Oberhausen. In der Spielzeit 2020/’21 bringt das Theater Oberhausen neben einigen „Déjà vus“ wieder eine Brecht-Inszenierung und mehrere große Filmstoffe.
Beim ersten Blick auf die Titel der 15 Premieren könnte man meinen: Aha, 2020/‘21 wird eine Spielzeit des „Déjà vu“. Das hatte man doch alles schon angekündigt gelesen – von „Kleiner Mann, was nun“ bis zu „Der Ursprung der Liebe“. Aber was heißt „schon gesehen“ nach einer derart brutal verkürzten Spielzeit wie jener 2019/‘20? „Der Funke Leben“ nach Erich-Maria Remarque war sogar komplett geprobt – und wurde erst am Tag vor der avisierten Premiere am Freitag, 13. März, abgesagt.
Diese Inszenierung von Lars-Ole Walburg, der mit seinem Team eigens die Gedenkstätte des KZ Buchenwald bei Weimar besucht hatte, steht nun an dritter Stelle der Premieren – angekündigt für den 9. Oktober im Großen Haus. Den Anfang dort macht allerdings am 2. Oktober „Herkunft“, die von Chefdramaturgin Simone Sterr mit einigem Stolz angekündigte Uraufführung. Der in Hamburg-Altona heimische Romancier Saša Stanišić war dafür im Vorjahr mit dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet worden. „’Herkunft’ kommt in Oberhausen als allererstes auf die Bühne.“ Simone Sterr betont: „Es ist der ausdrückliche Wunsch des Ensembles und des Autors.“
Gab es in den vorigen Spielzeiten zum Programmbuch markante programmatische Titel – vom „Palermo des Nordens“ bis zu „Held*innen der Liebe“ – so fehlt in dieser Krisenzeit erstens (noch) das gedruckte Programm und zweitens das prägende Motto. Elena von Liebenstein versuchte es mit dem Dreiklang „Arbeit, Kapitalismus, Utopien“, der jedenfalls auf die Auftakt-Inszenierung passt.
„Eine vermutlich sehr intime Inszenierung“
Die Spielzeit 2020/’21 beginnt am 18. September nämlich im kleinen Saal 2 (nach heutigem Stand für maximal 20 Zuschauer) mit „Kleiner Mann – was nun?“ nach Hans Fallada. Die Dramaturgin: „Wir freuen uns auf eine vermutlich sehr intime Inszenierung von Babett Grube.“
Den 60. Geburtstag von Christoph Schlingensief am 24. Oktober feiert das Theater mit einem dreitägigen Spektakel. Denn der vor zehn Jahren verstorbene Allround-Künstler sei „jemand, der immer noch und immer mehr schmerzlich fehlt“, sagt Dramaturg Raban Witt. Im Mittelpunkt steht die Uraufführung eines Films im Schlingensief’schen Geiste, „Das Massaker von Anröchte“, gedreht in Oberhausen nach einem Skript des Theater-Querdenkers Wolfram Lotz.
Bereits am 20. Oktober zeigen Raban Witt und Saskia Kaufmann in der Innenstadt ihr eigenes Projekt „Sterben in Oberhausen“: Jede Kultur gebe der Trauer einen rituellen Rahmen, so der Dramaturg, „aber nicht der eigenen Sterblichkeit“. Dafür will diese Produktion sorgen.
Der Junge, der nicht erwachsen werden will
Mit „Mermaids“ (so der Arbeitstitel) für junge Zuschauer ab vier Jahren stellt sich Shari Asha Crosson, eine von sieben Neuen im Ensemble, am 20. November im Saal 2 auch als Regisseurin vor: Ein kleiner Junge, der in seiner Welt alles sein kann – selbst ein Glitzerfisch – begegnet der Meeresgöttin. Die üppige Familien-Inszenierung im Großen Haus übernimmt wieder Intendant Florian Fiedler: Seine Sicht auf „Peter Pan“, den Jungen, der nicht erwachsen werden will, feiert am 28. November Premiere.
