Oberhausen. Die Frauenfilmtage „Visuelle“ präsentieren mit Regisseurin Bettina Böhler am 28. März den zweistündigen Dokumentarfilm „Schlingensief“.
Die Fülle des Materials in bewegten Bildern dürfte schier erschlagend sein. Denn wo Christoph Schlingensief war, da waren auch Kameras: Ob es jene Schmalfilme waren, mit denen der Apothekersohn aus Oberhausen schon als Zwölfjähriger experimentierte, die eigenen Spielfilme, zahllose Interviews vor Kameras oder die Dokumentationen seiner provokanten Inszenierungen für die Bühne, für Ausstellungen oder für die Straße. Bettina Böhler ist die Frau, um diese Überfülle zu bändigen: Als Highlight der Oberhausener Frauenfilmtage „Visuelle“ präsentiert die Lichtburg am Samstag, 28. März, um 12 Uhr die Erstaufführung der zweistündigen Filmdoku „Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien“.
Am 21. August dieses Jahres ist der zehnte Todestag, am 24. Oktober wäre der 60. Geburtstag des mit 49 Jahren gestorbenen Provokateurs in allen Genres der darstellenden Künste: Zeit also für eine umfassende Würdigung. Und die 59-jährige Bettina Böhler liefert zwar mit ihrem epischen „Schlingensief“-Biopic ein Regiedebüt ab – ist aber alles andere als eine Debütantin im Filmgeschäft. Seit über 30 Jahren ist die gebürtige Freiburgerin eine begehrte Filmeditorin (früher sagte man Cutterin oder Schnittmeisterin). Auch den Schlingensief-Spielfilmen der 1990er wie „Terror 2000“ und „Die 120 Tage von Bottrop“ gaben ihre Montage-Künste den Rhythmus. Ihre jüngste Arbeit als Editorin ist Christian Petzolds Berlin-Märchen „Undine“, ein gefeiertes Glanzlicht der jüngsten Berlinale.
„Christoph ist für mich der wahre Peter Pan“
Patti Smith, die inzwischen 73-jährige Punk-Poetin aus New York, fand die womöglich pointierteste Beschreibung der Schlingensief’schen Kunst: „Christoph ist für mich der wahre Peter Pan.“ Wie J. M. Barries Junge, der nie erwachsen werden wollte, mische er „Magie mit Humor, Tiefe und Finsternis“. Schlingensief selbst verortete sich allerdings ganz in der väterlichen Tradition des Apothekers – obwohl der Absolvent des Heinrich-Heine-Gymnasiums nicht Pharmazie studiert hatte, sondern Germanistik, Philosophie und Kunstgeschichte: „Mein Vater hat die Leute mit Miniportionen Gift geheilt.“ Die verabreichte er ebenfalls – als Film-, Theater- und Opernregisseur sowie mit seinen aktionistischen Happenings.
Man muss nur jenes Engagement erkennen, das Schlingensief hingebungsvoll mit Kaspereien zu tarnen wusste: So die 1998er Aktion „Baden im Wolfgangsee“, die vorgeblich Helmut Kohls Ferienhaus in St. Gilgen überfluten sollte: Sie konfrontierte das Idyll im Salzkammergut mit der Zahl von sechs Millionen deutschen Arbeitslosen. Zur Provokation gehört allerdings manchmal auch Beifall von der falschen Seite: So fand die Aktion „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“, eine giftige Parodie der damals quotenträchtigen TV-Show „Big Brother“ während der Wiener Festwochen, kein betroffenes, sondern begeistertes Publikum.
Vier Kino-Tage „mit dem besonderen weiblichen Blick“
„Schlingensief – in das Schweigen hineinschreien“ sei keineswegs nur als große Dokumentation für ausgeprägte Kenner und Enthusiasten des umtriebigen Künstlers zu verstehen, versichert die Pressestelle des „Weltkino“-Filmverleihs. Vielmehr habe Bettina Böhler ein Werk geschaffen, das jedem Kinobesucher zugänglich sei.
Insgesamt vier Tage zeigen die Oberhausener Frauenfilmtage „Visuelle“ vom 26. bis 29. März Filme „mit dem besonderen weiblichen Blick“. Dazu sind auch Männer herzlich willkommen! Zuschauerinnen und Zuschauer sind nicht nur dabei – sie voten auch mit: Sie entscheiden, welcher Film den Publikumspreis der Frauenfilmtage erhält. Dank der Unterstützung des Zonta-Clubs Oberhausen ist er mit 500 Euro dotiert.
Karten für die „Visuelle“-Filme kosten für Erwachsene 8 Euro, für Gruppen ab zehn Personen je 6 Euro, für Kinder 3,50 Euro, online lichtburg-ob.de
„Letzter Moralist unter den deutschen Theatermachern“
Entsprechend vielstimmig bis widersprüchlich tönt von Schlingensiefs Lebzeiten bis heute das mediale Echo – von „Provokation um der Provokation willen“ bis zur Erhöhung zum „letzten Moralisten unter den deutschen Theatermachern“. Einhellig beklommen jedoch die Reaktionen auf die Unmittelbarkeit, mit der Schlingensief seine Krebskrankheit bis zum Tode in Kunst ummünzte. Lars Eidinger, selbst ein Hansdampf in allen Schauspiel-Gassen, sagte über Schlingensief schlicht: „Zu ihm habe ich aufgesehen.“