Oberhausen. Die Spionin, die Castro liebte und töten sollte, wirkte noch selbst mit am Text dieser Uraufführung von Dominik Busch im Theater Oberhausen.
Nicht nur Agentinnen lügen und täuschen. Auch Theaterfotografinnen können den Blick durch das grundfalsch so genannte „Objektiv“ krass verengen. Katrin Ribbe hat sich derart in die kurzen Action-Momente von „Alles ist wahr“ verliebt, dass man meinen muss: Wow, „Mission Impossible“ im Theater Oberhausen. So ist’s zum Glück nicht bei der Uraufführung von Dominik Buschs biografischem Drama über „die neun Leben der Marita Lorenz“.
Man muss die Behauptung des Untertitels nicht nachzählen, um zügig festzustellen: Die Fallen des Namedropping und talmihaften Glamours, in die andere Bühnen-Biopics allzu gerne tappen, wollten der Schweizer Autor und Hausregisseurin Babett Grube tunlichst vermeiden. Ihr auf 75 Minuten verknapptes Drama umreißt kein Heldinnenporträt, sondern skizziert vielmehr das Leben (oder die Leben) einer Getriebenen, zeitlebens Gehetzten – bis zu ihrem Tod vor wenigen Wochen in Oberhausen.
Die Spionin, die Fidel Castro liebte und ihn im Auftrag der CIA vergiften sollte, hatte noch selbst Texte zu dieser Uraufführung beigetragen. Jene Sprache aber, die das Publikum im nicht annähernd ausverkauften Großen Haus in dieses Lebensdrama zieht, kommt aus einer ganz anderen Quelle: Im poetischen, fast blümeranten Ton der großen Monologe zeigt sich Dominik Busch vielmehr inspiriert vom magischen Realismus der Literaten Lateinamerikas.
Im khakifarbenen Revolutions-Chic
Noch in Tom-Cruise-Manier schweben die vier Maritas – Susanne Burkhard, Elisabeth Hoppe, Nina Karimy und als Gast Shari Asha Crosson – vom Bühnenhimmel in die erste Szene. Sie tragen in Kostümen von Hsin-Hwuei Tseng khakifarbenen Revolutions-Chic. Und sie prahlen: „Hast du je erlebt wie sich das anfühlt? Wenn man bis an die Zähne bewaffnet wie auf Wolken geht?“ Doch dann führt Susanne Burkhard in einem erschütternden, großen Monolog zurück nach Bergen-Belsen: Ihre Mutter, die Amerikanerin Alice June Lorenz, war mit den vier Kindern aus Bremen in das KZ verschleppt worden, wo „der Typhus um sich schlug wie ein wildes Tier“.
Kleine Ausstellung zum Agentinnenleben
Zu sehen ist „Alles ist wahr – die neun Leben der Marita Lorenz“ erst wieder am Monatsende und zwar am Sonntag, 27. Oktober, um 18 Uhr und am Mittwoch, 30. Oktober, um 19.30 Uhr.
Karten kosten von 11 bis 23 Euro. Jeweils eine halbe Stunde vor der Aufführung gibt’s eine Einführung im Pool.
Dort präsentiert das Theater auch eine Mini-Ausstellung zu Marita Lorenz mit Exponaten von einer original Khaki-Kappe Fidel Castros bis zur Minox-Kamera der einstigen CIA-Agentin.
Allerdings wird genau hier auch Dominik Buschs Spiel mit neun Leben und noch mehr „Wahrheiten“ gefährlich fragwürdig: „Unsere Retter aus Amerika“, deklamiert Burkhard in ihren hohen Stiefeln, „tausend Sterne im Gesicht“. Der Retter der Ausgezehrten in Bergen-Belsen hieß Hugh Llewelyn Glyn Hughes und kommandierte als britischer Militärarzt die Hilfe für die Verhungernden – die britische Soldaten leisteten. Gerade an diesem furchtbarsten Kapitel deutscher Geschichte sollte man nicht herumpoetisieren.
Die weiteren acht Leben der Marita Lorenz böten dagegen genügend Stoff, um den Ton ins Verspielte, ja Bizarre zu drehen. Doch was Buschs Text immer wieder an sprachlicher Verwegenheit aufblitzen lässt, scheint sich eine hier geradezu übervorsichtige Regie nicht zuzutrauen. Dabei legt Shari Asha Crosson als teenagerhaft Verliebte noch so ein großes Solo hin, singt seelenvoll für Castro das punktgenau passende „Walking on Broken Glass“ von Annie Lennox – und macht aus der Führung durchs Kreuzfahrtschiff ihres Herrn Papa puren Sex: „Stehen wir im Dampf, riechen das Öl, hören das Zischen und sehen schwitzend den Kolben bei der Arbeit zu.“
Der Schurke mit den „kalten Schlangenaugen“
Das umschwärmte, aber meist doch abwesende Revolutionsidol Fidel ist also nicht die schwarze Bestie dieses Dramas – obwohl unklar bleibt, wer die brutale Abtreibung seines Kindes mit Marita veranlasst hat. Die Bestie heißt hier Frank Sturgis „mit seinen kalten Schlangenaugen“. Die Geschichtsbücher kennen ihn als einen der Einbrecher des Watergate-Skandals von 1972. Marita Lorenz sagte zwei Jahre später gegen ihren CIA-Vorgesetzten aus, er habe zu den Männern gehört, die 1963 Waffen für das Kennedy-Attentat nach Dallas brachten.
Wie löst ein knapp bemessenes Bühnenwerk solche Verstrickungen? Gar nicht. Es hetzt seine vier groß aufspielenden Maritas durch die Untaten der US-Geheimdienste und lässt sie ein wenig mit der Gefahr flirten: „Dieser Mann“, gemeint ist wieder Frank Sturgis, „und ich – wir waren über dem Gesetz“. Im Schlussbild dürfen acht wackere Komparsen mit einem ganzen Arsenal von Rollatoren, Stöcken und sonstigen Gehhilfen in einem Chachacha jenes Bühnen-Schiffchen umtanzen, das aussieht, als wäre es aus den Seiten eines Fernreiseprospektes zusammengeklebt. Man sollte „Alles ist wahr“ auf Kreuzfahrtdampfern aufführen.