Im Winter und Vorfrühling hatte das Duo „Fux“ mit Falk Rößler und Nele Stuhler die Oberhausener befragt und abstimmen lassen, „was ihr wollt“: Das Ergebnis heißt „From Horror til Oberhausen“ und ist ein Mashup aus der „Rocky Horror Picture Show“ und „From Dusk til Dawn“. Aus der Bühnen-Inszenierung wurde Corona-bedingt ein Film, und der hat am 4. Dezember seine Premiere im Großen Haus.
„Tigermilch“ nach dem Roman der gebürtigen Oberhausenerin Stefanie de Velasco wurde bereits 2017 verfilmt. Mit ihrer Hannoveraner Schauspiel-Inszenierung war Babett Grube für den deutschen Theaterpreis „Der Faust“ nominiert. Am 5. Februar 2021 zeigt Oberhausens Hausregisseurin nun ihre neue Version für den Saal 2. Sie nennt den Roman „eine Utopie von Freundschaft, die auf dem Weg zum Erwachsenwerden zerbricht“.
Der Inbegriff von Hollywood-Opulenz
Erstmals seit Jahren gibt’s wieder eine Brecht-Inszenierung – und zwar am 19. März 2021 das Frühwerk „Im Dickicht der Städte“. Regisseur Jan Friedrich hatte mit „Bernarda Albas Haus“ bereits sein Faible für den Expressionismus des jungen 20. Jahrhunderts unterstrichen.
Neue Zusammenarbeit mit Zürcher Hochschule
Abonnenten dürften sich wundern: Sonst konnten sie, als das Theater seinen neuen Spielplan vorstellte, bereits im üppigen Programmbuch blättern. Das ist in Pandemie-Zeiten etwas anders – man denke nur an eine Foto-Produktion unter strengen Abstandsgeboten. Theatersprecherin Monika Madert versichert aber, dass die Abonnenten „in Kürze“ informiert sein werden.
Das Ensemble der Spielzeit 2020/’21 umfasst nun 20 Namen – auch dank einer neuen Zusammenarbeit mit der Zürcher Hochschule der Künste: Sie entsendet mit Yan Ballistoy und Luna Schmid zwei Eleven für ein Jahr nach Oberhausen. Neu sind außerdem Shari Asha Crosson, Sophia Hankings-Evans, Agnes Lampkin, Henry Morales und Julius Janosch Schulte.
Eine Schauspiel-Tanz-Produktion mit dem Titel „Sturmtief O’Hara“ kann natürlich nur „Vom Winde verweht“ meinen: Zu den zehn Oscars des Jahres 1939 für diesen Inbegriff von Hollywood-Opulenz zählte auch jener für Hattie McDaniel. Sie war die erste Afroamerikanerin, die als beste Nebendarstellerin gewürdigt wurde. Den Rassismus dieser Südstaaten-Romanze hat’s kaum gemildert – und darauf dürften Monika Gintersdorfer und Franck Edmond Yao am 23. April 2021 mit ihrem afrofranzösischen Ensemble „La Fleur“ verweisen.
Das Rockalbum „Nebraska“ ist das sperrigste und spartanischste im Oeuvre von Bruce Springsteen – „Nebraska“ von Wolfram Höll kündigt sich an wie die Bühnenversion eines Road-Movie zur Musik des Barden aus Freehold, New Jersey. Elsa-Sophie Jach inszeniert die Premiere am 15. Mai im Großen Haus.
„Wir sind gerade in der Findung“
Damit fehlen noch zwei Inszenierungen zu den Premieren-Terminen 20. Februar und 29. Mai: Doch welche Werke Florian Fiedler und Babett Grube dann ins Große Haus und in den Oberhausener Stadtraum bringen werden, wollten sie noch offenlassen. Der Intendant: „Wir sind gerade in der Findung.“