwendet das Chemieunternehmen mit seinem großen Werk in Holten überwiegend die männliche Form. Schreibt aber dazu, dass Frauen mitgemeint sind. Im Intranet und in der internen Kommunikation wird nicht gegendert.

„Der Tenor unter Mitarbeitern ist, dass man Gleichberechtigung nicht durch Sprache erzeugt“, erläutert Unternehmenssprecher Thorsten Ostermann. „Wir beobachten die gesellschaftliche Debatte und überlegen derzeit noch, wie wir uns dazu positionieren – in Absprache mit unseren Mitarbeitern.“

Katholische Kirche ist gegen die Formulierung: Göttin

Auch die seit Jahrtausenden recht männer-dominierte katholische Kirche beschäftigt sich mit der Geschlechter-Gerechtigkeit der Sprache. „Wir sind in den letzten Jahren schon sensibler und differenzierter geworden“, sagt Thomas Gäng, Vorsitzender des Katholikenrates in Oberhausen. „Gott werden wir aber sicher nicht in Göttin umbenennen. In ihm drückt sich der liebende Vater aus, nicht die Dominanz der Männlichkeit.“

Die katholische Kirche habe Geschlechtlichkeit schon immer mitberücksichtigt, rede zum Beispiel von „Brüdern und Schwestern“, und eher von einer „geschwisterlichen Kirche“ als einer brüderlichen. „Es muss aber auch sprechbar und lesbar bleiben. Leser:innen oder Sterncheninnen wird es bei uns nicht geben“, sagt Gäng. Auch das Vaterunser werde nicht umgeschrieben. „Vater kann nicht einfach so geändert werden, schließlich ist das der Name, den Jesus benutzt“, erklärt Gäng.

Gemeinde kritisiert geschlechterneutrale Sprache nicht

Die evangelische Kirche in Oberhausen „gendert völlig selbstverständlich“, sagt dagegen Joachim Deterding, Superintendent der evangelischen Gemeinden in Oberhausen. Und zwar in „allen Texten, in offiziellen Dokumenten, in Beschlüssen, in der Regel auch in Redebeiträgen“. Sternchen, Binnen-I oder Doppelpunkt würden nebeneinander benutzt. Für Deterding ist das eine Frage von Korrektheit und Gerechtigkeit.

Joachim Deterding, Superintendent der evangelischen Kirche in Oberhausen.
Joachim Deterding, Superintendent der evangelischen Kirche in Oberhausen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Bögeholz

Er sagt, er bemühe sich in seiner Predigt, sowohl die männliche als auch die weibliche Form zu nutzen. „Es gibt eigentlich aus der Gemeinde keine Kritik daran.“ Wenn in der Bibel die Rede nur von Brüdern ist, liest Deterding Brüder und Schwestern vor. „Das ist die angemessene Übersetzung.“

Auch das Theater Oberhausen ist gegenüber geschlechtsneutraler Sprache offen eingestellt. „Wir nutzen das Gendersternchen und haben sogar unsere Allgemeinen Geschäftsbedingungen in mühevoller Kleinarbeit durchgearbeitet und angepasst“, sagt der Intendant des Theaters, Florian Fiedler. Das Haus wolle jede und jeden ansprechen und daher „Barrieren und Schranken niederreißen“. Schließlich finanzierten alle das Theater, also solle es auch für alle da sein, meint Fiedler.

Leitfaden der Stadt zu genderneutraler Sprache

Die Stadt Oberhausen will in den kommenden Tagen einen Leitfaden zu gendergerechter Sprache herausgeben. Er richtet sich an Firmen, Organisationen und Bürger, die gendergerechte Sprache nutzen wollen, aber noch nicht genau wissen, welche Formen es dafür gibt.

Der Leitfaden erklärt, was unter anderem mit Gendersternchen, Doppelnennung und Binnen-I gemeint ist, und nennt jeweils Beispiele. Die Botschaft lautet: Es ist nicht wichtig, dass man immer die richtige Form benutzt, sondern, dass man gendergerechte Sprache verwendet.